Jens Richter
Deutsche Differenzierer arbeiten nicht immer unter Hochdruck und hinterlassen Bleiwüsten in Printmedien und schweißnasse Tastaturen. Nein, wenn es um die USA und um Israel geht, schrauben sie eine Energiesparbirne auf den Hals und geben klare Kante: Die USA wollen immer nur das Öl, überfallen völkerrechtswidrig ein Land nach dem anderen und nieten alles um, was ihnen vor die Wumme kommt, und wenn Israel nicht von deutscher Hand gebremst wird, expandiert es von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt und will auch Schlesien wieder haben. Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen, ein befreiendes Abnicken geht durchs ganze Land, und der Autor hat bewiesen, dass auch Deutsche Nazijäger von Weltniveau sind.
Bei den Moslems sieht das anders aus. Islam ist kein Wattepusten, hier werden die Differenzierungsärmel hochgekrempelt: der Islam ist von Natur aus friedlich und tolerant, lernen wir. Über 1.4 Milliarden Moslems tun keiner Fliege was zuleide und halten sich auch bei anderen Lebewesen stark zurück. Natürlich gibt es einige wenige Moslems, deren Gewaltbereitschaft durch die amerikanischen Expansionskriege aufgestachelt wird. Aber auch hier muss der deutsche Tiefbewegte unbedingt differenzieren: unlängst konnte man u.a. aus der ZEIT.de lernen, dass es eigentlich nur die Salafisten sind, die den Koran ganz anders auslegen als alle anderen und die deshalb hin und wieder ihrem Unmut, oder aktuell, ihren arabischen Frühlingsgefühlen Luft machen. Aber das gilt natürlich nicht für alle Salafisten. Das ist schön zu wissen, denn daraus folgt, dass es mindestens einen Salafisten gibt, der keine Ungläubigen gesprengt hat. Vielleicht müssen wir die Salafisten überhaupt noch viel differenzierter erforschen und hinterfragen, um die Motive ihres explosiven Handelns zu verstehen.
Wer weiß, vielleicht gibt es unter ihnen Neo-Salafisten, die sehr modern sind, den Koran schon wieder ganz anders auslegen als alle anderen und nur wütend werden, wenn Ungläubige ihre Wege kreuzen, ansonsten aber ihren Ehefrauen bei jedem Wetter beischlafen und ihre Töchter beschneiden lassen. Aber noch andere inner-salafistische Strömungen lassen sich vielleicht entdecken. Realo-Salafisten beschreiten in der Koranauslegung sehr wirklichkeitnahe Wege und sprengen nur mit ganz realem Sprengstoff. Fundi-Salafisten dagegen lassen sich den Koran von Lesekundigen auslegen und finden es ungerecht, dass die Ungläubigen mehr Geld verdienen, obwohl stolze Fundis zwölf Stunden täglich rumsitzen und ihre Kalaschnikow streicheln.
Auch das schärfste Rasiermesser Ockhams kann den deutschen Differenzierer nicht bremsen. Und wenn ein islamisches Staatsoberhaupt Israel aus der Weltkarte ausradieren will, dann stimmt das immer so nicht, denn ein islamischer Politiker sagt nie, was er meint und meint nie, was er sagt, und alles was er gesagt hat, hat er niemals so gesagt, wie er es gesagt hat. Daraus zieht der Differenzierer aber nicht den naheliegenden Schluss, dass wir es mit einem vollkommen durchgeknallten Staatsoberhaupt zu tun haben. Nicht doch, diese außerordentlich schwer zu interpretierende Aussage des Staatsoberhauptes wurde aus dem Zusammenhang gerissen und darüber hinaus auch falsch übersetzt. Denn in Wahrheit meinte das Staatsoberhaupt, dass nur die isrealischen Menschen ausradiert werden sollen. Das Land selbst darf bleiben. Schön, dass wir das mal ausdifferenziert haben!