Von Malte Fischer
Im Science Fiction Thriller Invasion of the Body Snatchers ersetzen außerirdische Invasoren die Bewohner einer Stadt durch äußerlich identische aber gefühllose Doppelgänger. Menschen berichten von Kollegen, Nachbarn, Freunden oder Verwandten, die auf einmal kalt und emotionslos wirken. Der „Austausch“ echter Menschen mit Replikaten schreitet in atemberaubendem Tempo voran bis nur noch eine Handvoll Übriggebliebener vor einer Übermacht seelenloser Zombies flüchtet.
Wenn Sie sich auch Sorgen wegen der ganzen Rechten machen, kommt Ihnen das vielleicht bekannt vor. Der Arbeitskollege, der mit leerem Blick von „Belastungsgrenzen“ und „berechtigten Zweifeln“ schwafelt. Die Schulfreundin, die auf Facebook einen Hetz-Artikel der Jungen Freiheit teilt und trotz freundlicher Ermahnung keine Einsicht zeigt. Die erst so reizend wirkende Dame von nebenan, die im Gespräch Thilo Sarrazin preist. Wer die Zeichen an der Wand nicht deuten kann, sollte öfter die SPON-Kolumnen lesen. Über die gefährlichsten Menschen der Welt und die Heerscharen von hasserfüllten Idioten, die ihnen zujubeln, klärt auch der Print-Spiegel in einer Serie auf: Donald Trump, Frauke Petry, Roger Köppel. Sie säen die Zwietracht zwischen den gerade noch harmonisch vereinten und zukunftsfrohen Menschen in Europa und den USA.
Woher kommt nur all der Hass? Nur wenige hundert Fälle von Vergewaltigung, schwerer Körperverletzung, Raub und sexueller Nötigung sind seit dem etwas stürmischen Jahreswechsel in Deutschland von Schutzsuchenden begangen worden. Ermordet haben Flüchtlinge 2015 nur andere Flüchtlinge. Auch bei Körperverletzung und Sexualstraftaten bleiben sie relativ häufig unter sich. Daraus lässt sich ableiten, dass eine überwältigende Mehrheit der autochthonen Bevölkerung persönlich überhaupt keine unangenehmen Erfahrungen mit Schutzsuchenden gemacht hat.
Vertreter des Islams treten entschieden für Gewaltfreiheit, Toleranz und Minderheitenrechte ein, wo immer der Islam in der Minderheit ist. Also in ganz Deutschland, außer in Flüchtlingsheimen, manchen Stadtvierteln und Schulklassen. Sicherheitsexperten aller demokratischen Parteien haben sowohl vor als auch nach den Verhaftungen von als Flüchtlingen eingereisten Terroristen in Deutschland, Belgien und Frankreich, immer wieder betont, dass nur Demagogen einen Zusammenhang zwischen muslimischer Einwanderung und islamistischen Terror konstruieren könnten.
Rationale Gründe für den Rechtsruck sind also beim besten Willen nicht zu orten. Experten der Bundesregierung gehen davon aus, dass der Hass-Virus online übertragen wird und seine Resistenz durch die millionenfache Vernetzung primitiver menschlicher Lebensformen multipliziert. Feuerwehrbrigaden der Demokratie löschen, was sie an Erregern finden. Genau so wichtig ist die Immunisierung nachwachsender Demokraten und kritischer Mediennutzer gegen jede Form von Sexismus, Rassismus und Hetze, mit der alte weiße Männer das gesellschaftliche Klima verpesten.
Die versprengten Aufrechten von CDU, SPD, Grüne, Linkspartei, FDP, DGB, GEW, BDA, BDI, DAV, SoVD, AWO, DPWV, DBB, LSVD, DSB, DFB, EKD, ZJD, ZMD, BPB, Antifa, Asta, ARD, ZDF, Springer, Daimler, VW, Siemens, Vattenfall, Commerzbank, Bertelsmann etc. die sich noch trauen, angesichts des rassistischen Meinungsklimas den Mund aufzumachen, brauchen viel Mut. Nicht alle haben so viel Haltung wie Anja Reschke oder Dunja Hayali und stehen trotz Unterstützung von Kollegen, Vorgesetzten und Umfeld zu ihren politischen Platituden, und zwar auch dann noch wenn es ihnen beruflich nützt.
Weil es sich gerade für junge Menschen schon so anfühlt wie 1933 und viele sich persönlich durch Hasskommentare im Internet bedroht fühlen, müssen die Faschisten von der AfD mit Einschüchterung, Drohanrufen, Brandanschlägen, körperlichen Angriffen, Wahlfälschungen, Boykotten, Haus- und Berufsverboten bekämpft werden. Die liberale Demokratie ist wehrhaft genug, um ihre Ideale zu verteidigen wenn nur alle pluralistisch gesinnten Kräfte an einem Strang ziehen.
