Dreyfus, Polanski und #MeToo

Frankreich ist ein Kinoland mit einer einigermaßen intakten Filmindustrie. Dies belegen immer wieder großartige Filme. Hier gibt es die letzten Filmstars in Europa wie Cathérine Deneuve oder Isabelle Huppert und andere. Unser Nachbarland hat also allen Grund, seine Filmkultur und die Macher der Filme zu feiern und stolz auf sie zu sein. Sichtbar wird dies besonders bei den alljährlichen Verleihungen der „Césars“, der französischen Filmpreise. In diesem Jahr werden sie am 28. Februar verliehen. Nominiert ist auch „J’accuse“, der neue Film des polnisch-französischen Regisseurs Roman Polanski.

Im Herbst 2019 wurde „J‘accuse“ in Frankreich gestartet. (Deutscher Titel „Intrige“, seit 6. Februar 2020 in den deutschen Kinos). Bei den Filmfestspielen in Venedig erhielt der Film im letzten Jahr einen Goldenen Löwen. Nun war und ist er Auslöser eines mittleren Skandals.

Polanski verfilmte die Ereignisse um den jüdisch-französischen Hauptmann Alfred Dreyfus im ausgehenden 19. Jahrhundert. Der Hauptmann war der erste jüdische Offizier im französischen Generalstab. Bekannt als Dreyfus-Affäre ging diese als einer der größten Justizskandale in die französische Geschichte ein. Alfred Dreyfus fiel einer gut durchkomponierten Intrige zum Opfer. Militär und Justiz beschuldigten ihn zu Unrecht, Spionage für die deutsche Armee betrieben und somit Hochverrat begangen zu haben.

Der Prozess, mit falschen und unter Druck gesetzten Zeugen, offiziell abgesegneten Lügen und gefälschten Dokumenten, geriet zur Farce. Oberste Stellen der französischen Armeeführung hatten dabei ihre Hände im Spiel. Möglich war all dies nur in einem allgemeinen und bis in alle Bereiche der Gesellschaft ausgeprägten Klima des Judenhasses im Land. Besonders in der Armee war er besonders verbreitet. In einem Prozess, der an spätere Schauprozesse in der stalinistischen Sowjetunion erinnert, wurde Alfred Dreyfus zu einer hohen Gefängnisstrafe auf einer einsamen Insel verurteilt. Der Generalstabsoffizier Major Walsin-Esterházy, der Dreyfus belastet hatte, wurde von Armee und Politik gedeckt mit dem Ziel, den ungeliebten Juden aus der Armee zu entfernen.

„Ich klage an“

Der französische Schriftsteller und Journalist Émile Zola, späterer Literatur-Nobelpreisträger, verfasste daraufhin im Januar 1898 einen offenen Brief an den Staatspräsidenten Félix Faure mit dem Titel „J’accuse“, Ich klage an. Klar und deutlich beschrieb er darin die Intrige gegen Dreyfus, nannte die Namen der Personen in den höchsten Ämtern, die darin verwickelt waren. Der Brief wurde zu einem Skandal, das Land war tief gespalten. Émile Zola floh nach England ins Exil. In einem zweiten Prozess gegen Hauptmann Dreyfus wurde dieser verurteilt, einige Monate später dann begnadigt.

Auf der Basis dieser historischen Ereignisse hat Roman Polanski seinen Film „Intrige“ gedreht, wobei er sich eng an die Fakten hielt. Herausgekommen ist ein schnörkelloses Werk von großer moralischer und politischer Wucht. Zum ersten Mal wird in einem französischen Kinofilm derart schonungslos mit dem Antisemitismus im Land abgerechnet.

Dieser hatte sich auch im 20. Jahrhundert fortgesetzt. Erinnert sei nur an die willige Hilfestellung französischer Behörden und Polizeiorgane bei der Verfolgung der Juden während der deutschen Besetzung des Landes im 2. Weltkrieg. Gipfelpunkt dieser Judenhatz war seinerzeit die große Razzia in Paris im Juli 1942 und die Internierung tausender jüdischer Bürger im Velodrom der Stadt. Darunter befanden sich auch zahlreiche emigrierte deutsche Juden. Durchgeführt wurde diese Razzia von der französischen Polizei. Danach erfolgte der Transport in die deutschen Vernichtungslager.

Gesinnungsterror und #MeToo

Bereits im letzten Jahr bei den Filmfestspielen in Cannes gab es den #MeToo-Eklat um die Ehrung des Schauspielers Alain Delon. Ich schrieb seinerzeit bei Achgut.com darüber.

Nun ist Polanskis Film an der Reihe, in Frankreich nominiert in zwölf Kategorien für die diesjährigen „Césars“. Für die dortigen Unterstützer(innen) der #MeToo-Debatte ein ungeheurer Skandal! Weiß man doch (weiß man es wirklich?), dass Polanski über die Jahre immer wieder Frauen belästigt, ja vergewaltigt hat! In Hollywood ist er persona non grata. Als Mitglied der Oscar-Academy wurde er 2018 ausgeschlossen. In den USA gilt die Vorführung seiner Filme als Tabubruch.

