Stefan Klinkigt / 04.08.2019 / 06:15 / Foto: S.Klinkigt / 27 / Seite ausdrucken

Ein Genie, das niemals in seinem Leben Anerkennung fand

„Hätte man Mozart wegen „wahnhaften Komponierens“ einsperren können? Karl Hans Janke wurde 1949 wegen „wahnhaften Erfindens“ und diagnostizierter Schizophrenie in die Psychiatrie eingewiesen. Immer wieder forderte er seine Freiheit. Er hatte kein Verbrechen begangen und war nicht gefährlich, dennoch wurde er in der DDR weggesperrt – 40 Jahre, bis zu seinem Tod. Warum? Ein neuer Film befragt Ärzte, Wissenschaftler und Menschen, die Janke noch kannten. ‚Er hat lediglich nicht in die gesellschaftliche Norm gepasst und sich etwas eigentümlich verhalten.‘“ (3sat: „Genie und Wahnsinn – Der Fall Janke“

In wenigen Wochen, am Mittwoch, den 21. August 2019, wäre Karl Hans Janke 110 Jahre alt geworden. Wohl den wenigsten wird dieser Name irgend etwas sagen. Er starb 1988 als Insasse der psychiatrischen DDR-Klinik Hubertusburg im sächsischen Wermsdorf (zwischen Grimma und Oschatz), in die man ihn 38 Jahre vorher mit der Diagnose „chronisch paranoide Schizophrenie” eingewiesen hatte. Erst vor wenigen Jahren erfuhr ich von der tragischen Lebensgeschichte dieses genialen Künstlers und Erfinders. 

1949 wurde der Flüchtling aus Pommern, Karl Hans Janke, im sächsischen Großenhain wegen angeblicher „faschistischer Propaganda” verhaftet. Er betrieb dort eine kleine Werkstatt für Kinderspielzeug und hatte in seinem Schaukasten einen Zettel angebracht mit der Aufschrift: „Mit dem heutigen Tage dürfen keine Spielsachen für die Kinder mehr angefertigt werden, da wir das ‚Material‘ für Kanonen brauchen. A. Hitler. Drei Dinge sollen sie haben, 1.) eine große Schnauze zum tüchtigen Angeben. 2.) einen Fußball zum Austoben, 3.) ein Gewehr zum Kriegführen.“ (zitiert aus Jankes Krankenakte, Quelle: Wikipedia).

Fast alles weggeworfen

Nach einer anfänglichen Unterbringung in der psychiatrischen Klinik Arnsdorf – einem Nachbarort meiner Heimatstadt Stolpen und bei uns Kindern der 60er Jahre damals nur als „die Irrenanstalt” bekannt und gefürchtet – verlegte man ihn schließlich in die psychiatrische Klinik Hubertusburg nach Wermsdorf. Die Symptome „wahnhaftes Erfinden” seiner Krankheit, die ihm diagnostiziert wurde, reichten offenbar, um ihn dort für den Rest seines Lebens als „Verrückten“ wegzusperren. In dieser Zeit erlaubte man ihm, seinem „Wahn” freien Lauf zu lassen, das heißt, er fertigte von seinen Erfindungen unermüdlich und akribisch hochkomplexe technische Zeichnungen und Modelle an. Als die Anstaltsleitung nach vielen Jahren die Absicht äußerte, die mittlerweile riesige Menge an Zeichnungen aus „Brandschutzgründen” fortzuwerfen, bat er flehentlich darum, diese Arbeiten aufzubewahren.

Nach 38 Jahren starb er und wurde vergessen. Fast alle Modelle hatte man weggeworfen und nur einen Teil seiner Zeichnungen und Briefe in alten Koffern und Holzkisten deponiert. 1998 erinnerte man sich schließlich an den früheren Insassen. Was der neue Chefarzt der Klinik, Dr. Peter Grampp, dann schließlich auf dem Dachboden des Hauses fand, ließ ihm den Atem stocken: Zum Vorschein kamen, verpackt in mehrere Holzkisten, über 2.000 Zeichnungen und Briefe.

„Die Zeichnungen sind gerollt oder auf Postkartengröße zusammengefaltet, jeden Papierbogen falten Grampp und seine Mitarbeiter vorsichtig Stück für Stück auf. Zum Vorschein kommen Raumschiffe, die Namen tragen wie Sonnenland, Terra Venussa oder Deutsches Raum-Trajekt Venusland. Dieses Fluggerät, erläutert der Begleittext in feinster Handschrift, sei die ‚beste Lösung des Raumflug-Problems‘. Manche Zeichnungen sind anderthalb Meter breit, häufig koloriert, zu sehen sind darauf Triebwerke, Generatoren, Apparaturen wie der Atom-Magnetische Strahl-Hitze-Kolben, das Deutsche Atomtriebwerk oder der Atom-Express, ästhetisch und technisch ein futuristischer ICE.“ (Bericht aus der Berliner Zeitung)

