Die weltweite Empörung respektive Befriedigung betreffend den schweizerischen Volksentscheid gegen Minarette im Land der glücklichen Kühe wird sich so schnell nicht legen. Leider gibt es in der Diskussion wieder einmal fast nur schwarz oder weiß: Dabei sind hier die Grautöne eigentlich das Einzige, was einer Betrachtung wert wäre. Denn beiden Gruppen kann man getrost Mäßigendes ins Stammbuch schreiben.
Da wäre zum einen das Argument, die Schweizer hätten sich sehr klug entschieden, weil ja von Seiten des Islam eine aggressive und totalitäre Ausbreitungspolitik betrieben werde. Mag im Einzelfall sein. Die Schweiz hat bisher jene fanatische Strömung der religiös Motivierten nicht wirklich erreicht: ganze vier Minarette gibt es dort, und ein paar mehr hätten Heidiland sicher nicht ins Chaos gestürzt. Vor dem Matterhorn verblasst ohnehin jedes architektonische Streben nach Höherem. Dass die in der Schweiz lebenden Muslime, wenn sie wollen, ihre Religion ausüben, hängt nicht vom Turmbau zu Basel ab. Und ob sie vom Minarett herunterrufen oder auf dem Gebetsteppich bleiben, verändert gar nichts. Wobei der Autor zugeben muss, dass die schlanken, fein ziselierten Türme schon eine hübsche Anmutung haben. Das findet im übrigen auch der gewöhnliche Schweizer, der wie kaum ein anderer Europäer Weltreisen unternimmt und von Kairo bis Kuala Lumpur gern orientalische Stimmung fotografiert und mit nach Hause bringt.
Nun gibt es die durchaus berechtigte Frage, wie viele Kirchtürme denn im nun so laut protestierenden Saudi-Arabien gibt und wie viele katholische Prozessionen in Anatolien geduldet werden. Ist eine gute Frage – leider beraubt man sich ihrer Wirkung, wenn man im Westen, wo man ja einen Schritt weiter sein möchte, nun seinerseits die saudi-arabischen Gepflogenheiten der politischen Toleranz einführen will. Und da haben die Ja-Sager aus der Schweiz sich weiß Gott nicht mit Ruhm bekleckert. Islamische Selbstgefälligkeit und Intoleranz ist eine Sache – ob man sich dagegen wehren sollte, indem sich das dumpfe Spießertum aller westlichen Länder vereinigt, ist eine legitime Frage. Denn so wenig ich unter islamischem Recht leben möchte, so wenig will ich mit denen zu tun haben, die sich gegen eine dumpf empfundene „Überfremdung“ zur Wehr setzen. Erfahrungsgemäß machen solche Leute niemals Halt – am Ende ist denen vieles sehr fremd, und damit bekämpfenswert. Und sei es der anders denkende Nachbar.
Der sich in etwa in der Mitte befindende Europäer steckt hier in der Falle. So wie die Diskussion läuft, hat er momentan nur die Wahl, sich auf die Seite eines gern mal durchdrehenden türkischen Ministerpräsidenten Erdogan zu begeben, oder aber zu marschieren mit eher unterbelichteten Fremdenfeinden, wie sie sich vermehrt etwa im schweizerischen Kanton Appenzell-Innerrhoden finden – wo man noch vor wenigen Jahren das Frauenwahlrecht für Teufelswerk hielt. Keine schöne Auswahl. Und deshalb verbietet sich Schwarz-Weiß-Denken, hier ganz besonders.