Peter Grimm / 30.06.2021 / 13:17 / Foto: Pixabay / 41 / Seite ausdrucken

FDP/AfD: Falschabstimmung mit Fußnote

Einige Wochen bevor den Bundesbürgern mit dem Beginn der verschiedenen Wellen des Corona-Ausnahmezustands wichtige Grundrechte entzogen wurden, lernten sie noch so etwas wie eine neue Disziplin im bundesdeutschen Regierungshandeln kennen: das Rückgängigmachen der Wahl eines Landesministerpräsidenten nach Ansage der Kanzlerin. Der Fortgang der seinerzeitigen Ereignisse rund um die Wahl des Thüringer Kurzzeitministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) mit Stimmen von CDU, AfD und FDP sind hinlänglich bekannt.

Wer in einem deutschen Parlament oder Gemeinderat genauso abstimmt wie die AfD-Abgeordneten, gerät seither noch schneller in den Rechtsabweichler-Verdacht als zuvor, weshalb es nicht oft geschieht. Eine Zustimmung zu einem AfD-Antrag ist da vollkommen undenkbar. Was soll man aber tun, wenn es doch geschieht? Kann man das dann auch noch rückgängig machen? Im Deutschen Bundestag erwecken FDP-Abgeordnete und der Spiegel den Eindruck, als ob das mit einer nachträglichen Protokollnotiz ginge.

Es war am frühen Freitagmorgen – der Deutsche Bundestag tagte schon seit Donnerstag, 9 Uhr –, als etliche FDP-Abgeordnete falsch abstimmten. Um 2:29 Uhr ging es um den Tagesordnungspunkt 33d, einen Antrag der AfD-Fraktion mit dem Titel: "Deutsche Staatsangehörigkeit nur gezielt vergeben – Klare Grenzen der Einbürgerung aufzeigen". Die Abgeordneten stimmen aber nicht mit „Ja“ oder „Nein“ zum Antrag ab, sondern darüber, ob sie der Beschlussempfehlung des zuständigen Ausschusses folgen. Der empfiehlt die Ablehnung des Antrags, weshalb mit „Ja“ stimmen muss, wer „Nein“ zum AfD-Antrag sagt. Das mag für Außenstehende verwirrend klingen – für Bundestagsabgeordnete sollte das Routine sein, und am Ende einer Legislaturperiode sitzt auch keiner zum ersten Mal im Plenarsaal. Doch es ist wie im richtigen Leben, gerade bei Routinehandlungen schleichen sich schnell Fehler ein, zumal um 2:29 Uhr. So verkündet Bundestagsvizepräsidentin Dagmar Ziegler (SPD) nach der Abstimmung: „Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von FDP und AfD bei keiner Enthaltung mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen.“ (Quelle hier, S. 30763).

Die FDP-Abgeordneten hatten tatsächlich nicht nur mit der AfD gestimmt, sondern sogar für ihren Antrag? Unglaublich! Dennoch scheint es niemandem im Plenarsaal aufgefallen zu sein. Weder gab es Aufregung noch Freude in den Fraktionen auf der einen und der anderen Seite.  

„Ich habe mich verstimmt“

Kollegen vom Spiegel berichteten von ihrer Nachfrage, bei der sich die FDP-Fraktion überrascht über das eigene Abstimmungsverhalten gezeigt haben soll:

„Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer Marco Buschmann schickt die sogenannte ‚Votenliste‘. Darauf wird vor Plenarsitzungen festgehalten, wie die Fraktion abstimmen will. Die Ansage ist unmissverständlich: Die FDP werde der Empfehlung des Innenausschusses folgen und den AfD-Antrag ablehnen, heißt es dort.

Es zeigt sich, dass das Votum keine Rebellion gegen die Linie der Fraktion war, sondern ein Versehen des FDP-Innenpolitikers Stephan Thomae. Er […] hatte an dem Tag Sitzungsdienst und leitete die Fraktion.

‚Das war die letzte Abstimmung in dieser Nacht. Ich hatte bereits vier Stunden Sitzungsdienst. Aus Gründen, die ich nicht mehr nachvollziehen kann, habe ich das Ja verpasst. Ich habe mich also sozusagen ‚verstimmt‘, sagt Thomae am Telefon.“

Fehler passieren natürlich. Aber abgestimmt ist abgestimmt, würden jetzt wahrscheinlich die meisten Wähler sagen. Wenn die ihre Stimme abgegeben haben, ist sie schließlich auch weg, und sie können nirgends zu Protokoll geben, dass sie mit ihrer Stimmabgabe niemals hätten die Regierung legitimieren wollen, die sie dann bekamen.

