Von Malte Fischer
...über Schönheit lässt sich streiten. Reden wir über Charakterzüge von Personen, Menschengruppen oder Nationen, erachte ich Bescheidenheit, Vernunft und Mut als schön. Es ist daher logisch, dass ich Eure Aktionen potthässlich finde.
Ihr verwechselt Narzissmus mit Nächstenliebe und Menschlichkeit mit moralischer Überheblichkeit. Ihr feiert Euch selbst als Vorkämpfer der Menschenwürde und diffamiert alle in der Flüchtlingspolitik entscheidenden und handelnden Menschen pauschal als Verbrecher und Mörder. Jedenfalls so lange sie Eure politischen Wahnvorstellungen nicht teilen. Die Toten, um die es Euch dabei angeblich geht, bekommen in Eurer Propagandaschlacht gegen Deutschland und die EU weder Namen, noch Gesicht, noch eine Geschichte. Wozu auch? Die Helden seid sowieso Ihr. Ein totes Kind ist nur eine Requisite in Eurer Medienshow.
Der Rigorismus Eurer Propaganda-Sprache steht in einer unheilvollen deutschen Tradition, die von den Nazis über die RAF bis in unsere Gegenwart reicht. Es ist die antimoderne und antiwestliche Tradition eines politischen Moralismus, die alles Leid der Welt bösen Mächten und sich selbst die Rolle des aufrechten und anständigen Vorkämpfers gegen diese Mächte zuschreibt. Für diese Haltung bedarf es der richtigen Mischung aus Selbstgerechtigkeit und Ahnungslosigkeit. Wer im Schlaraffenschlummerland der späten BRD aufgewachsen ist, mit Kunst und Medien zu tun hat, und sich für einen kritischen Geist hält, ist besonders anfällig.
„Europas Grenzen sind militärisch abgeriegelt. Sie sind jetzt die tödlichsten Grenzen der Welt. Jahr für Jahr sterben Tausende Menschen beim Versuch, sie zu überwinden.“ Wart Ihr in letzter Zeit mal im Grenzgebiet von Syrien und dem Irak oder von Russland und der Ukraine? Davon mal abgesehen ist die Behauptung, Deutschland oder die EU töte an ihren Außengrenzen, eine bösartige Verdrehung der Tatsachen. Schiffe der EU retten täglich etliche Menschen, die von eiskalt kalkulierenden Schlepperbanden fahrlässig in Seenot manövriert werden. Kein verantwortlich handelnder Politiker kann das Dilemma ignorieren, dass jede konzertierte Rettungsaktion dieses tödliche Geschäftsmodell befördert und damit weitere Menschenlebengefährdet. Er kann auch nicht die Augen davor verschließen, dass die Öffnung der EU-Außengrenzen samt Transfer und Versorgung aller einreisewilligen Menschen einen unkontrollierbaren Massenexodus aus Afrika, Südosteuropa und dem Nahen Ostens auslösen könnte, mit gravierenden sozialen Konsequenzen in den Aufnahme- wie in den Herkunftsländern. Wer glaubt, Humanität sei eine Frage des guten Willens und des reinen Herzens, wird hoffentlich nie politische Verantwortung in diesem Land tragen.
„Europa hat den Einwanderern den Krieg erklärt – ein Krieg, dem ausschließlich Zivilisten zum Opfer fallen“. Ganz klar, nicht die Militärdiktatur in Eritrea, nicht Assad oder der IS, nicht Bürgerkriege, Rückständigkeit, Misswirtschaft und Fundamentalismus sind verantwortlich für das Flüchtlingselend. Die Killer sind jene Länder, die jedes Jahr hunderttausende Menschen, die vor den Zuständen in ihrer Heimat fliehen, aufnehmen und versorgen. Was für ein Bullshit. Wer ernsthaft etwas gegen die Ursachen des Leids unternehmen möchte, wird nicht ohne mehr militärisches Engagement Europas in Krisensituationen auskommen, ohne das humanitäre Hilfe vielerorts schlicht nicht denkbar ist. Aber genau das wäre in Euren Augen ja nur eine Fortsetzung des „Kriegs gegen Flüchtlinge“. Wenn Ihr die im Mittelmeer Ertrunkenen mit den Mauertoten an der deutsch-deutschen Grenze vergleicht, offenbart Ihr nur die kaltschnäuzige Respektlosigkeit, mit der Ihr die Opfer von damals wie heute für Eure Propaganda instrumentalisiert. Es ist das eine wenn ein Staat seine Bürger einsperrt und erschießt, wenn sie versuchen, abzuhauen. Es ist etwas völlig anderes wenn ein Staatenbund nicht für Leben und Sicherheit aller garantieren kann, die sich auf den Weg zu ihm machen.
„Die Opfer dieses Krieges werden massenhaft im Hinterland südeuropäischer Staaten verscharrt. Sie tragen keine Namen. Ihre Angehören werden nicht ermittelt“. Ihr unterstellt den Staaten Europas einen verdeckten Genozid. Warum ruft Ihr nicht einfach gleich die hier ankommenden Flüchtlinge dazu auf, möglichst viele von den europäischen Mörderschweinen um die Ecke zu bringen? „Niemand schenkt ihnen Blumen.“ Außer euch natürlich. Ohne Worte.