Das doppelt Faszinierende – neben der genialen technischen Erfindungsgabe von Janke – ist die außergewöhnliche künstlerisch-ästhetische Qualität und zeichnerische Vollendung der Arbeiten. Absolut nichts daran – obwohl das so bei Wikipedia behauptet wird – ähnelt in irgendeiner Weise der sogenannten „Art Brut”, der oftmals sehr interessanten aber auch markanten Kunst psychisch kranker Menschen. Man legte die Zeichnungen 2001 dem Kunsthistoriker Jan Hoet, Leiter der Documenta IX (1992), vor, der sie in ihrer technischen und künstlerischen Perfektion in die Nähe der Werke von Leonardo da Vinci rückte. Welchen Preis Jankes Arbeiten heute auf dem Kunstmarkt erzielen würden, ist schwer abschätzbar, da es nichts Ähnliches oder Vergleichbares gibt, was daher ihren Wert ungemein steigen lässt.

Der Urvater des GPS-Systems

Janke hatte sich zeitlebens jedoch nie als „Künstler”, sondern stets als Erfinder verstanden. Wenn auch die Realisierbarkeit vieler seiner Erfindungen infrage gestellt werden muss, so zeigt sich doch sein Genie in ähnlicher Weise wie bei dem visionären Schriftsteller Jules Verne ein Jahrhundert zuvor. Obwohl Janke niemals ein technisches Studium absolviert hatte (nachgewiesen ist wohl nur ein Semester Zahnmedizin), war sein technisches Verständnis frappierend: So erfand er neben „Atom-Autos”, einer „Atom-Lokomotive”, Raumfahrzeugen und raketenähnlichen Antrieben einen ganzen Kosmos von Maschinen und technischen Apparaten – darunter einen Video-Beamer. Man kann in ihm sogar den Urvater des GPS-Systems sehen. Bereits 1939 erfand er den Urtyp des modernen Navigationssystems, für den wenige Jahre später ein Patent erteilt wurde. In der Reichspatentschrift Nr. 743758 vom 31. Dezember 1943 zu seinem „Standortanzeiger“ heißt es: 

„Die vorliegende Erfindung betrifft eine Anordnung zur selbsttätigen Anzeige der geographischen Lage eines Fahrzeugs, insbesondere Luftfahrzeugs, auf einer Landkarte durch aufeinanderfolgende Anpeilung zweier auf gleicher Welle mit verschiedener Kennung arbeitender drahtloser Sendestationen von bekannter Lage und Projektion der Peilrichtungen auf die Landkarte und ermöglicht damit dem Führer des Fahrzeugs, den jeweiligen Standort bezüglich der Landschaft auf einfachste Art selbst zu ermitteln...“

Einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangte dieser geniale Geist nach dem Wiederauffinden seiner Werke in den Medien lediglich als „Der verrückte Erfinder” (Berliner Zeitung), „Der Mann, der zuviel wusste” (Stern) und als „deutscher Künstler und pathologischer Erfinder” (Wikipedia). Was hätte aus ihm werden können, wenn er nicht zur falschen Zeit am falschen Ort gelebt hätte? 

Bis auf wenige Ausnahmen – an dieser Stelle sei der Verein „Rosengarten e.V.“ genannt, der Jankes Nachlass verwaltet und das kleine, bescheidene Museum im Wermsdorfer Schloss betreibt – erfährt Jankes Werk bis heute leider nur sehr spärliche Anerkennung. Neben einigen regionalen Ausstellungen in Deutschland wurden etliche seiner Werke 2013 im Londoner Southbank Centre gezeigt. Im Rahmen der Ausstellung „Outer Space“ 2014 in der Bonner Bundeskunsthalle hatte man ihm ein – leider nur sehr bescheidenes – Plätzchen für zwei seiner großartigen Zeichnungen eingeräumt.

Epilog: Meine Cousine, die heute über 70 Jahre alt ist, hatte in den 1960er Jahren in der Anstalt Hubertusburg Wermsdorf eine Schwesternausbildung absolviert – auf derselben Station, in der Karl Hans Janke untergebracht war, wie ich kürzlich in Erfahrung bringen konnte. Ich habe sie nämlich danach gefragt. Ja, natürlich erinnert sie sich an „den Herrn Janke”, diesen netten, freundlichen und sehr liebenswerten älteren Herrn, der dort quasi „Freigänger” war und den daher viele Ortsansässige kannten. Dass man mit Janke ein außergewöhnliches Genie in Wermsdorf „beherbergt“ hatte, war ihr allerdings bis in die heutige Zeit nicht bewusst. Seine unglaubliche Lebensleistung hat offenbar kaum jemand, der ihm damals begegnet ist, bis heute überhaupt begriffen. Das finde ich besonders traurig.


Hier geht’s zur 3sat-Dokumentation: Genie und Wahnsinn – Der Fall Janke

Und hier geht es zu einer sympathischen kleinen Ausstellung über Karl Hans Janke in Schloss Hubertusburg in Wermsdorf.

