Hansjörg Müller / 23.03.2015 / 07:00 / 4 / Seite ausdrucken

Der «Spiegel» versucht sich in Ironie

Seit Januar erscheint der «Spiegel», das deutsche Nachrichtenmagazin, jeden Samstag. Peinlich daran ist, dass man dies bis jetzt kaum bemerkt hat. Dass Montag «Spiegel»-Tag war, wusste in Deutschland früher jeder, der auch nur halbwegs politisch interessiert war. Durch Enthüllungen erschütterte das Magazin die Republik.

Diese Zeiten sind vorbei. Dass nunmehr Samstag «Spiegel»-Tag ist, dürfte einer breiteren Öffentlichkeit erstmals dieser Tage bewusst geworden sein. In seiner jüngsten Ausgabe versuchte sich das Magazin nämlich in Ironie - und es kam gar nicht gut. Auf dem Cover war eine Fotomontage zu sehen: Wehrmachtsoffiziere, die in herrenmenschenmässiger Und-morgen-die ganze-Welt-Pose auf der Athener Akropolis stehen, hineinmontiert eine schräg nach oben blickende und lächelnde Angela Merkel. «The German Übermacht. Wie Europäer auf die Deutschen blicken», lautete die Schlagzeile.

Zeigt der «Spiegel» Merkel als Nazi? Auf Plattformen wie dem Onlineportal Twitter war die Empörung bald so gross, dass sich «Spiegel»-Chefredaktor Klaus Brinkbäumer genötigt sah, eine Erklärung nachzuliefern. Man habe den Blick des Auslands auf Deutschland «ironisieren und verfremden» wollen. «Missverstehen kann ihn (den Titel) nur, wer ihn missverstehen will.»

Die eigentliche Ironie des Covers, die Brinkbäumer und seinen Kollegen indes kaum bewusst sein dürfte, besteht allerdings darin, dass die «Spiegel»-Leute Opfer ihres eigenen Ressentiments wurden. Und zwar, indem sie anderen Ressentiments unterstellten: Dass in Griechenland und andernorts viele gegen die Politik Merkels und Schäubles aufbegehren, bedeutet ja noch lange nicht, dass diese Leute das heutige Deutschland in der Tradition des Dritten Reiches sehen würden.

Ein wenig erinnert der Fall an ein Titelbild des «New Yorker» vom Juli 2008. Barack und Michelle Obama sind darauf zu sehen, wie sie sich im Oval Office des Weissen Hauses mit einem fist bump begrüssen, in der Art afroamerikanischer Teenager. Er trägt dabei einen Turban, sie ein Maschinengewehr und einen Patronengürtel.

Verschwörungstheoretiker hatten Obama zuvor in die Nähe islamistischer Fanatiker gerückt, woraufhin manche von Obamas Bewunderern, darunter viele Journalisten, begannen, dessen Kritiker pauschal mit Rassisten und Verschwörungstheoretikern in Verbindung zu bringen. Und auch hier fiel der Vorwurf auf die Redaktion zurück: Illustrator Barry Blitt habe Obama als Terroristen darstellen wollen, empörten sich Anhänger des Politikers. Eine Rüge, deren Absurdität jeder, der sich im amerikanischen Magazinjournalismus einigermassen auskennt, ermessen kann: Der linksliberale «New Yorker» ist Obama bis heute geradezu in Nibelungentreue verbunden.

Welche Lehre können Blattmacher aus beiden Fällen ziehen? Ist Ironie etwas, das man im Journalismus lieber bleiben lässt? Besser wäre es vielleicht, man scherte sich nicht allzu sehr um das Geschrei des Publikums: Wer etwas nicht versteht, dem ist manchmal nicht zu helfen.

Erschienen in der Basler Zeitung: Hier.

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Leserpost

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Wilfried Paffendorf / 24.03.2015

Naja, der Spiegel muss sich ja verkaufen, irgendwie, nach ständig sinkender Auflage. Ich habe in den 60er und 70er Jahren den Spiegel regelmäßig und gerne gelesen. In den 80er Jahren begann das journalistische Niveau allmählich zu sinken. Mein Eindruck war, dass Qualität durch Quantität allmählich verdrängt wurde, und sich die Zeitschrift mehr um die Verkaufszahlen als um gute Recherche sorgte. Bild z.B. verkauft sich nur deshalb so gut, weil das Blatt provozierende, aber leicht zu verdauende Überschriften bringt und der nachfolgende Artikel zum Thema “unter ferner liefen” rangiert. Nur eine Minderheit aller Zeitungsleser interessiert sich für Fakten und Hintergründe, vielleicht weil das mit geistiger Anstregung verbunden ist und eine entsprechende Bildung voraussetzt. Das inkriminierte Spiegel-Titelbild ist m.E. rein auf billige Provokation aus und hat mit guter Satire nichts gemein. Man könnte die Zeitschrift inzwischen auch “Spiegel-Bild” nennen.

Thomas Koch / 23.03.2015

Ich glaube nicht, dass das Ironie war. Das kam von ganzem “Herzen”, von tief drin. Das war nämlich des beste Argument, über welches Linkspopulisten verfügen - die Nazikeule. Diese ist universell und gegen alles einsetzbar, was nicht den links-günen Vorstellungen entspricht. “Gestern” erst gegen Pegida zum Einsatz gekommen, und heute ist Merkel mal eben Nazi.

Thomas Schmied / 23.03.2015

Wenn uns platte Stimmungsmache, verrührt mit einfallsloser Provokation aus der Nazitube zur Verkaufsförderung als Ironie verkauft werden sollen, dann wird´s nix mit dem qualitätsjournalistischen SPIEGELei, dann wird wieder nur Rührei serviert - und dafür zahl ich denen kein Geld, das kann ich selbst.

Horst Jungsbluth / 23.03.2015

Als langjähriger und teilweise naiver Spiegel-Leser habe ich in den neunziger Jahren den Kauf dieses Magazins eingestellt, da mir klar wurde, dass all zu viele Beiträge zwar sicher zum Wohlgefallen des SED-Politbüros ausfielen, aber eher selten die Realitäten erfassten. Die Stasi war bis in Chefredaktion vorgedrungen und auch Gaus und Böhme ließen selbst nach dem Fall der Mauer und den erschreckenden Enthüllungen über die Verbrechen der SED und den katastrophalen Zuständen in der DDR keinen Zweifel daran, auf welcher Seite sie stehen. Auf der im dreifachen Sinne falschen! Leider hat man beim Spiegel keine Konsequenzen daraus gezogen und wenn ich dann Kommentare vom “Millionärssöhnchen”  lese, dann wird mir klar, dass man keine ziehen wollte. Ich bin dann zum damals neuen Magazin “FOCUS” gewechselt und habe in einer geradezu sensationellen Geschichte, an die sich die Medien offenbar nicht ran trauen, feststellen müssen, dass ich vom Regen in die Traufe geraten, da die Berliner Redaktion stolz von “IM Pfau” geleitet wurde.

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