„Die Toten sind jetzt auf dem Weg nach Deutschland. Die Angehörigen haben jeweils entschieden, was geschehen soll.“ Kein Angehöriger hat sich öffentlich oder irgendwie nachprüfbar geäußert. Genauer gesagt hat sich nicht mal irgendein Flüchtling in irgendeinem Zusammenhang mit Eurer Aktion geäußert. Sie haben wahrscheinlich andere Probleme undsind einfach nicht hirnverbrannt genug, um zu kapieren, was Ihr wollt. In erster Linie fahren deutsche Medien- und Kulturschaffende auf Euren Schuldporno ab. Weil sie genauso schamlos selbstverliebt sind wie Ihr.
„Ihr Tod kann nicht rückgängig gemacht werden.“ Alles knapp darunter kriegt Ihr Helden natürlich hin. „Aber ihre sterblichen Überreste können Europas Mauern zu Fall bringen. Diese Aktion wird Europa in einen Einwanderungskontinent zurückverwandeln.“ Euer Größenwahn ist wahrhaft grenzenlos. Es gebe keinen Grund, Euch überhaupt Beachtung zu schenken, wenn Eure Aktion nur hemmungslos überflüssig wäre. Das ist sie sowieso. Aber sie ist auch Gift für den gesellschaftlichen Frieden und für ein gutes Miteinander von alteingesessener Bevölkerung mit einer stetig wachsenden Zahl von Menschen aus anderen Kulturen.
Wir haben den Menschen in Afghanistan, dem Kosovo oder Somalia manches voraus. Erstklassige medizinische Versorgung, sexuelle Selbstbestimmung, eine zuverlässige Müllabfuhr. Keine Häuserkämpfe in unseren Städten. Es gibt viele gute Gründe, morgens dankbar in Aachen, Hildesheim oder Zwickau aufzuwachen. Egal, ob man dort aufgewachsen oder gestern erst gestrandet ist. Europaweit nehmen Deutschland und Schweden die meisten Flüchtlinge auf. Tausende Bürger engagieren sich mit Spendensammlungen und privaten Hilfsinitiativen. Im globalen wie im historischen Vergleich ist Deutschland heute trotz wachsender Flüchtlingszahlen ein Beispiel an Humanität und Solidarität.
Wer behauptet, wir seien mörderisch gegenüber Schutzsuchenden, fördert nicht Nächstenliebe, sondern Ressentiments auf allen Seiten. Ihr solltet Euren Drang in den Griff bekommen, Euch moralisch über andere Menschen zu stellen. Ihr erntet Trotz und Abwehrreaktionen bei Deutschen, die mit gutem Gewissen von sich behaupten, für die Militärdiktatur in Eritrea keine Verantwortung zu tragen. Ihr ermutigt Zuwanderer zur Nichtachtung unserer Gesetze und unserer Gesellschaft. Moralische Selbstanklagen und die Rhetorik der Gruppen- und Opferidentitäten bereiten in einer noch halbwegs komfortablen wirtschaftlichen Lage fahrlässig das Feld für Verteilungskonflikte und soziale Spannungen.
Wir können uns heute weder die beruflichen Qualifikation noch die Weltanschauungen der Menschen aussuchen, die zu uns kommen. Wir ziehen nicht nur Unternehmer, Ingenieure undSpitzenforscher an. Es kommen viele junge, ungelernte Männer, die nur ihre Kraft und hoffentlich ihren guten Willen mitbringen. Wir tun ihnen keinen Gefallen wenn wir sie mit Opferstatuszuweisungen und Selbstanklagen davon abhalten, ihre Energie in produktive Bahnen zu lenken. Wir bezeugen Menschen aus anderen Kulturkreisen keinen Respekt, wenn wir nicht selbstbewusst zu unseren eigenen Werten und Regeln stehen.
Es ist schwer, sich in einen Menschen zu verlieben, der sich selbst nicht ausstehen kann. Leute mit geringem Selbstwertgefühl geraten deshalb oft an dominante, manipulative, manchmal auch gewalttätige Partner, die diese Schwächen nutzen, um ihre eigene Stärke auszutesten. Oft enden solche Verhältnisse dann unschön. Soll das Zusammenleben von Menschen verschiedener Kulturen in Deutschland gedeihen, müssen wir nicht lernen, andere mehr zu lieben, sondern uns selbst mehr zu achten. Kein Mensch wird eine Gesellschaft respektieren, die sich selbst nicht respektiert. Wer unseren Rechtsstaat mit plumper Propaganda verächtlich macht, sägt an dem Ast, auf dem wir gemeinsam mit allen hierher Zugewanderten sitzen.
Malte Fischer (36) lebt in Berlin, ist seit 2000 Autor und Redakteur für RTL, Pro 7, RBB, WDR mag Bücher, Filme, Serien, Schallplatten und Spaziergänge mit seinem Hund.