Von Malte Fischer
Wir haben keine Probleme. Flüchtlinge haben Probleme. Vielleicht noch die Griechen. Wir haben die Lösungen. Wir sind Fußballweltmeister, Exportweltmeister und jetzt sind wir auch noch Willkommensweltmeister.
Wer wenn nicht wir? Durch die Schaffung urbaner Autonomieregionen haben wir schon die letzte Generation von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten mit links integriert. Dank effizienter Selbstverwaltung und intakten Familienstrukturen muss sich der Staat dort nicht mehr blicken lassen. Junge schwarze Männer versorgen uns bundesweit mit Heilmitteln, die uns alte weiße Männer von der Pharmaindustrie vorenthalten. Viele junge Muslime haben wir trotz des epidemischen Rassismus in deutschen Kindergärten, Schulen und Betrieben so gestärkt, dass sie sich zu behaupten wissen, wenn ein deutscher Herrenmensch zu lange in ihre Richtung guckt.
Es gibt bedauerliche Einzelfälle von Einwanderern, die noch nicht kapiert haben, dass unsere Gutherzigkeit keine Grenzen duldet. Diese jämmerlichen Schoßhunde wollen bessere Nazis sein als Goebbels oder Sarrazin. Sie schreiben Hetzpamphlete wie „Der islamische Faschismus“ oder „Deutschland von Sinnen“. Andere treten extremistischen Sekten wie der AfD oder der CSU bei. Schwamm drüber. Auch die glänzendste Erfolgsgeschichte kommt nicht ohne Kratzer aus. Die Mehrheit der Menschen weiß genau, dass alles Unheil vom Kapitalismus ausgeht und der Islam die friedlichste Religion der Welt ist, so lange ihm niemand die Ehrerbietung vorenthält. Darum haben Hassprediger bei uns wenig zu melden.
Wir Deutsche wurden ja nicht umsonst unsere gesamte Schulzeit mit dem dunkelsten Kapitel unserer Geschichte konfrontiert. Wir wissen, dass wir kein normales Volk unter Völkern sein können, sondern zum Schlechtesten fähig und zum Besten berufen sind. Karma eben. Auch wenn wir zu bescheiden sind, um es an die große Glocke zu hängen, sind wir doch ein wenig stolz darauf, dass uns der Holocaust zu Weltbürgern mit einer besonderen Sensibilität gegenüber jeder Form von Menschenfeindlichkeit gemacht hat. Jedenfalls die meisten von uns. Den Rest machen wir gerade recht erfolgreich unschädlich.
Dank unseres lebendigen Antifaschismus würde Adolf Hitler heute kläglich an der 5-Prozent-Hürde scheitern. Ein schöner Erfolg. Leider gibt es trotzdem immer mehr Rückfallgefährdete. Diese tickenden Zeitbomben gilt es zu entlarven und aus ihren dunklen Löchern ins gleißende Licht Helldeutschlands zu zerren. Manche erkennt man leicht daran, dass sie genüsslich lächelnd das N-Wort in den Mund nehmen. Andere tarnen sich als „besorgte Bürger“ und sind sich in ihrem Wahn oft nicht einmal der Tatsache bewusst, dass sie verklemmte Menschenverbrenner sind.
Dank des gesellschaftlichen Fortschritts können rechtsradikale Geschwüre heute zum Glück sehr viel früher erkannt und behandelt werden. Politik und Medien ziehen endlich an einem Strang, die Menschen aufzuklären, damit ihre Herzen rein bleiben mögen und sie mit ehrlicher Anteilnahme „Refugees welcome“ und ähnliche humanistische Weisheiten unter die Bilder ertrunkener Kinder schreiben. Promis promoten ein respektvolles Miteinander auf Augenhöhe und grüßen ihre Gemüsetürken und Lieblingsitaliener noch herzlicher als früher.
„Helfen oder Maul halten“ ist die erfrischend zupackende Losung der Stunde. Im Sinne der vielen kleinen Aylans in türkischen Flüchtlingscamps, libanesischen Elendsvierteln und albanischen Ghettos feiern wir uns selbst und unsere Willkommenskultur. Wir schicken die frohe Botschaft unserer Entschlossenheit, allen Notleidenden ein gutes Leben zu schenken, durch die Medien und sozialen Netzwerke um den Globus. So geben wir Familien die nötige gute Hoffnung, um ihre Ersparnisse und das Leben ihrer Kinder engagierten Fluchthelfern anzuvertrauen. Die multinationalen Reiseveranstalter in der Türkei, Nordafrika oder auf dem Balkan können sich dank der von uns gern zur Verfügung gestellten Hochglanzbilder des fremdenfreundlichsten Deutschlands aller Zeiten über monatelange Ausbuchung freuen. Eine klassische Win-Win-Situation. Menschenhändler und Menschenfreunde profitieren. Und manchmal sogar Flüchtlinge. Am meisten die jungen, starken und männlichen, die den nötigen Biss für die Reise ins Glück mitbringen.
