Sergio Caldarella, Gastautor / 21.05.2021 / 14:00 / Foto: R.Letsch / 39 / Seite ausdrucken

Der Tyrann debattiert nicht

Von Sergio Caldarella.

Am 17. Mai 2021 hörte ich morgens Radio, und plötzlich sagt eine gut artikulierte und ruhige Frauenstimme: “Was machen wir mit Menschen, die im Außendienst arbeiten und sagen ‚Na, ich will nicht geimpft werden’?“ Äh, auch ich habe mich gefragt, was machen wir damit? Die erste Frage war aber, was machen wir mit diesen Aussagen, die von einem öffentlich-rechtlichen Radiosender ausgestrahlt werden? Woher kommen solche Perlen der Intelligenz und des demokratischen Verständnisses? Aus welcher Vorgeschichte? Wie wurde das gesellschaftliche Terrain bearbeitet, um eine Aussage zu akzeptieren, die vor 2020 als undenkbar und zutiefst autoritär gegolten hätte? Welche alten Gespenster kommen hier aus den Schränken? Manchmal habe ich fast das Gefühl, ein altes Motto mit einer kleinen Variation wieder zu hören: „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Coronavirus…“

Aber wie ist es ernsthaft möglich, in einem Zeitalter, das sich demokratisch nennt, zu fragen: „Was machen wir mit denen, die anders denken, die anders sein wollen?“ bzw. mit Menschen, die sich ein Medikament, das in aller Eile hergestellt wurde und dessen Nebenwirkungen, die bereits nachgewiesen sind, die von Gesichtslähmung bis zum Extremfall des Todes reichen, nicht spritzen lassen wollen?! Tja, was machen wir mit diesen? 

Wie ist es auch möglich, dass bei einer solchen Frage, die nichts Informatives oder Journalistisches an sich hat, dass diese Nebenwirkungen völlig ignoriert, nicht erwähnt werden, während ein düsteres Bild von denen gezeichnet wird, die ihre Gesundheit nicht zugunsten eines hypothetischen Nutzens aufs Spiel setzen wollen? Was ist aus dem Vorsorgeprinzip geworden, das sowohl die Politik als auch die Gesundheitsvorsorge leiten sollte? Ist es möglich, diese Frage so leise zu stellen und trotzdem zu sagen, dass wir eine freie Gesellschaft sind? Kann „a“ gleichzeitig auch „nicht-a“ sein?

War das dystopische politische Gerede von einer Gesellschaft, in der die Geimpften mehr Rechte haben als andere, nicht schon genug? Offenbar war es nicht genug... Es ist nie genug. Es stellt sich jedoch die Frage: Wer profitiert von dieser ständigen Eskalation? Dieses Ausspielen des einen gegen den anderen?

Die römische politische Logik des Teilens und Eroberns

Einen Augenblick! War dieses Schüren der sozialen Spaltung nicht schon ein altes Axiom der alten Römer? Die römische politische Logik des Teilens und Eroberns (divide et impera) wurde jedoch von James Madison, einem der Gründerväter der amerikanischen Nation, als „verwerfliches Axiom der Tyrannei“ (reprobate axiom of tyranny) bezeichnet. Und nun? Bedeutet dies also, dass eine Gesellschaft, in der eine Politik der Spaltung zwischen den Bürgern methodisch durchgeführt wird, eine Gesellschaft ist, die ihre ersten Schritte auf dem Weg zur Tyrannei macht? Nur eine Frage…

Und bevor irgendjemand daherkommt und mit irgendeiner bizarren Definition von Tyrannei aufwartet, können wir sagen, dass dies im Wesentlichen so ist, eine unterdrückerische Herrschaft, eine harte und grausame Machtausübung über das Volk oder einen Teil des Volkes. Dies ist eine klassische soziologische Definition, über die sich bis 2020 alle einig waren. Und heute? In diesem besonderen Moment der Geschichte, in dem man leicht im Radio darüber reden kann, was man mit Andersdenkenden machen soll? 

In Theodor Adornos Buch Minima Moralia: Reflexionen aus dem beschädigten Leben (1951) ist eine Passage vergraben, in der er von einem „Verfall der logischen Evidenz als solcher“ spricht, der die Auswüchse der Ideologien möglich macht. Wenn im Namen eines Virus, nur eines unter Milliarden von Viren, die es in der Natur und im Menschen gibt, nicht nur politische Projekte vorgeschlagen werden, die in offenem Widerspruch zu den konstitutionellen und liberalen Prinzipien demokratischer Gesellschaften stehen, sondern auch mögliche Wege des Umgangs mit denen vorgeschlagen werden, die sich nicht injizieren lassen wollen, ist dies nicht auch ein offensichtlicher Verfall der von Adorno erwähnten logischen Evidenz, der Ideologie auszeichnet?

