Burkhard Müller-Ullrich / 21.11.2008 / 00:49 / 0 / Seite ausdrucken

Extrablatt: Reich-Ranicki verkracht sich mit Suhrkamp

Die Dieterbohlenisierung des Kulturbetriebs schreitet also fort – und zugegeben: allmählich macht sie richtig Spaß. Rempeln, Pöbeln: das sind mittlerweile Grundtechniken intellektueller Auseinandersetzung. Erst haut Marcel Reich-Ranicki, der von Fernsehen keine Ahnung hat, demselben in die Fresse, dann Elke Heidenreich dem ZDF. Dann spuckt Reich-Ranicki ihr noch hinterher, indem er sagt, sie sei zu Recht gefeuert worden. Nun ist Suhrkamp dran, die Sakristei der deutschen Literatur – zumindest war das der Verlag bis zu Siegfried Unselds Tod. Seine Witwe, die jetzige Verlegerin Ulla Berkéwicz, ist eine Zicke, während Reich-Ranicki eine auf Ränke und Ranküne versessene Diva ist. Daß die Diva mit der Zicke nicht auf Dauer kann, war abzusehen; inzwischen ist es offenbar: „Mit ihr zu tun zu haben, ist eine Qual“, raunzt Reich. Er sei ein älterer Mensch und brauche keine Kräche, aber die Berkéwicz brauche sie.

Es ist ein Jammer, daß der Schriftwechsel zwischen den beiden, von Telefonmitschnitten ganz zu schweigen, der Öffentlichkeit bislang vorenthalten wird, denn das Dieterbohlenmäßige in diesen Konfrontationen schreit geradezu nach O-Ton. Zu befürchten ist vielmehr, daß die Berkéwicz jetzt ganz vornehm tuend nichts vernehmen läßt, sodaß der Alte als zwanghafter Krawallmacher dasteht, der er naturgemäß auch ist, der aber zu richtig großer Form erst im Zusammenspiel mit eingeschnappten Frauen wie Ulla Berkéwicz oder Günter Grass aufläuft, wobei Sigrid Löffler unter den Genannten insofern eine Sonderstellung einnimmt, als sie die einzige ernstzunehmende Intellektuelle ist. Letzteres zeigt sich schon daran, daß sie bereits vor acht Jahren aus der Punch-and-Judy-Show des sogenannten Literaturpapstes ausstieg.

Diese Show geht jetzt gewissermaßen außerhalb des Fernsehens weiter, transmedial, ubiquitär, somnambul und epidemisch. In verschärfender Anlehnung an Stefan Raab entwickelt sich Reich zu einem ganz neuartigen publizistischen Format unter dem Titel „RR total“; so überkommt uns jede Nachricht, IHN betreffend, auf jegliche Weise: als Fernsehsondersendung oder als Zeitungsartikel, als Agenturmeldung, als Interview, als Werbespot, vielleicht bald auch als Oper oder als Parfüm. Ob er einen Preis bekommt oder ob er einen Preis ablehnt, ob er das Fernsehen beschimpft oder im Fernsehen auftritt, ob er ein Buch veröffentlicht oder aber es nicht mehr bei Suhrkamp tut: alles, alles wird atemlos mitgeteilt, erörtert, kommentiert, sogar hier und jetzt an dieser distinguierten Stelle.

Angesichts dieser alptraumhaften Ausuferung fleht die deutsche Öffentlichkeit die Fernsehintendanten an: gebt dem Mann doch irgendeine Sendung, damit er wenigstens in einem Bezirk mit absehbaren Grenzen wirkt.

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