Im Bundestag scheint man da mit Falschabstimmern nachsichtiger zu sein, wenn man spiegel.de folgt:

„Die FDP lässt die Sache jedenfalls nicht auf sich beruhen. Noch am Montag schickte der FDP-Fraktionsgeschäftsführer Buschmann eine Korrekturbitte an den Stenographischen Dienst der Parlamentsverwaltung. Im Plenarprotokoll wird der Irrtum nun korrigiert.“

Das ist doch toll von der FDP, dass sie ihren „Irrtum nun korrigiert“. Das klingt ja fast noch besser als „rückgängig machen“. Aber kann man sein Stimmverhalten wirklich per Protokoll nachträglich korrigieren? Die oben zitierte Verkündung des Abstimmungsergebnisses durch die Bundestagsvizepräsidentin trägt im Plenarprotokoll eine Fußnote. Die führt zur Anlage 36 und enthält eine „Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Marco Buschmann (FDP) zu der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Hess, Dr. Bernd Baumann, Dr. Gottfried Curio, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Deutsche Staatsangehörigkeit nur gezielt vergeben – Klare Grenzen der Einbürgerung aufzeigen (Tagesordnungspunkt 33 d):

Ich erkläre im Namen der Fraktion der FDP, dass unser Votum zur Beschlussempfehlung Zustimmung lautet.“

Und Zustimmung zur Ausschussempfehlung bedeutet – siehe oben – Ablehnung des AfD-Antrags. Die Welt scheint wieder in Ordnung und es sieht aus, als sei die falsche Stimmabgabe jetzt per Protokoll tatsächlich irgendwie rückgängig gemacht worden.

Nur eine Fußnote

Ein falscher Eindruck, denn am Abstimmungsergebnis ändert eine Erklärung nach §31 selbstverständlich gar nichts. Dieser Paragraph ist offensichtlich auch nicht zum Zwecke nachträglicher Stimmen-Rückzieher in die Geschäftsordnung aufgenommen worden, denn dort heißt es:

„Nach Schluß der Aussprache kann jedes Mitglied des Bundestages zur abschließenden Abstimmung eine mündliche Erklärung, die nicht länger als fünf Minuten dauern darf, oder eine kurze schriftliche Erklärung abgeben, die in das Plenarprotokoll aufzunehmen ist. Der Präsident erteilt das Wort zu einer Erklärung in der Regel vor der Abstimmung.“

Man kann zwar offenbar auch noch nachträglich zu Protokoll geben, dass man eigentlich gern anders abgestimmt hätte, doch das hat keine Bedeutung. Ehrlicherweise hätte die FDP-Fraktion dann vielleicht in der Anlage 36 schreiben sollen: „Wir wollten ja eigentlich alle anders abstimmen, haben aber gar nicht mehr darauf geachtet, wofür wir gerade unsere Hand heben“. Das klingt allerdings nicht so gut, wie „rückgängig machen“. Was bleibt? Nur eine Fußnote.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

John Sheridan / 30.06.2021

Früher war es so: SPD = Sozialisten plündern Deutschland, FDP = Freunde der Plünderer. Es hat sich nichts geändert, wer wählt sowas?!

Fred Burig / 30.06.2021

@Sabine Schönfeld: “Der Lächerlichkeit sind offensichtlich in der deutschen Politik keine Grenzen mehr gesetzt.” Das sowieso, aber Dummheit, Sturheit und Schwachsinn haben da auch ihre Spuren hinterlassen! MfG

K.D.Weber / 30.06.2021

Der Fraktionszwang, der das grundgesetzlich vorgeschriebene freie Mandat in ein imperatives Mandat wandelt, ist der Tod der repräsentativen Demokratie. Das hat uns in eine Parteiendiktatur geführt, in der es keiner fach- und sachkundigen Abgeordneter bedarf. Es wird von oben nach unten befohlen, die Parteien sind nach Vorbild kommunistische Parteien strukturiert und der guter alte Bundestag ist zur Duma bzw. Volkskammer verkommen. Das ist nur noch eine lächerliche Fassadendemokratie. Die FDP-Politiker denken, prüfen oder wägen noch nicht einmal ab, sondern folgen blind dem Führerbefehl. Das ist einfach nur unwürdig. Ansonsten ist die FDP sowieso unwählbar geworden. Vier Jahre hat sie die Oppositionsarbeit verweigert und nun würde sie wahrscheinlich sogar mit den Grünen und der SPD zur Ampel koalieren. Ein ehemaliger FDP-Wähler sagt: Nie Wieder!

