Gastautor / 18.09.2011 / 21:43 / 0 / Seite ausdrucken

Euro-“Rettung” : In dubio pro Rechtsbruch

Von Manfred Gillner

Zwischen dem deutschen Staatsvolk und den von ihm gewählten Bundestagsabgeordneten sowie der Regierung geht ein tiefer Riss. Das Vertrauen der Bürger zur Politik, das ohnehin schon lädiert war, ist durch das Verhalten von Regierung und Opposition in der europäischen Staatsschuldenkrise auf dem Nullpunkt angelangt. Hinzu kommt, dass die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts angezweifelt wird. Der Respekt, den es einst genoss, ist verspielt.

Der Bürger erfährt in bisher nicht gekannter Deutlichkeit seine Ohnmacht. Die Mehrheit der Abgeordneten schert sich nicht um seinen Willen, sondern handelt, als wäre sie nicht vom Volk gewählt, sondern von einer fremden Macht eingesetzt worden, der sie mehr verpflichtet ist als dem Wähler.

Das völlige Versagen aller bisherigen Maßnahmen zur Rettung Griechenlands hat bei den meisten Politikern und der Regierung nicht zu der Erkenntnis geführt, dass man alles falsch gemacht hat. Man ist vielmehr der Ansicht, man müsse nur den Einsatz erhöhen, dann werde man auch irgendwann gewinnen. Es ist wie bei einem süchtigen Spieler im Casino, der die Kontrolle über sich selbst verloren hat und die Einsätze verdoppelt, um Verluste wettzumachen.

Man hatte gehofft, dass das Bundesverfassungsgericht dem Treiben einen Riegel vorschieben und dem Spieler Casinoverbot erteilen würde. Doch das Gericht ist in seinem Urteil vom 7. September 2011 dem Wunsch von 76 Prozent der Deutschen (laut Umfrage) nicht nachgekommen.

In der Verfassungsbeschwerde der Herren Hankel, Nölling, Schachtschneider, Spethmann und Starbatty ging es unter anderem um den ersten Teil der Finanzhilfe an Griechenland, der bereits im Jahr 2010 beschlossen wurde. Er hat einen Umfang von 110 Mrd. Euro, davon entfallen 30 Mrd. auf den IWF und 80 Mrd. auf die Staaten der Euro-Zone.

Deutschland hat sich in diesem Paket verpflichtet, Griechenland einen bilateralen Kredit von 22,4 Mrd. Euro zur Verfügung zu stellen. Davon sind – viele Bürger wissen dies nicht einmal – bereits 8.4 Mrd. über die staatseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ausgezahlt worden. Fällt der Kredit aus, so muss der deutsche Steuerzahler dafür aufkommen, denn der Bund hat sich bei der KfW dafür verbürgt.

Die Verfassungsbeschwerde richtete sich ferner gegen die Beteiligung am Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) mit einem Volumen von 60 Mrd. Euro. Im Zusammenhang mit dem ESFM wurde außerdem die Zweckgesellschaft EFSF (European Financial Stability Facility) errichtet. An dieser in Luxemburg ansässigen AG sind die Staaten der Euro-Zone beteiligt und haften mit Garantien in Höhe von 440 Mrd. Euro. Der IWF komplettiert mit 250 Mrd. Euro das Gesamtvolumen der Stabilisierungsinstrumente auf 750 Mrd. Euro.

Die Beschwerdeführer rechneten vor, dass die Garantien Deutschlands für den EFSM/EFSF 147,6 Mrd. ausmachen. Dazu kämen die 22,4 Mrd. aus der ersten Hilfsaktion, insgesamt also etwa 170 Mrd. Euro.

Das Gericht war der Ansicht, dass dieser Betrag, falls er fällig würde, noch verkraftbar wäre, obwohl er weit mehr ausmacht als die Hälfte des Bundeshaushalts. Er sei durch „Einnahmesteigerungen, Ausgabenkürzungen und über längerfristige Staatsanleihen, wenn auch unter Verlust von Wachstumsmöglichkeiten und Bonität mit entsprechenden Einnahmeverlusten und Risikoaufschlägen, noch refinanzierbar“. Es sei nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber diese Summe als „haushaltswirtschaftlich hinnehmbar“ einschätze.

Eine Obergrenze der Haftung ist nach Auffassung des Gerichts erst erreicht, wenn „die Haushaltsautonomie jedenfalls für einen nennenswerten Zeitraum nicht nur eingeschränkt würde, sondern praktisch vollständig leerliefe.“ Bei der Risikobeurteilung habe der Gesetzgeber einen Einschätzungsspielraum, der vom Bundesverfassungsgericht zu respektieren sei. Es habe sich bei der Feststellung einer „verbotenen Entäußerung der Haushaltsautonomie“ im Hinblick auf den Umfang der Gewährleistungsübernahme „auf evidente Verletzungen“ zu beschränken.