Deutschlands Stern strahlt umso heller da überall sonst in Europa das Licht der Menschlichkeit verglimmt. Während wir ein Berufsverbot für Fremdenfeinde durchsetzen, tummeln sie sich in Ungarn, Polen, England oder Italien unbehelligt in den Regierungen. Selbst Schuld! So haben wir die Steuerzahler von morgen ganz für uns allein. Studien beweisen, dass selber arbeiten und Kinder kriegen stressig ist und Depressionen fördert.
Viele Deutsche haben dafür schlicht keine Zeit, zumal der Kampf gegen rechts gerade die Besten von uns ganz schön auf Trab hält. Übrigens ist dezente Zurückhaltung bei der eigenen Vermehrung immer noch das wirksamste Mittel gegen nationalistischen Größenwahn. Ohne viele kleine Arier kommt auch ein neuer Führer nicht aus.
Neben frischem Blut hilft guter Rassismus gegen Rassismus und Deutschtümelei. Deshalb sind alle in den Medien portraitierten Flüchtlinge studierte Syrer mit lieben Augen und beachtlichen Deutschkenntnissen. Deshalb bekommen verletzte oder ermordete Flüchtlinge von unserer kritischen Öffentlichkeit erst einen Namen und ein Gesicht wenn ihre Peiniger deutsche Rechte sind. Bis nach all den nicht so wichtigen Toten und Verletzten der letzten Monate doch noch ein Foto für den Aufstand der Anständigen dabei ist, halten wir Titelseiten und Talkshows frei für brennende Wohnheime (wenn Deutsche sie angezündet haben) und rassistische Facebook-Posts (wenn Deutsche sie geschrieben haben).
Mit derselben Aufrichtigkeit trauern wir um tote Palästinenser wenn der Täter ein Israeli, um tote Schwarze wenn der Täter ein weißer Polizist und um tote Flüchtlinge wenn der Täter mit kleinen argumentativen Umwegen die „Abschottungspolitik“ der EU ist. Wir stehen immer auf der Seite der Schwachen und finden die Starken immer widerlich. Das ziehen wir durch bis wir endlich in einer Welt leben, in der es keine Starken mehr gibt und keiner mehr auf jemand anderes neidisch sein muss.
Bis geniale Gesellschaftsingenieure den Sozialismus mit menschlichem Antlitz und Flachbildfernsehern installiert haben, kann es natürlich passieren, dass ein oder andere vor lauter Zukunftsbegeisterung über die Stränge schlägt und der Abschaffung des menschenverachtenden staatlichen Gewaltmonopols durch Eigeninitiative zuvorkommt. Dann wird er von freundlichen Service-Mitarbeitern der bundesdeutschen Justiz mit viel Wertschätzung auf die Vorzüge gewaltfreier Kommunikation hingewiesen. Ein vorsorgender Sozialstaat gibt gescheiterten Existenzen die nötige Zeit, ihre durch Benachteiligung erlittenen Traumata aufzuarbeiten und sich im Endkampf gegen das Scheißsystem kreativ einzubringen. Auch ein soziales Jahr im Kalifat kann Mitbürgern helfen, die Übergangszeit sinnvoll zu nutzen und neues Selbstbewusstsein zu tanken.
Dunkeldeutsche Willkommenssaboteure finden sich mit wachsender Hingabe in ihre neue Rolle als zeitgemäße Untermenschen ein. Im Rahmen einer Aufklärungskampagne der Bundesregierung dienen besonders grotesk anmutende sächsische Hassfratzen als Anschauungsmaterial in Schulen und Universitäten. So bekommen junge Menschen eine Vorstellung davon, was auf sie zukäme, würden die Deutschen unter sich bleiben.
Selbst engherzige Technokraten wie unsere affektgestörte Mutti wollen beim Völkerfest nicht mehr mürrisch an der Seite stehen. Sie überwinden ihre Phantasielosigkeit und lernen dazu. Gut ist nicht mehr, was funktioniert. Gut ist, was sich gut anfühlt. Wenn wir jetzt noch mehr auf unser Herz hören, das bedingungslose Grundeinkommen durchboxen und endlich Cannabis legalisieren, könnte das neue Deutschland richtig Spaß machen.
Malte Fischer (36) lebt in Berlin, ist seit 2000 Autor und Redakteur für RTL, Pro 7, RBB, WDR mag Bücher, Filme, Serien, Schallplatten und Spaziergänge mit seinem Hund.