Ralf Pöhling / 30.06.2021

Anscheinend reicht der Mumm noch nicht aus. Aber man tastet sich ran…

Fred Burig / 30.06.2021

@Rolf Mainz: “... und Deutschland ist - wie so oft - “führend” in der Welt, steht also ganz allein da - um schliesslich zu scheitern?” Genau, und bester Beleg dafür ist die Fußball EM mit dem Spiel D gegen GB! Bunt sein wollen, große Fresse riskieren, andere schlecht reden, aber nichts leisten können vor lauter eigener Überbewertung ! Man, hab ich die krachende Niederlage dieser “Gutmenschen” gefeiert! MfG

Ralf.Michael / 30.06.2021

„Ich habe mich verstimmt“ ?? Gehts Noch ?? Wie sind dagegen, dass wir dafür sind ?? Oder umgekeht ?? „Ich bin verstimmt”, wenn ich so einen Sch**ss mitbekomme :o((

Fred Burig / 30.06.2021

Schafft endlich mal jemand das unredliche Abgeordneten- Pack ab! Dummheit und reine finanzielle Interessen müssen endlich im Parlament ausgegrenzt werden! MfG

Markus Knust / 30.06.2021

Die Lindner Partei möchte zwar in den nächsten drei Monaten noch so viele Wähler wie möglich täuschen, indem sie mal wieder ein paar AfD Positionen light heuchelt, aber echte Taten? Das geht nun wirklich zu weit! Scheinopposition at work. Jede(r) der diese Flaschen wählt, sollte sich hier tunlichst ruhig verhalten, wenn mal wieder Politik gegen den Bürger gemacht wird. Es gibt nur eine Opposition und die kann man wählen oder sich mit Schuldenunion, Armutseinwanderung, Zensur, Klima und Gendergedöns und all den anderen Segnungen zufrieden geben. Ihr wolltet es dann so, denn die Tatsachen sind schon seit 2015 bekannt. Und wer noch immer zweifelte, soll sich anschauen, wie Lindner kürzlich vor ihrer Majestät zu Kreuze gekrochen ist. Wie ich diese Gesichter satt habe…

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Peter Grimm / 02.05.2024 / 12:00 / 24

Rauchfreie Wahlhilfe vom Tabakkonzern

Rauchfrei Rauchen mit Tabak-Lobbyisten, die mit dem Aufruf zum „richtigen“ Wählen die Demokratie retten wollen. Wenn man in den letzten Jahrzehnten Medien konsumierte, so gab…/ mehr

Peter Grimm / 01.05.2024 / 06:00 / 52

Durchsicht: Grenzen der Ausgrenzung

Die AfD solle nicht mehr zum städtischen Gedenken an NS-Verbrechen eingeladen werden, forderten die Grünen im Leipziger Stadtrat, und sorgten für eine interessante Debatte. / mehr

Peter Grimm / 26.04.2024 / 12:00 / 37

Keine Kästner-Lesung für „Freie Wähler“

Zweimal wollten die Freien Wähler in Dresden eine Lesung aus Erich Kästners „Die Schule der Diktatoren“ veranstalten. Beide Male wurde sie untersagt. Eine bittere Realsatire.…/ mehr

Peter Grimm / 23.04.2024 / 06:05 / 94

Anleitung zum vorbeugenden Machtentzug

Was tun, wenn die AfD Wahlen gewinnt? Das Votum des Wählers akzeptieren? Oder vielleicht doch schnell noch mit ein paar Gesetzen dafür sorgen, dass sie…/ mehr

Peter Grimm / 12.04.2024 / 06:15 / 136

Kein Drama beim Höcke-Duell

Dass Thüringens CDU-Chef Mario Voigt mit seinem AfD-Pendant Björn Höcke in ein TV-Duell ging, sorgte für Aufsehen und Protest. Heraus kam eine ganz normale Fernsehsendung,…/ mehr

Peter Grimm / 11.04.2024 / 12:45 / 50

Die Rundfahrt eines Polizeibekannten

Der Irrwitz deutscher Asylpolitik zeigt sich zuweilen auch in absurden Geschichten aus dem Polizeibericht. Bei zu vielen Asylbewerbern drückt sich das Verhältnis zur Gesellschaft im…/ mehr

Peter Grimm / 09.04.2024 / 06:15 / 140

Droht eine Landesregierungs-Entmachtung nach AfD-Sieg?

Fünf Jahre nach dem „Rückgängigmachen“ einer Ministerpräsidentenwahl überlegen Juristen jetzt, wie man missliebige Landesregierungen mittels „Bundeszwang“ entmachten und zeitweise durch einen Staatskommissar ersetzen könnte. Sie…/ mehr

Peter Grimm / 03.04.2024 / 13:00 / 33

Wer darf Feindsender verbieten?

Wenn Israel das Gleiche tut wie EU und deutsche Bundesregierung zwei Jahre zuvor, dann ist selbige Bundesregierung plötzlich besorgt. Bei Doppelstandards ist Deutschland immer noch…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com