Foto: S.Klinkigt

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Peter Thomas / 04.08.2019

Jeder Mensch ist ein Universum. Stefan Klinkigt erinnert an Karl Hans Janke. Der genial war. Oder verrückt. Oder beides. War die Anstalt ihm Hölle, oder eher Refugium, oder war sie vielleicht dies als auch jenes? Jahrzehnte in der Anstalt: Robert Walser. Gäbe es seine Kunst ohne die Anstalt? /// Aufgebracht hat mich der Kommentar von J.S.:  “Dresden 1945 zeigte, daß auch massive Behandlungen der deutschen Schizophrenie nicht dieses Ereignis von 1949 verhindern konnte. Das deutsche Volk muß als unheilbar gelten.”  /// Ein zehntausendfacher Mord als Behandlung einer “Volkskrankheit” - und die auch noch “erfolglos”!?  Also, her mit der Medizin, Herr J.S.: Was soll die “Weltgemeinschaft” (doppellachminusplusschlecht) anstellen mit einem “unheilbaren Volke”?? Wie wäre es mit den Rezepten des Herrn aus Braunau?

Stefan Zorn / 04.08.2019

Intelligenz ist kein Kriterium für Erfolg…

Hans-Peter Dollhopf / 04.08.2019

Kaum auszudenken, wie Greta dort damals geendet hätte. “Wahnhaftes CO2-Sehen”? Heute wird so was ja Gott sei Dank verklärt.

Peter Stelzer / 04.08.2019

Danke für die Würdigung dieses ungewöhnlichen Menschens. Allerdings darf auch dabei die Phantasie nicht überschießen. Zur angeblichen Erfindung des GPS-Systems habe ich leider einige kritische Anmerkungen. Es handelt sich nämlich mitnichten um ein Satelliten-gestütztes Navigationssystem, sondern um ein terrestrisches (Funkfeuer auf der Erde). Dies wiederum war im 2. Weltkrieg sowohl in England als auch in Deutschland in der Entwicklung und teilweise auch Anwendung. Nach dem Krieg wurde das System unter dem Namen Decca bekannt und später durch Loran C mit größerer Reichweite ergänzt. Dass Journalisten und Kunsthistoriker unter Navigation nur GPS verstehen können sei entschuldigt. Ich denke, Herr Janke hatte in den dreißiger Jahren große Ohren für das, was in Entwicklung war. Verklären sollten wir dies aber nicht.

Dirk von Riegen / 04.08.2019

@Johannes Schuster “Deutschland hat seit 1933 konsequent seine Intelligenz ausgerottet und die Nation den Dummen und Naiven überlassen.” Entschuldigen sie, lieber Herr Schuster, aber das ist vollkommener Unsinn, was sie hier schreiben. İnsbesondere wenn sie sich mal die technischen Entwicklungen waehrend der Kriegsjahre anschauen, ich nenne da nur die “V-1” oder “V-2” und das erste einsatzbereite Düsenflugzeug Me 262, kann man wohl kaum von “İntelligenz ausrotten” schwadronieren. Auch nach dem Kriege waren deutsche Erfindungen, deutsche Techniken und die dazugehörige İngenieurs- leistungen weltweit geachtet. Erst in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten, wo gesellschaftlich und bildungstechnisch immer mehr “gleichgeschaltet” wurde, ging es mit dem deutschen “Erfindungsgeist” teilweise drastisch bergab. Wo sollen auch “Erfinder”, “Techniker” oder gar hohe İntelligenz kommen, wenn man die Bildung an dem Schulen und Unis so drastisch vernachlaessig hat. Da lob ich mir doch die Schule und die Unis der 30er, 40er, 50er und teilweise 60er Jahre, wo wirklich noch gelernt und studiert wurde.

Rolf Lindner / 04.08.2019

Er hätte genauso wie Lyssenko auch zu einer Ikone der sozialistischen Wissenschaft erklärt werden können. Man stelle sich nur vor, man hätte die Idee des Atomantriebs für Lokomotiven verwirklicht. Lokomotiven, die kein CO2 erzeugen, und wenn sie Pause haben, speisen sie Strom in den Netzspeicher ein. Grüne müssten eigentlich zwingend auf solche Ideen kommen.

Robert Jankowski / 04.08.2019

Danke für den Bericht! Es ist bitter und zum Weinen! Wer in einen Apparat nicht hineinpasst, landet eben in der Kiste mit unbrauchbaren Teilen. Der Apparat ist wichtig, nicht das Individuum. Ein Fall mehr der zeigt, warum es ein Skandal ist, einem Herr Gysi im Oktober die Hauptrede in Leipzig halten zu lassen!

Ralf Pöhling / 04.08.2019

Was sagt das über eine Gesellschaft aus, wenn sie ihre hochbegabten Talente in die Irrenanstalt sperrt? Richtig, in so einer Gesellschaft bestimmen untalentierte Idioten den Kurs. Was für ein Verlust für die Menschheit. Aber kein Einzelfall. Talent gehört gefördert und Talent gehört der Weg geebnet. Erst recht dann, wenn die Idioten in der Gesellschaft die Mehrheit stellen. Denn Idioten profitieren davon, wenn ihnen Talente neue Türen öffnen. Sie selbst können es ja nicht.

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