Nach erneuen Vergewaltigungsvorwürfen (bisher keine Anklage, kein Prozess) ist in Frankreich ein stürmischer Meinungskampf ausgebrochen. Eine 62-jährige Frau „bricht ihr Schweigen“ und behauptet plötzlich, Polanski hätte sie als 18-Jährige vergewaltigt. Also vor 44 Jahren. Kann, darf und soll man das Werk eines Filmregisseurs von seiner Person, seinem Lebensstil, seinen möglichen persönlichen Verfehlungen trennen? Kann der Zuschauer es moralisch vertreten, sich einen Film dieses Regisseurs anzusehen?

Die französische Organisation „Women Safe“ und die Aktivistinnen der #MeToo-Debatte lehnen dies vehement ab. Es gibt Demonstrationen und Proteste gegen den Film vor Pariser Kinos. Und was sagt Alain Terzian, der Präsident der Académie des Césars? Der Filmpreis sei nicht dafür da, moralische Positionen einzunehmen. #MeToo-Organisationen sehen das anders. Sie gehen sogar noch weiter. Polanski zu ehren wäre, als würde man seine Opfer zum Schweigen bringen.“

Hier fehlen einem die Worte. Und da sind wir wieder mitten im Gesinnungsterror. Nicht mehr das Werk eines Künstlers ist der Maßstab, sondern seine Person und deren „political correctness“. So war es schon bei den Bücherverbrennungen im „Dritten Reich“. So hat es sich fortgesetzt in der DDR. In jüngster Zeit gegen weitere Künstler wie beispielsweise Emil Nolde. Bei der umfassenden Ausstellung seiner Bilder im letzten Jahr in Berlin gab es in den Begleittexten zur Ausstellung und in den Medien nur ein Thema: die angebliche oder tatsächliche Sympathie des Malers für den Nationalsozialismus. Erinnert sei auch an Uwe Tellkamp, den Verfasser des Bestsellers „Der Turm“. Sein Vergehen bestand darin, eine Erklärung gegen die Merkel’sche Einwanderungspolitik unterschrieben zu haben. Sogleich distanzierten sich seinerzeit empörte Kollegen und sein Verlag von ihm. Das Erscheinungsdatum seines neuen Romans verzögert sich aus fadenscheinigen Gründen. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Die Wahrheit stirbt zuerst

Angesichts der Thematik des Polanski-Films erscheinen die Proteste in Frankreich besonders absurd. Auch heute ist Antisemitismus dort weit verbreitet. Dieselben Demonstranten, die sich sonst so stark gegen Judenhass engagieren, möchten nun einen Film verhindern, der genau das in aller Deutlichkeit zeigt und analysiert.

Zudem ist „Intrige“ in mancher Hinsicht auch heute aktuell. Roman Polanski sagte dazu im Sommer 2019, so etwas könne heutzutage durchaus wieder geschehen:

„Alle Zutaten sind vorhanden: falsche Beschuldigungen, schlechte Arbeit bei Gericht, korrupte Richter und über allem Social Media, das ohne einen fairen Prozess verurteilt.“

Nachtrag:

Der Vorstand der Académie des Césars ist jetzt, zwei Wochen vor den Preisverleihungen, geschlossen zurückgetreten. Einer der Gründe war der immer stärkere Druck auf die Vorstandsmitglieder, der von Filmschaffenden und feministischen Organisationen wegen der mehrfachen Nominierung des Polanski-Films ausging.

Foto: Aaron Gerschel media.web.britannica.com via Wikimedia Commons

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Faina Kornblum / 15.02.2020

Zu Beginn möchte ich mich für einen hervorragenden Artikel bedanken. Als Zweites möchte ich Herrn Rosenberg beipflichten. Diese Metoo-Debatte hat für mich auch einen antisemitischen Beigeschmack. Was mich am meisten stört, ist dass gerade jetzt 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, wo jeder darüber spricht und Überlebende überall geehrt werden (was eine Ehrensache ist), vergessen wird, dass Roman Polanski auch ein Überlebender ist. Er ist in seiner Kindheit durch die Hölle gegangen, hat einen Teil seiner Familie verloren….. Er ist ein Holocaustüberlebender, aber er passt nicht ins Opferschema. Er ist erfolgreich, er spricht die Wahrheit aus, er ist auf die Gnaden der „Mächtigen“ nicht angewiesen. Er lässt sich nicht für linke Zwecke instrumentalisieren. Ich möchte mich bei Polanski für seinen Mut bedanken!