Ist der Sturz ins Absurde nicht ein weiteres Kriterium der Tyrannei? Jede Tyrannei basiert auf den Schiedsrichtern der Macht, die von einem Tag auf den anderen und ohne jegliche Zustimmung entscheiden, was gut und was böse ist, und der Bürger hat nur zu gehorchen und zu schweigen. Wenn wir wollten, könnten wir an diesem Punkt auch einen weiteren der vielen Unterschiede zwischen Tyrannei und Demokratie feststellen: Der Tyrann entscheidet und benutzt dann seine Propagandamittel, das heißt, subtilen Zwang, um Zustimmung zu erlangen, um die Massen dazu zu bringen, sich dem anzuschließen, was er bereits beschlossen hat. In einer Demokratie, so wie sie bis zur Wende 2020 verstanden wurde, sollte die Entscheidung stattdessen durch Konsens und Debatte zustande kommen. Der Tyrann debattiert nicht: Er entscheidet und lässt dann seine Schreihälse diese Entscheidung als unvermeidlich und unvermeidbar erzählen. Der Philosoph Karl-Otto Apel, bekannter Vertreter der Diskursethik, pflegte mit Scharfsinn zu sagen: Abstimmung ist noch kein Konsens.

Zum Glück, eine Absurdität, selbst wenn sie von Millionen von Menschen geteilt wird, bleibt immer eine Absurdität, aber wenn sie von den Trommeln des Massenmedienapparats gepusht wird – wie es in der Geschichte leider schon vorgekommen ist –, beginnt selbst die Absurdität, mit einem Gewand der Legitimität zu erscheinen. Und während Irrationalität und Propaganda in immer grellere Kleider gekleidet werden, wird die Wahrheit immer mehr entkleidet und erscheint immer weniger wahr. „Die Lüge hat sich wahrgelogen,“ würde Günther Anders sagen, und wenn heute das Kind im Märchen noch einmal sagen würde, dass die Kaiserin ohne Kleider ist, würden die Halbgebildeten um es herum rufen: „Halt die Klappe und schalte den Fernseher ein!“

 

Sergio Caldarella, geboren in Syrakus, amerikanischer Privatgelehrter und Erkenntnistheoretiker, ist Autor von vierzehn Büchern in verschiedenen Sprachen, mehreren Aufsätzen und zwei Theaterstücken. Er hat als Redner an zahlreichen Konferenzen und Seminaren in Europa und den Vereinigten Staaten teilgenommen. Seine Forschungsinteressen liegen vor allem auf dem Gebiet der Physik, der antiken Philosophie und der Theologie.  

Foto: R.Letsch

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Leserpost

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Gerhard Schmidt / 21.05.2021

Adorno war Kommunist - Das waren die mit den Genickschüssen. Ganz schlechte Referenz für “anti-totalitäre” Erkenntnisse…

Stanley Milgram / 21.05.2021

Ja, wer ist denn genau “der Tyrann”? Bill Gates, die Mainstream-Medien, die Politiker, die eigenen Mitmenschen, oder ganz andere Leute, die wir nie zu Gesicht bekommen? Mein persönlicher Tyrann ist der Richter, der mir wegen Beleidigung Merkills in einem drittklassigen Chat mal grad so en passant 180 Tagessätze verpasst hat. Dazu die Leute, die mich dumm von der Seite wegen meiner Maskentrageangewohnheit anquatschen. Oder auch ehemalige “Freunde”, die mittlerweile aufgrund von Corona so verpeilt sind, dass sie mich nachts anrufen und trotz dreimaliger Nennung meines Namens nicht erkennen, weil sie in einem seltsamen demenz-ähnlichen Zustand leben. Jedenfalls habe ich Anfang 2020 errechnet, dass ich zu 97 % mit diesen künstlichen Grippe-Viren in Kontakt war und sich nichts außer entzündeten Augen und Müdigkeit gezeigt hat. Allerdings bin ich immer müde (Long-Covid?), außer wenn ich schlafe.

Sabine Kirfel / 21.05.2021

Wenn sich wieder die Frage stellt, was wir machen sollen mit denen, die anders denken, sich anders entscheiden, ist das Ende der westlichen Demokratie eingeläutet. Während Nebenkriegsschauplätze eröffnet werden mit Gendersprache und Regenbogefahnen, gerät die Gesellschaft als solche aus dem Blickfeld und es ist längst vergessen geglaubten Herrschaftsformen, wie sie in anderen Teilen der Welt sehr wohl existieren, Tür und Tor geöffnet. Nein, sie kommen nicht durch die Hintertür, sie kommen, frontal, man möchte schon sagen VIRAL, ganz unverschämt über uns und niemand setzt dich zur Wehr und verteidigt das, was Generationen in zum Teil blutigen und verlustreichen Kämpfen geschaffen haben: die westliche Demokratie. Es wird ein Aufwachen geben, zweifellos. Aber es wird zu spät sein.