Das Gericht zog jedoch auch Schranken für Parlament und Regierung ein. Das Grundgesetz schütze „die wahlberechtigten Bürger vor einem Substanzverlust ihrer verfassungsstaatlich gefügten Herrschaftsgewalt durch weitreichende oder gar umfassende Übertragungen von Aufgaben und Befugnissen des Bundestages, vor allem auf supranationale Einrichtungen“.

Das wäre der Fall, wenn „die Gefahr besteht, dass die Kompetenzen des gegenwärtigen oder künftigen Bundestages auf eine Art und Weise ausgehöhlt werden, die eine parlamentarische Repräsentation des Volkswillens, gerichtet auf die Verwirklichung des politischen Willens der Bürger, rechtlich oder praktisch unmöglich macht“.

Der Bundestag müsse dem Volk gegenüber verantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entscheiden. Auch in einem System intergouvernementalen Regierens müssten die Abgeordneten die Kontrolle über grundlegende haushaltspolitische Entscheidungen behalten.

Es dürften vom Gesetzgeber keine unbestimmten haushaltspolitischen Ermächtigungen „auf andere Akteure“ übertragen werden. „Insbesondere darf er sich, auch durch Gesetz, keinen finanzwirksamen Mechanismen ausliefern, die - sei es aufgrund ihrer Gesamtkonzeption, sei es aufgrund einer Gesamtwürdigung der Einzelmaßnahmen - zu nicht überschaubaren haushaltsbedeutsamen Belastungen ohne vorherige konstitutive Zustimmung führen können.“

Darüber hinaus müsse „gesichert sein, dass hinreichender parlamentarischer Einfluss auf die Art und Weise des Umgangs mit den zur Verfügung gestellten Mitteln besteht.“

Bei Anwendung dieser Leitsätze dürfte der ESM, der den EFSM/EFSF im Jahr 2013 ablösen soll, grundgesetzwidrig sein. Gut möglich, dass die Abstimmung darüber deswegen überraschend von September auf voraussichtlich Dezember vertagt wurde. Beim ESM könnte der Gouverneursrat das Kapital nach Belieben erhöhen, ohne dass der Bundestag widersprechen könnte. Deutschland müsste zahlen, und wenn es zwei Billionen Euro wären. Allein der Versuch, einen solchen Vertrag durchzubringen, zeigt die zweifelhafte Einstellung der Bundesregierung zum Grundgesetz und dass ihr das Wohl Deutschlands völlig egal ist, wenn es um ihre europäischen Allmachts- und Führerfantasien geht.

Bezeichnend ist auch, mit welchem Argument die Regierungsvertreter beim Bundesverfassungsgericht dem Vorwurf begegneten, die Verträge verstießen gegen die Bail-out-Klausel. Ein solcher Verstoß liege nicht vor. Es sei nicht gesagt, dass Art. 125 AEUV „finanziellen Beistand an Mitgliedstaaten generell verbiete. Man müsse nicht Beistand leisten - aber man dürfe es.“

Die Deutschen haben sich bei der Einführung des Euro auf das Wort der Politiker verlassen und erfahren nun, dass ein einfacher Winkeladvokatentrick genügt, um ihren Willen zu unterlaufen. Im Urteil kommt der Begriff „Bail-out“ 15-mal vor. Das Bundesverfassungsgericht hat ihn für die Urteilsbegründung nur ein einziges Mal benutzt – in Klammern und ohne weiter darauf einzugehen.

Leider, so muss man heute sagen, haben die Deutschen in ihrer naiven Gutmütigkeit und ihrem Hang zur Illusion im Jahr 1992 zugelassen, dass der Artikel 23 neu ins Grundgesetz eingefügt wurde. Er regelte zuvor den Geltungsbereich des Grundgesetzes und wurde mit dem Tag der Wiedervereinigung aufgehoben. In der Neufassung gilt er als der „Europa-Artikel“ und zeichnet den Weg zu einem vereinten Europa vor:

„Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen.“

Auf Artikel 23 können sich deutsche Politiker und das Bundesverfassungsgericht immer wieder berufen, wenn die Politik dem Wählerwillen enteilt. Dem Bürger indes war sicher nicht bewusst, dass der Artikel eines Tages dazu missbraucht werden könnte, das vereinigte Europa über die Köpfe der Bürger hinweg zu erzwingen.

Aber damals konnte man auch noch nicht davon ausgehen, dass es einmal eine Regierung mit einer Kanzlerin geben würde, die aus der DDR stammt und zur Bundesrepublik offenbar nicht mehr Bindung hat als zu Europa.

http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20110907_2bvr098710.html

http://www.kfw.de/kfw/de/KfW-Konzern/Medien/Aktuelles/Pressearchiv/2011/20110622_51364.jsp

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