Gastautor / 18.11.2014 / 11:00 / 3 / Seite ausdrucken

Eine Kanzlerin auf Kriegsfuß mit unabhängiger Erkenntnisgewinnung

Von Gerd Held

Ein Satz ist nur ein Satz, doch manchmal sagt er mehr als eine ganze Regierungserklärung.  So einen Satz hat kürzlich die Kanzlerin gesprochen, als sie das Gutachten des Sachverständigenrats zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung entgegenzunehmen hatte. „Es ist nicht ganz trivial zu verstehen“, bekundete Frau Merkel den versammelten Journalisten, „wie ein Beschluss, der noch nicht in Kraft ist, jetzt schon eine konjunkturelle Dämpfung hervorrufen kann“. Wenn also die Sachverständigen einen Zusammenhang zwischen dem 2015 in Kraft tretenden Mindestlohngesetz und der Eintrübung der Wirtschaftslage herstellen, so sei das prinzipiell verfehlt. 

Der Sache nach ist eigentlich alles klar. Die Kanzlerin hat Unrecht, die Wissenschaftler haben Recht. Es gehört zum Grundbestand ökonomischen Wissens, dass Maßnahmen, die die Wirtschaftsbedingungen ändern werden, von den Marktteilnehmern in ihrem Handeln vorausschauend berücksichtigt werden („antizipieren“ ist der Fachausdruck). Solche Wirkungszusammenhänge darzustellen, ist Aufgabe der Sachverständigen. Es geht an dieser Stelle auch nicht um einen Einzelfall. Wenn Frau Merkel das Argument streichen will, dass eine zukünftig drohende Kostenbelastung das aktuelle Wirtschaften belastet, dann sind wir mitten in der Schuldenkrise. Und auch zur Streichung eines zweiten Arguments ist es nicht weit – der Streichung des Arguments nämlich, dass ein Land Ordnung braucht und dass sein Gang ohne verlässliche Eigentums- und Mobilitätsrechte, ohne dauerhaften Schutz der Sozialkassen vor Missbrauch, ohne berechenbare Außenpolitik jeden Tag ein bisschen unsicherer und missmutiger wird.

Doch ist hier nicht allein das „Was“ der Aussage bedeutsam, sondern auch das „Wie“. Frau Merkel tritt im aufgebrezelten Wortgewand auf und verbirgt darunter eine ganz hausbackene Logik (Wie kann etwas, was noch gar nicht Kraft ist, schon eine Wirkung haben?). Das völlig sinnlose Hantieren mit dem Wort „trivial“ soll das Terrain der gutachtenden Wissenschaftler besetzen, während in der Sachfrage eine platte Milchmädchen-Physik regiert. Ja, hier spricht die Macht und sie spricht mit beträchtlicher Dummheit zu einem wissenschaftlichen Lageurteil, das bisher im institutionellen Gefüge der Bundesrepublik eine gewichtige Rolle hatte. Wer dachte, das abschätzige Urteil über „ein paar Professoren“ sei nur Parteitaktik gegenüber der AfD gewesen, sieht sich jetzt eines besseren belehrt. Die Wissenschaft selber ist im Visier. Eine Regierung, die sich sowieso recht viel damit beschäftigt, ob das Volk wohl das Richtige denkt, steht auf Kriegsfuß mit jeder unabhängigen Erkenntnisgewinnung. Nicht zufällig erklärte am gleichen Tag die Generalsekretärin der SPD, Frau Fahimi, das Wirtschaftsgutachten sei „in seiner ganzen Methodik nicht mehr auf der Höhe der Zeit“. Ja, in diesen Tagen lassen die Regierenden das Volk wissen, dass sie von der Wissenschaft nur noch dann etwas halten, wenn sie sich mit ihnen „auf der Höhe der Zeit“ ins gleiche Boot setzt und – wie sagte noch Herr Schäuble? – „auf Sicht segelt“.

Na gut. Wenn die Kanzlerin sich dumm stellt, kann das Land sich darauf seinen eigenen Reim machen. Ignorieren wir die Ignoranz. Hören wir auf, in der immer weiter verdünnten Suppe der Merkeljahre noch mühsam nach Substanz zu fischen. Mal ehrlich: Wer hört denn eigentlich noch genauer hin, wenn diese Kanzlerin ans Mikrophon tritt?

Dr. Gerd Held ist Privatdozent am Institut für Stadt- und Regionalplanung der Technischen Universität Berlin

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Leserpost

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Dr. Gerd Brosowski / 18.11.2014

Es hört niemand mehr hin, wenn Frau Merkel ans Mikrofon tritt? Hoffentlich ist es so, es wäre dringend zu wünschen. So hat die Dame dieser Tage Presseberichten zufolge ihren Gefühlen freien Lauf gelassen und hat im Anschluss an das G 8 – Treffen in Australien Putin öffentlich und heftig kritisiert. Welche Problem oder auch nur Problemchen hat sie mit ihren Ausfällen gelöst? Kein einziges, aber sie hat einige sehr schwierige verschärft. Und das Getöse erfolgte just zu einer Zeit, als der deutsche Außenminister sich in Moskau als Vermittler versucht. Es wäre zu wünschen, dass der Autor recht hätte und dass niemand, auch Putin nicht, hinhörte, wenn die Dame ans Mikrofon tritt.

Otto Sundt / 18.11.2014

In einem Land in dem die Lehrstühle für “Genderforschung” nur so verramscht werden hat eben Wissenschaft eine besondere Qualität, bzw. keine. Die Kanzlerin kann Tsunamis und shit storms antizipieren und provozieren. Die Unterstellung, sie wisse es besser, ist sehr fragwürdig.

Klaus Lepinat / 18.11.2014

Sehr geehrter Held, Sie fragen: “Wer hört denn eigentlich noch genauer hin, wenn diese Kanzlerin ans Mikrophon tritt?” Ich höre hin und halte das Gegenteil von dem für richtig, was die Dame sagt! Im vorliegenden Fall wieder mal ein Volltreffer!

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