Rolf Lindner / 21.05.2021

LÜGENREICH - Es ist ein untrügliches Zeichen,  dass wir im Reich der Lüge leben, viele Menschen dem ausweichen, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. - Wenn die Wahrheit ist beschwerlich, um im Alltag zu bestehen, bleiben viele nicht mehr ehrlich, lassen sich den Kopf verdrehen. - Viele lassen sich beglücken, von den Lügen der Gemeinde, Ehrliche sie unterdrücken, erklären sie zum Feinde. - Die die falsche Welt negieren, sich nicht betrügen lassen, die die Selbstlüge sezieren, die müssen sie dann hassen. - Laufen jenen hinterdrein, die quasi ihre Feinde sind, schlagen dann auf jene ein, die nicht sind wie sie so blind. - Doch nimmt die Lüge überhand, kann sich vieles wenden, werden sehend mehr im Land, wird das Reich der Lüge enden.

Martin Müller / 21.05.2021

Spalten in die Guten und in die Bösen ist auch eine Art des Teile- und Herrsche-Prinzips…..

Thomas Taterka / 21.05.2021

Adorno um gedanklichen Beistand anzuflehen ist natürlich immer lohnend , - in einem geisteswissenschaftlichen Seminar - , aber die künftige Tyrannei und ihre verborgene Hierarchie in der Welt ausserhalb akademisch eitler Harmlosgescheitheit läßt sich doch besser begreifen durch global adaptierte italoamerikanische Vorbilder , die sich ebenfalls vom alten Rom herleiten ( s.“Caporegime” ) und wahrscheinlich für alles Modell stehen , was sich heute ” Geschäft mit sehr viel Geld” nennt . Da gehen , vermute ich, alle wesentlichen Konzerne , Banken , Regierungen etc. noch mal zur “Schule”. Das , fürchte ich, ist das wahre 21. Jahrhundert , vor allem seine Zukunft. Man sieht ja leider immer nur den Glanz der Oberfläche ; was gesprochen wird , hört man nie , wie ein Kind , das beim Elterngespräch immer vor die Tür muß. - Was bereden die da , stundenlang ? Wie sie’s der Bevölkerung verkaufen , die NICHTS zu sagen hat ? Ohne daß sie es merkt ? Auf den Pressekonferenzen erklären Marionetten zu welchen Entscheidungen sie sich durchgerungen haben . Absurd- bizarre Vorstellungen. - Man sollte “Beratungen” live im Fernsehen übertragen.

A. Ostrovsky / 21.05.2021

A Gä Bittte! Dieses Latinisieren ist doch selbst eine Methode des Teilens, nur eben nicht nach den Regeln des Heiligen Martins, sondern nach den Regeln der Caesaren. Ich als Italer, der des Latinums nicht mächtig ist, fühle mich zurückgesetzt, ob meiner rätischen schweren Zunge zum Dumpfling erklärt. Dabei ist doch alles gelogen. Da wo man das romanische eigentlich heraushört, wird germanisiert und dort wo der Kelte spricht, wollen deutsche Scholaren ihm lateinische Silben zwischen die Zahnstümpfe legen. Geht gar nicht! Die Langobarten (lango barden) hatten nicht lange Bärte wie die Chinesen und Mongolen, sondern sie haben am Feuer in FREMDEN SPRACHEN GESUNGEN. Ar Maen war kein Germanenfürst Arminius, sondern der keltische Name für die Externsteine. Der latinisierende Gelehrte erklärt uns das Mineral aus “minera” der Grube, statt zu begreifen, dass die römische Grube von dem Handwerk der Kelten her kam, die Steinsalz (min er hall = Salz des Felsens) abbauen konnten durch das Laugen (dürren). Die deutschen Gelehrten haben sich auf der Ofenbank in kalzen Wintertagen eine Welt zusammengedichtet, wie in der Puppenstube. Selbst Prometheus hat nichts mit der nordirischen Aussprache für den Sozialen Wohnungsbau zu tun, er ist ein The_us.

Dirk Jungnickel / 21.05.2021

Der Sturz ins Absurde ! Das Polit - Virus hat’s möglich gemacht. Genau wie eine vom Schwachsinn befallenen Presse ( z.B. Berliner Morgenpost), die heute wieder Querdenker als C - Leugner diffamiert, so werden demnächst Impfunwillige nun nicht gerade mit einem C - Virus - Symbol an der Brust markiert - die deutsche Vergangenheit !!!! - aber irgendwie anders stigmatisiert. Im Zeitalter des PIN - Zahlen - Irrsinns könnte man an Geimpfte PINs verteilen-  sechsstellig reicht -  und den anderen Papier - und IT - Kram sparen. Die muss dann jeder wie eine Parole geheim halten und parat haben, wenn er von C- Warten abgefragt wird. Wer sie vergißt, wird ins nächste Impfzentrum geschleppt und nachgepiekst.  Die Vakzin - Hersteller wird’s freuen.

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