Von Malte Fischer
Vielleicht wird man später sagen: Nach Paris sind die Leute endlich wach geworden. Sie haben begriffen, dass sie geistige Brandstifter nicht länger stillschweigend in ihrer Mitte dulden dürfen. Matussek ist gefeuert. Die demokratischen Sturmtruppen von Antifa bis Spiegel Online halten AfD und artähnliches Pack in Schach. Die Bürgergesellschaft diskutiert die Fragen der Zeit. Darf Xavier Naidoo Deutschland sein? Missbraucht Jan Böhmermann sein white privilege? Kriegen die Kritiker von Angela Merkel noch einen hoch?
Die Kanzlerin verteidigt Deutschlands Weltoffenheit und verhindert bis heute humanitäre Katastrophen in Reichweite unserer TV-Kameras. Den Rest managen die smarten Männer und Frauen an ihrer Seite. Auch Old Todenhöfers wöchentliche Road Maps zum Weltfrieden geben Orientierung in diesen aufregenden Zeiten. Leider instrumentalisieren immer noch Hetzer den Terror, der keine Religion hat, für ihre fremdenfeindliche Stimmungsmache. Die gute Nachricht: Chronische Islamophobie könnte schon in ein paar Jahren immer öfter tödlich verlaufen. So erledigen sich manche Probleme mit der Zeit von ganz alleine.
Insgesamt reagiert Deutschland mit kluger Besonnenheit auf die Verzweiflungstaten marginalisierter Minderheiten in Frankreich. Da mag sich der Rest der Welt um die Chance auf den neuen Steve Jobs bringen. Da mag der Schuster der Willkommenskultur feige in den Rücken stoßen. Sie bleibt unsere beste Waffe gegen gottlose Terroristen, die sich nach Ansicht aller Experten nichts mehr wünschen als strengere Grenzkontrollen und die Durchsetzung deutschen Asylrechts. Unsere Behörden haben bei den ca. 210.000 im November registrierten Neuzugängen selbstverständlich genau hingeschaut, auf stigmatisierende Prüfungsverfahren aber vorausschauend verzichtet. Wie soll Integration gelingen wenn wir von Anfang an ein Klima des Misstrauens schüren?
Racial profiling und ähnlichen Schweinkram überlassen wir den Nazis aus Ungarn, Israel oder den USA, wo nach der Machtergreifung Trumps ja eh bald Lager gebaut werden. Wir wecken gar nicht erst den Zorn tiefreligiöser Menschen weil wir ihre Gefühle nicht verletzen und pünktlich ihren Lebensunterhalt überweisen. So praktizieren wir es seit Jahren und mit jeder Generation vertieft sich die Integration dieser Menschen in die Gemeinschaft der Gläubigen.
Doch in Frankreich gilt noch immer das menschenverachtende Burka-Verbot. Rechtspopulistische Scharfmacher, die sonst nicht mal den jährlichen Bericht zum Gender Gap lesen, fordern auch hierzulande die Ausgrenzung alternativer Lebensentwürfe im Namen einer fragwürdig eurozentrischen Definition von Freiheit. Währenddessen warten junge Männer in den Pariser Banlieues immer noch verzweifelt auf ihre Lofts, Sportwagen und Modelfreundinnen. Da sattelt schon mal der ein oder andere von Gangster-Rapper auf Gotteskrieger um. Und warum zur Hölle redet Hollande auf einmal wie Kriegstreiber Bush Jr.? Kein Wunder, wenn es da jetzt öfter mal kracht.
Statt der ohnehin epidemischen Islamfeindlichkeit Vorschub zu leisten, konzentrieren wir uns in Deutschland auf die tieferen Ursachen des Terrors: Westliche Kriege, westliche Waffenexporte und - die Wurzel allen Übels - westliche Arroganz. Auch die in Kürze zu erwartenden Klimaflüchtlinge gehen bekanntermaßen allein auf unsere Kappe. Vielleicht waren die Toten von Paris bei aller aufrichtigen Trauer kein schlechter Einstieg, um uns von unserem hohen Ross runter zu holen. Bittere Medizin zugegeben. Aber sie wirkt. Es ist noch kein deutscher Frühling aber es gibt schon Zeichen einer neuen Zeit.
Frau Merkel betreibt ihre freundliche Friedenspolitik heute fest an der Seite des väterlichen Führers der Türken. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem entschiedenen Anti-Terror-Falken Erdogan zahlt sich nicht nur für die Menschenrechte aus, sondern nimmt auch der Debatte über ein unmenschliches europäisches Grenzregime den Wind aus den Segeln. Die Verfassungspatrioten der Islamverbände, traditionelle Wanderprediger und gut vernetzte arabische Unternehmerfamilien werden ihrer Schlüsselrolle als Integrationslotsen immer gerechter. Der frauenfeindliche Bann des Kopftuchs aus Klassenzimmern und Amtsstuben könnte bald Teil unserer post-kolonialen Schuldgeschichte sein. Robuste muslimische Mehrheiten integrieren in den Flüchtlingsheimen Ungläubige, Frauen und Abartige auf eigene Faust, was dem deutschen Staat viel Zeit und Arbeit erspart. Auch die Ächtung des zionistischen Apartheitsregimes macht erfreuliche Fortschritte.
Die Jugend Europas sucht nach humanen Alternativen zum mörderischen Neoliberalismus. Das eröffnet dem karitativen und spirituellen Potential der islamischen Friedenslehre neue Gestaltungshorizonte. Immer mehr Menschen begreifen, dass die Terroristen nur nützliche Idioten sind, damit wir TTIP, Totalüberwachung und die neoimperiale Militarisierung der Außenpolitik schlucken. Sie hinterfragen kritisch, ob wir vor ein paar bärtigen Muselmännern wirklich mehr Angst haben sollten als vor Birgit Kelle oder Heinz-Georg Maaßen.
Man kann den Islam super finden oder einfach nur respektieren. Fest steht, dass wir mit seinem zinslosen Kreditwesen wohl keine Finanzkrise gehabt hätten. Auch der ökologische Fußabdruck vieler Muslime kann sich im Gegensatz zu uns Burger fressenden und Trash-TV glotzenden Westlern durchaus blicken lassen. Angesichts obszöner TV-Shows, in denen sich Kinder prostituieren müssen und dem völlig aus dem Ruder gelaufenen Konsumwahn könnte etwas mehr religiöse Demut wahrlich nicht schaden. Einfach mal ohne Verkrampfungen drüber nachdenken. Wir sind ja sowieso gerade dabei, neue Leitkulturen für unser Land auszuhandeln. Es wäre doch für alle relaxter wenn das friedlich und entspannt abliefe. Nur das Klima nicht vergessen!