Sechs Jahre nach seiner Ermordung ist Avinoam Schoschan endlich Vater geworden. Seine Witwe Anat gebar diese Woche ein gesundes Mädchen und nannte es Jaron, Hebräisch für „er wird sich freuen“. Das Avinoam Jahre nach seinem Tod noch ein Kind gebären konnte, hat er Anats Geistesgegenwart und der positiven Haltung der israelischen Gerichte zu verdanken. Wenige Stunden, nachdem er in einem Streit zwischen Hundebesitzern in Haifa erstochen worden war, wandte Anat sich ans Gericht mit dem Gesuch, der Leiche ihres Ehemanns Samen entnehmen zu lassen und einzufrieren. Das Gericht entsprach ihrer Bitte umgehend, denn Eile war von Nöten. Samen sind nur 72 Stunden nach Herzstillstand noch lebensfähig. Mit diesem Samen ließ Anat sich vor neun Monaten befruchten.
Das Schicksal von Anat und Avinoam mag einzigartig sein, dennoch ist es Teil eines wachsenden Trends. Israel ist seit Jahrzehnten für eine Politik bekannt, die Dank einer großzügigen Auslegung jüdischer Glaubensfragen mit künstlicher Befruchtung und Stammzellforschung sehr liberal umgeht. So gehört Israel in diesen Feldern zur Weltspitze. Doch in einem Land, in dem die junge Bevölkerung alle paar Jahre zu den Waffen gerufen wird, erhält die moderne Technologie der Fortpflanzung eine neue Dimension.
Die Rechtsanwältin Irit Rosenblum hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, jungen Menschen die Fortpflanzung als Grundrecht zu gewährleisten. „Es begann mit einem jungen Soldaten, der 2001 in meine Kanzlei kam, weil er während seines Dienstes steril geworden war. Ich konnte ihm nicht helfen“, sagt Rosenblum im Gespräch mit unserer Zeitung. Doch die Begegnung wurde für sie zu einem Wendepunkt. Sie gründete die Organisation „Neue Familie“ und erfand den Begriff eines „biologischen Testaments“. Darin legen Männer fest, was nach ihrem Tod mit ihrem eingefrorenen Samen geschehen soll.
Im Jahr 2003 erstritt sie im Präzedenzfall für die Eltern von Kivan Cohen eine Samenentnahme. Der junge Mann war bei einem Einsatz im Gazastreifen ums Leben gekommen. Doch seither schränkt die Staatsanwaltschaft diese Praxis ein. Nur die Partnerinnen der Toten haben in Israel heute das Recht, nach dem Leichnam ihres Mannes oder Lebenspartners Samen entnehmen und ihn einfrieren zu lassen. „Das verstößt gegen unsere Freiheit, auch als Singles über unsere Fortpflanzung zu bestimmen“, sagt Rosenblum. Mit dem biologischen Testament, das von Gerichten anerkannt wird, gelingt es ihr, diese „Partnerhürde“ zu umgehen. Ethische Bedenken hat sie dabei nicht:„Frauen können heute zu jeder Samenbank gehen und eine Spende erhalten. Doch der Vater bleibt für die Kinder ein Leben lang ein Mysterium“, sagt Rosenblum. Wenn diese allein stehenden Frauen hingegen den Samen gefallener Soldaten erhielten, „hätten die Kinder endlich die Möglichkeit zu wissen, wer ihr Vater war. Oftmals gewännen die Frauen auch noch die väterlichen Großeltern hinzu, die im Enkel ein Andenken an ihren gefallenen Sohn sähen.“
Seitdem Rosenblum ihre Organisation gründete, haben bereits mehr als 500 Männer ein biologisches Testament bei ihr hinterlegt. Für jährlich etwa 30 € wird ihr Samen für den Fall aufbewahrt, dass sie verunglücken, im Krieg umkommen oder schwer erkranken und ihre Fruchtbarkeit verlieren. Während des Krieges im Gazastreifen im vergangenen Januar meldeten sich hunderte interessierte Reservisten bei ihr, die urplötzlich eingezogen wurden und sich um ihr biologisches Erbe sorgten. Rosenblum gibt hier aber nicht auf. Sie will die Samenbank institutionalisieren. Jeder Soldat der Armee soll routinemäßig über das Angebot aufgeklärt werden, seinen Samen aufzubewahren. Die Armee habe nichts dagegen, sagt Rosenblum, Unterstützung erhalte sie aber nicht. Bald soll eine Lobby im Parlament über Rosenblums Vorschlag beraten. Das Einfrieren von Samen könnte dann in Israel Routine werden.