P. Kroll / 15.02.2020

Ich kann jedem Mann, ob als Arzt, Büroleiter, Lehrer, oder in anderer Position stehend, also irgendwie in der sog. Öffentlichkeit, nur den guten Rat geben, niemals mit einer “holden” Weiblichkeit alleine in einem Raum zu verweilen, wenn diese Person ihm fremd ist. Wie leicht befindet er sich da in einer teuflischen Küche. Selbst vor Kindern sollte er sich hüten. Trotzdem ist -Mann- nicht dagegen gefeit, dass noch nach Jahren oder Jahrzehnten ihm Übles angehängt wird, was gelogen ist.

Wilfried Cremer / 15.02.2020

Polanski sollte zum Islam konvertieren. Am besten während einer Demo gegen ihn. Dann sind die Teilnehmer im Handumdrehen Nazis. Und er ist aus dem Schneider. Aber ach, er hat ja keine Dame umgebracht…

Dr. Roland Mock / 15.02.2020

Ein weiterer Schritt in Richtung „Gleichschaltung“ des Denkens. Die linken Inquisitoren sollten vielleicht endlich konsequent sein und eine staatliche Zensurbehörde nach dem Vorbild der „Reichskulturkammer“ schaffen. Da lassen sich auch ganz easy Berufsverbote für alle, die nicht denken wie sie, durchsetzen. Französische Filmpreise nehme ich übrigens nicht mehr ernst, seitdem der Amerikahasser Michael Moore seinerzeit die „Goldene Palme“ für eines seiner Propagandawerke erhielt.

Silvana von Matt / 15.02.2020

Die wahre Bedrohung der Gegenwart sind Ökonazis und Linksfaschisten, die sich unter dem Deckmäntelchen die einzig “wahre Wahrheit” gepachtet zu haben, auf Kosten der Steuerzahler, jede erdenkliche Form der Propaganda, Beeinflussung und Umeziehungsmethoden erlauben können. Allen voran die durchwegs linken (Staats)Medien, die als Gesinnungstäter der Gender-GESTAPO, Gutmenschen-SS und Wohlstandsverblödungs-SA eine beispiellose menschenfeindlich Hetze und Verurteilung unwidersprochen betreiben können. Zuoberst als Führerin die Mutti, die definiert was “Demokratie” zu sein hat und was nicht. Wobei im wohlstandsverblödeten Gutmenschen-Westeuropa die Demokratie längst zu einer Ochlokratie* verkommen ist. Wo Leute an der Urne abstimmen können, die ausnahmslos von Steuergeldern und staatlichen Zwangsabgaben leben, kann der Wendepunkt nicht mehr weit entfernt sein. Die Geschichtsklitterung findet laufend statt, bezeichnend und passend auch dass man Hitlers (N) Sozialistische (D) Arbeiterpartei und sein Parteiprogramm bis heute als “rechts” bezeichnet obschon Hitler und seine Nazischergen durch und durch Linke waren (man vergleiche Parteiprogramm der NSDAP mit demjenigen der Linken, Grünen etc.). Während die Nazis “nur” die “kapitalistischen Judenschweine” bekämpfen wollten, wollen die modernen Vorkämpfer für ein “gerechtes” und “soziales” Europa konsequenterweise gleich alle “kapitalistischen Schweine” vernichten. Dabei bedient man sich an Euphemismen wie “Toleranz”, “Weltoffen”, “Liberal” und die dumme, bildungsferne Wählerschaft fällt darauf rein – wobei: irgendwo müssen all die bildungsfernen Geistes"wissenschaftler”, Tschender-Fotzis, Sozial"arbeiter”, Subventionskünstler, möchte-gerne-Kulturellen ja unterkommen. In der Privatwirtschaft taugen die bekanntlich zu nichts.

Thomas Weidner / 15.02.2020

EUdSSR - ist wohl doch die korrekte Bezeichnung… Und wir lassen diese Transformation zu!

Rudolf George / 15.02.2020

Es setzt sich in den Künsten fort, was in Politik und Medien schon vollzogen wurde. Die Mittelmäßigen und Nichtskönner entledigen sich der Qualitätskonkurrenz durch moralisch aufgeladene Hetzjagden.

Robert Rosenberg / 15.02.2020

Wieso sind eigentlich so viele Juden unter denjenigen, die von den MeeToo-Leuten beschuldigt werden? Ich sah neulich mal ne Grafik mit Mug-Shots der Hollywood-Bossen, die so beschuldigt wurden, und das waren fast ausschließlich Juden. Ein weißer, ein Schwarzer, ich glaube sogar ein ein Asiate, und sonst nur Leute jüdischer Abstammung. Das ist doch reiner Antisemitismus! Ebenso die Hexenjagd gegen Roman Polanski. Das geht doch immer noch um die Geschichte mit dieser Dreizehnjährigen, die er vor 50 Jahren unter Drogen gesetzt hat, um sie ins Bett zu kriegen.

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