Canan Kaftancioglu von der größten Oppositionspartei der Türkei, der kemalistisch-sozialdemokratischen CHP, war maßgeblich an einem Wahlsieg gegen Erdogans Partei vor drei Jahren in Istanbul beteiligt. Das Urteil gilt vielen nun als Rache des Präsidenten.
Wegen des Ukraine-Krieges schwindet hierzulande die ohnehin nicht überbordende Aufmerksamkeit für die Verfolgung demokratischer Oppositioneller in der Türkei durch das Erdogan-Regime. Dabei rollt diese Verfolgungswelle weiter. Canan Kaftancioglu, die als eine der wichtigsten Oppositionspolitikerinnen der Türkei beschrieben wird, ist am Donnerstagabend wegen angeblicher Terrorpropaganda zu vier Jahren, elf Monaten und zwanzig Tagen Gefängnis verurteilt worden, berichtet taz.de. Diese Entscheidung habe das oberste Berufungsgericht bekanntgegeben, nachdem die Politikerin zuvor von einer unteren Instanz sogar zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden sei.
Mit dem Urteil gehe ein Politikverbot für fünf Jahre einher. Ob Kaftancioglu tatsächlich ins Gefängnis muss oder ihre Strafe auf Bewährung ausgesetzt wird, sei zunächst unklar gewesen. Bis zum Prozess am Donnerstagabend habe sie sich noch auf freiem Fuß befunden.
Durch das Politikverbot habe sie aber keine Chance bei kommenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in den Kampagnen ihrer Partei mitzuwirken, egal in welcher Rolle. Canan Kaftancioglu ist nicht nur die Vorsitzende der kemalistisch-sozialdemokratischen CHP, der größten Oppositionspartei der Türkei in Istanbul, sondern sie gilt auch als die Frau, die im Frühjahr 2019 beim Wahlsieg von Ekrem Imamoglu in Istanbul die Fäden gezogen habe und Präsident Recep Tayyip Erdogan damit die bislang schwerste Niederlage seit seiner Wahl 2003 beibrachte.
Die Anklage gegen Kaftancioglu und die jetzt endgültige Verurteilung zu fast fünf Jahren Haft scheint ein klarer Racheakt des Präsidenten zu sein, schreibt taz.de. Vorgeworfen worden sei ihr, dass sie per Twitter den Präsidenten beleidigt, die türkische Republik herabgewürdigt und gar zu Terrorpropaganda aufgerufen habe. Laut Beobachtern handle es sich allerdings immer nur um klare Meinungsäußerungen, die im Prozess zu Straftaten umgeschrieben wurden. Die beklagten Tweets soll sie in der Zeit zwischen 2012 und 2017 gepostet haben.