In ihrer Radio-Kolumne „Der WochenWahnsinn“ gehen Achse-Autor Matthias Heitmann und Antenne Frankfurt-Moderator Tim Lauth jede Woche auf Zeitgeisterjagd. Ab sofort jeden Samstag auf der Achse zum lesen und hören.
Diese Woche widmen sich die beiden der Überhöhung des SPD-Kanzlerkandidaten "Maddin" Schulz. Zur Audio-Datei geht es hier entlang.
Tim Lauth: Matthias, vor lauter Getrumpel haben wir noch gar nicht über Martin Schulz, den SPD-Kanzlerkandidaten der SPD gesprochen. Die Partei scheint ja von der Nominierung zu profitieren, die Umfragewerte steigen …
Matthias Heitmann: Andererseits wäre es aber auch fatal, wenn eine Partei ohne Kandidat so gut abschneiden würde wie mit. Ich finde, die Überhöhung von Martin Schulz zeigt, wie tief die Krise der SPD ist. Der Mann hat 23 Jahre lang im bürgerfernsten Parlament Europas gesessen, davon 5 Jahre als dessen Präsident. Wenn der jetzt zur fleischgewordenen Bürgernähe verklärt wird, dann weißt Du, dass da etwas schief läuft.
Lauth: Aber ist es in Zeiten, in denen nationalistische Parolen immer lauter werden, nicht doch ein positives Signal, einen überzeugten Europäer in die Wahl zu schicken?
Heitmann: Man könnte ebenso sagen: Ein zermürbter EUler flieht vom sinkenden Schiff in den Heimathafen. Schulz steht jedenfalls für genau das Europa, von dem sich viele Menschen aus guten Gründen abwenden. An diesem Wechsel sieht man eher, wie eng verwoben die nationale Politik mit dem Brüsseler Apparat ist. Die EU ist sozusagen der antidemokratische Schutzwall der europäischen Eliten – und offensichtlich verlieren Leute wie Schulz angesichts wutschäumender Wähler gerade das Vertrauen in die Statik dieses Gebildes.
Lauth: Du hast von einer Sogwirkung gesprochen, die Schulz aus Brüssel direkt nach Berlin gespült hat. Ist dieses Vakuum nur ein SPD-Problem, oder gibt es das auch bei anderen Parteien?
Heitmann: Alle Parteien haben damit zu kämpfen. Bei der CDU sitzt Angela Merkel wie ein Stöpsel auf dem Abfluss. Bei der CSU hoffen sie verzweifelt darauf, dass ihr fakender Freiherr zu Guttenberg endlich wiederkommt. Bei den Grünen verbietet sich Erneuerung von selbst. Im Personalrecycling sind sie nicht zu toppen. Die Linke braucht auch keine neuen Gesichter, da sie gar nicht versucht, ihre alten Konzepte aufzuhübschen. Die FDP hat zwar einen recht jungen Chef, aber irgendwie denkt man bei Christian Lindner, dass der schon ewig dabei ist. Jungsein allein reicht nicht. Und die AfD ist so alternativ und innovativ und so mutig und der Zukunft zugewandt, dass ich mir die ganzen Namen ihrer schillernden Köpfe einfach nicht merken kann.
Lauth: „Mutig und der Zukunft zugewandt“ – hast Du gerade von unserer Eintracht gesprochen?
Heitmann: Das wäre zumindest angemessener gewesen. Und nur um es klar zu stellen: Die AfD hat 25.000 Mitglieder. Eintracht Frankfurt hat 40.000. Da mag es auch Überschneidungen geben. Aber wenn Eintrachtler „Im Herzen von Europa“ singen, dann meinen sie damit weder Berlin noch Brüssel!
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Matthias Heitmann ist freier Publizist und Autor des Buches „Zeitgeisterjagd. Auf Safari durch das Dickicht des modernen politischen Denkens“ (TvR Medienverlag, Jena 2015). In Kürze erscheint sein neues E-Book „Zeitgeisterjagd Spezial: Essays gegen enges Denken“. Seine Website findet sich unter www.zeitgeisterjagd.de.