Reinhard Schlieker / 15.01.2010 / 16:59 / 0 / Seite ausdrucken

Giftiger Googlehupf

Die weltgrößte Suchmaschine, das innovativste, was man mit dem World Wide Web anstellen kann, Software, Cloud Computing, Super-Mobiltelefon und Weltbibliothek – es gibt kaum einen Superlativ, den Google nicht für sich in Anspruch nimmt. Es ist ein weiter Weg gewesen vom Underdog der Internetgemeinde zum Riesenkonzern, der heute an die 200 Milliarden Dollar wert ist. Mit einem Aktienkurs von an die 600 Dollar (es waren aber auch schon mal 740), nachdem eine Aktie 2004 noch für damals auch schon ehrgeizige 100 Dollar zu haben war. Freunde und Familie wurden rasch Millionäre, wenn nicht Milliardäre. Das verändert vermutlich die Wahrnehmung, doch dazu gleich mehr.

Kennzeichen des 1998 gegründeten Unternehmens der beiden Jugendlichen Sergey Brin und Larry Page war zum einen eine geniale mathematische Formel, die die Suche nach Inhalten im Internet revolutionierte. Zum anderen der lockere Auftritt und die fast hippiehafte Kernbotschaft „Sei nicht böse“. Nicht böse? Das klingt gut. Heute gerät Google eher in die Situation, dass es sagen müsste: „Sei mir nicht böse“.

Denn von den Idealen der Anfänge ist die Unternehmensphilosophie so weit entfernt wie eine Pfadfinderfreizeit von einem nordkoreanischen Umerziehungslager. Was einmal als fast schon wohltätiges Unterfangen begann, entwickelt krakenhafte Züge. Google trat an, den Menschen Wissen zu verschaffen: Die Möglichkeiten des weltweiten Netzes also allen zu eröffnen, und das kostenlos. Wer suchet, der soll finden, und das auf allen Wissensgebieten. Der Gang der Dinge zeigt nun, wie schnell und fast unmerklich ein gutes Ziel sich in reinen Horror verkehren kann.

Man nehme nur das Unterfangen, alle Bücher der Welt zu digitalisieren. Gnadenlos wird da Bit für Bit ins Netz gestellt, ohne Ansehen des Inhalts. Und auch ohne Rücksicht auf die Rechte anderer: Denn dass Bücher Werke sind, deren Gehalt jemandem gehört, ist den Ex-Studenten aus Kalifornien ein fremdartiges Konzept. Nächstes Beispiel: „Street View“ und Ähnliches. Die Welt abfilmen und allzeit verfügbar darstellen, das soll jedermann die Orientierung erleichtern – nimmt aber Privatleute in Geiselhaft und verewigt ihr nächstes Umfeld ungefragt im weltweiten Datennetz. Und jüngst wieder im Lichte der Öffentlichkeit: Das Auftreten von Google in China, wirtschaftlich interessantes Land, aber immer noch eine finstere Diktatur. Google hatte sich an der Zensur dort nicht weiter gestört – schreit nun aber laut auf, als China mit mutmaßlich staatlicher Billigung, wenn nicht gar Initiative, anfängt im Inneren des Google-Imperiums herumzuspionieren (nur nebenbei: wieder einmal ist Microsofts Internet Explorer mit seinen Myriaden von Sicherheitslücken wohl ein Einfallstor der fiesen Angriffe gewesen).

Kein Wunder, dass man sich bei Google aufregt: Die Integrität der eigenen Server ist lebenswichtig, die Integrität der Nutzer ist egal. Es geht nur noch um eines: Werbung, Werbung, Werbung. Die bringt das Geld und hält den privaten Langstreckenjet von Brin und Page in der Luft. Aus den harmlosen Cookies, die Google einmal im Computer der Nutzer installierte, um sie beim Wiederkommen gleich zu erkennen, ist ein ziemlich giftiger Googlehupf geworden, der prächtig aufgeht. Wer sich dem Zugriff der Suchmaschine und ihrer Ableger nicht entschlossen entzieht, wird mit Haut und Haar registriert und ausgeweidet – dagegen ist der Nacktscanner eine diskrete Sache.

Einen Trost mag es geben: Noch immer sind wilde Datensammler in der Vergangenheit an der schieren Menge ihrer Ernte erstickt. Und: Computer sind eher dumm. Wenn man bei Google den Begriff „Wissen“ eingibt, bekommt auch zahlreiche Werbebotschaften präsentiert – mit völlig unsinnigen Angeboten („Kaufen Sie Wissen gebraucht oder neu bei …. xy.de“). Das Unwissen und die Ahnungslosigkeit der Automaten - das tröstet.

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