Die deutsche Presse betrachtet es zum Glück längst als ihre vornehmste Aufgabe, die AfD trotz ihrer formaljuristisch demokratischen Fassade ins ungünstigste Licht zu rücken. Berichterstattung und Kommentar werden selten böswillig getrennt. Welches Kräfteverhältnis zwischen Dummheit, Frust und Gewaltphantasien bei den Rechten genau vorherrscht, sollte natürlich Gegenstand lebhafter Debatten bleiben.
Das schöne Wort „Hetzer“ können echte Demokraten gar nicht oft genug benutzen. Es komprimiert langatmige Erläuterungen und bescheinigt seinem Benutzer das nötige Maß an humanistischer Bildung. Auch der ethnisch vorurteilsfrei gebrauchte Terminus „Hassprediger“ dient einer anschaulichen Analyse des rassistischen, völkischen und fremdenfeindlichen Charakters der AfD mehr als Zitate aus Parteiprogrammen, die in ihrer dumpfen Menschenverachtung sowieso keinem Leser zuzumuten wären.
Netzaktivistin Katharina Nocun hat für sie die Wahl-Programme der AfD gelesen und verrät ihnen in der TAZ, „warum ihr die Partei Angst macht“. Sie vertrete nämlich ausschließlich die Interessen von Großverdienern, christlichen Sekten und anderen blutsaufenden Rassisten. Belege? Die Partei stelle z.B. Hartz IV nicht in Frage. Und es kommt noch krasser. „Ein Transferempfänger soll sich laut Programm sogar solidarisch zeigen, um die Belastung der Gemeinschaft so niedrig wie möglich zu halten.“ Menschenverachtung 2016. #nichtmehrmeinland
Weiterer Sprengstoff: Das Steuermodell von Altnazi Paul Kirchhof. Das Zündeln mit dem Zweifel am menschengemachten Klimadesaster. Die AfD in Baden-Württemberg will sich in der Bildungs- und Medienpolitik dafür einsetzen, dass „Ehe und Familie positiv dargestellt werden.“ Widerlich. Seit die Ex-Piratin die Öffentlichkeit über solche Schocker aufklärt, hagelt es natürlich wüste Beschimpfungen vom rechten Terrormob. Die Medienkriegerin nimmt die Gefahr für Leib und Leben mit heroischer Gelassenheit. So sieht wenigstens jeder, „was für eine Suppe hinter der AfD herschwimmt.“
Spätestens seit Frauke Petry dem Mannheimer Morgen ihre Mordphantasien gebeichtet hat, kann niemand mehr behaupten, er habe von nichts gewusst. Ein moralischer Riese wie Deutschland ist zu großherzig für Menschen, die glauben, staatliche Souveränität definiere sich über so uncoole Sachen wie Grenzen, Gesetze und bewaffnete Polizisten. Die Kräfte der Mitte dürfen sich die Agenda nicht von radikalen Fanatikern diktieren lassen, die aus unserem Land eine zweite Schweiz machen wollen, sondern müssen unbeirrt ihren gemäßigten Kurs gen mehr Libanon und Bosnien halten.
Während Rechte den Notstand herauf beschwören, lösen Profis Probleme. Fast 500 von 160.000 vereinbarten Flüchtlingen wurden europaweit umverteilt. Merkel kauft für ihren neu gegründeten europäischen Club der Humanisten einen breitschultrigen türkischen Türsteher ein. Die EU-Staaten stehen Schlange, um Mitglied zu werden. Steinmeiers Pendeldiplomatie zwischen alten und neuen Partnern in Riad und Teheran hat zu spürbarer Entspannung der Konflikte in Berlin und München geführt.
Die Regierung bohrt dicke Bretter. Statt auf unseriöse und utopische Forderungen nach Sicherung der deutschen Grenzen überhaupt eingehen, widmet sie sich mit aller Kraft der Bekämpfung von Fluchtursachen. Wenn der Nahe und mittlere Osten und Afrika auf dem Niveau von Sachsen-Anhalt stabilisiert sind, wird der Migrationsdruck spürbar sinken und Deutschland behält sein freundliches Gesicht. So geht Nachhaltigkeit.
Damit die Masterpläne der Regierung wirken können, darf sie jetzt nur nicht bei der Arbeit gestört werden. Von islamistischen Terroristen können wir hoffen, dass sie sensibel genug sind, ihre Aktionen aufzuschieben bis die Willkommenskultur wieder voll Tritt gefasst hat. Nicht mehr erwartet die Bundesregierung von störrischen Bürgern bei den bevorstehenden Landtagswahlen. Deshalb erläutern geduldige Volksvertreter, welche Parteien für „anständige Menschen“ (Ralf Stegner) und „aufrechte Demokraten“ (Winfried Kretschmann) wählbar sind und welche eine „Schande für Deutschland“ (Wolfgang Schäuble). Das wird vielen die Entscheidung erleichtern.
Malte Fischer (36) lebt in Berlin, ist seit 2000 Autor und Redakteur für RTL, Pro 7, RBB, WDR mag Bücher, Filme, Serien, Schallplatten und Spaziergänge mit seinem Hund.