Thomas Rietzschel
Was für ein Theater, das ganze Land trägt Trauer, allenthalben beweinen sie das „tragische“ Schicksal der Annette Schavan. Wie ein antiker Held, so scheint es, wurde die aufrechte Frau von den Verhältnissen zu Fall gebracht.
Sogar der politische Gegner verneigt sich in Ehrfurcht. „Respekt“, „Respekt“ tönt es auf allen Kanälen. Schon an dem Tag, da die Düsseldorfer Uni der Bundesbildungsministern den Dr.-Titel entzog, gingen die journalistisch aktiven unter den Berliner Hofschranzen auf Sendung. In den Tagesthemen sprach der Leiter des ARD-Hauptstadtstudios Ulrich Deppendorf davon, dass die Universität mit dem Verfahren überfordert gewesen sei, dass sich der Fall nicht mit dem des Karl-Theodor zu Guttenberg vergleichen ließe, dass es gelte, Dr. hin oder her, die „Lebensleistung“ der Vertrauten von Angela Merkel zu bedenken.
Tag für Tag schwoll der Bocksgesang lauter an. Nach dem erfolgten Rücktritt der akademisch degradierten Ministerin war gar von gnadenloser „Strafverfolgung“ die Rede. Selbst ein Mord, hieß es, wäre nach so langer Zeit, 33 Jahre nach der Tat, verjährt, während das Plagiat in der Dissertation unentwegt „verfolgt“ würde – verfolgt von böswilligen „Palgiatsjägern“ und beckmesserisch argumentierenden Professoren.
Meine Güte, was für einen Blödsinn haben wir da in den letzten Tagen zu hören bekommen. Aus der taumelnden Mücke wurde ein strauchelnder Elefant. Die Phantasie triumphierte über die Banalität des Verfahrens. Weder wurde Annette Schavan bisher strafrechtlich verfolgt noch hat sie derartiges zu befürchten. Wer gleichwohl so tut, als sei sie tragischer Weise in irgendeine Verbrecherkartei geraten, will nur die peinliche Wahrheit verdrängen, die Tatsache nämlich, dass ihr der Dr.-Titel wegen mangelnder Qualifikation entzogen wurde. Das, was sie ehedem abgeliefert hat, genügt ganz einfach nicht den Anforderungen, die an eine wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Doktorgrades zu stellen sind. Dass da einige seinerzeit beide Augen zugedrückt oder schludrig geprüft haben mögen, ändert nichts an dem Ungenügen. Die Maßstäbe galten damals wie heute, sie sind nicht verjährt. Durchgefallen ist durchgefallen.
Es mag ja durchaus sein, dass Annette Schavan selbst noch immer glaubt, nicht getäuscht zu haben. Nur werden die akademischen Titel nicht für das vergeben, was man von sich selbst hält. Das sollte eine Bildungsministerin eigentlich wissen. Was zählt, ist die nachgewiesene Leistung, nicht die gute Absicht, auch wenn die leistungsmüde Gesellschaft dazu neigt, das Gegenteil anzunehmen. So wenig wie Unwissenheit vor Strafe schützt, so wenig schützt sie davor, wieder zu verlieren, was man man sich ohne Berechtigung angeeignet hat.
Da ist es Anette Schavan jetzt ergangen wie dem ertappten Ladendieb im Supermarkt. Begeistert von der Fülle des Angebots, steckt er sich in die Tasche, was ihm gefällt. Wem sollte das schaden, wo doch so viel von allem da ist. Wenn ihn der Hausdetektiv dann hinter der Kasse stellt, mag er zwar beteuern, dass er sich nichts Böses dabei gedacht und nicht wissentlich gestohlen habe, helfen wird ihm das aber wenig. Selbst wenn man den armen Teufel laufen lässt, muss er wieder hergeben, was er sich ohne entsprechende Gegenleistung in die Tasche stecken wollte.
Und nicht mehr ist schließlich auch unserer Bildungsministerin widerfahren. Ihr wurde ein Titel genommen, den sie nie aus der Uni hätte tragen dürfen; und der Verlust des Amtes folgte der verlorenen Reputation schließlich auf dem Fuß. Das war es dann aber auch. Weiteres, die vielfach unterstellte Verfolgung, hat Annette Schavan nicht zu befürchten, man wird sie laufen lassen. So wie sich die Banalität herumspricht, verliert die inszenierte Tragödie ihren Unterhaltungswert.