Dirk Maxeiner / 24.07.2022 / 06:00 / Foto: Imago / 92 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Diess ohne Lenkrad

Herbert Diess ist ja kein Dummer, er ist lediglich zu der Einsicht gekommen, dass man einem Bekloppten nicht erklären kann, dass er bekloppt ist (Dieter Bohlen). Folglich hat er beschlossen, den Bekloppten in Berlin zu erzählen, was sie hören wollten. Und schwupps, bist du Visionär! Oder auch draußen.

Die Bundesregierung empfiehlt Unternehmen, sich wegen der Gaskrise mit Notstromaggregaten einzudecken. Deren Dieselmotoren sollen mögliche Stromausfälle kompensieren. Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis die ersten Ladestationen für E-Autos von solchen Diesel-Aggregaten versorgt werden. Was zu der interessanten Frage führt: Warum fahren wir dann nicht gleich mit einem Diesel?

Und damit sind wir bei Volkswagen-Chef Herbert Diess, der am Freitag mit einer Dämmmatte aus Banknoten nach Hause geschickt wurde, verbunden mit der dringenden Bitte, Wolfsburg künftig zu meiden. Wenn man eine solche Aktion unauffällig über die Bühne bringen will, empfiehlt es sich, den Deliquenten unmittelbar vor den Werksferien (sie beginnen morgen, Montag 25. Juli) in die Pampa zu schicken. Dann sind Mitarbeiter und Medien schon halb in Urlaub und keiner stellt dumme Fragen. Und wenn alle gut erholt wieder da sind, ist schon Gras über das Malheur gewachsen, so grün wie im Golfclub am Tegernsee. Business-Insider wählte für den Vorgang die stromsparende Formulierung, VW habe Diess „den Stecker gezogen“.

Nachfolger des bisweilen mit dem Kosenamen „Dr. Death“ gewürdigten Herbert Diess wird Porsche-Chef Oliver Blume. Die Person des Rivalen wurde drei Tage vor dem offiziellen Diess-Rauswurf in der ZDF-Satiresendung „Die Anstalt“ skandalisiert („Porsche-Gate“). Blume soll vor der Porsche-Belegschaft Despektierliches gesagt haben: 

„Wir haben sehr großen Anteil, dass die E-Fuels in den Koalitionsvertrag mit eingeflossen sind. Da sind wir ein Haupttreiber gewesen, mit ganz engem Kontakt an die Koalitionsparteien. Der Christian Lindner (FDP) hat mich in den letzten Tagen fast stündlich auf dem Laufenden gehalten.“  

Ob das so stimmt und wer aus welchem Grund solche Interna durchgestochen hat, werden wir kaum erfahren; der enge zeitliche Zusammenhang und die handelnden Personen deuten aber darauf hin, dass das eine und das andere durchaus vom selben Keilriemen angetrieben sein könnte. Sollte Blume noch auf den letzten Metern als neuer VW-Chef in die Leitplanken befördert werden? Handelt es sich um ein Abschiedsgeschenk? Oder einen Willkommensgruß? Ich empfehle für den nächsten Turbo des Konzerns die gewinnbringende Bezeichnung "Deep Throat". Ein bisschen Selbstironie muss sein, Leute. 

Die Liste der offenen Rechnungen

Die „Volkswagen-Kultur“ und die „Porsche-Kultur“ sind sich besonders herzlich zugetan. Besonders seit der ehemalige Porsche-Chef Wendelin Wiedeking 2009 versucht hatte, VW putschartig zu übernehmen. Da fielen die Stuttgarter Controller in Wolfsburg ein wie die GSG 9 in Mogadischu. Doch sie scheiterten. Die Liste der gegenseitig offenen Rechnungen ist seitdem noch länger als die Aufzählung der aufpreispflichtigen Extras für einen Porsche 911. Es wird nicht langweilig in Wolfsburg, zumal an einem Konzern-Chef ja eine ganze Entourage hängt, die nun ebenfalls zügig verabschiedet werden muss, bevor sie Unheil anrichten kann. Die Temperatur in der Vorstandetage nähert sich mitten im Sommer der einer grönländischen Gletscherspalte.

Doch zurück zu „Porsche-Gate": Zunächst einmal handelt es sich um einen klassischen Fall von Industrie-Lobbying. Was nicht prinzipiell schlecht sein muss – und auch nicht verboten ist. Sonst müsste der gesamte Berliner Politikbetrieb sofort in Alcatraz untergebracht werden. Lobbyisten umschwirren den Politikbetrieb wie die Fliegen einen Haufen Kuhdung, Frau Doktor Merkel hat mit ganzen Airbusladungen von Wirtschafts-Vertretern die Welt bereist. Inhaltlich plädierte Blume schlichtweg dafür, den Verbrennungsmotor nicht aufs Altenteil zu schicken, weil man keine ernstzunehmende Alternative hat. Und Lindner hat das begriffen – wie soll er sonst zu seiner Hochzeit nach Sylt kommen –, siehe oben Notstromaggregat.

Herbert Diess stieß hingegen in den letzten Jahren und Monaten VW-Stammkunden mit der Forderung nach höheren Kraftstoffpreisen vor den Kühler und trat seiner Belegschaft mit einem Applaus für das geplante Verbrennerverbot ab 2035 ins Gemächt. Auch ließ er mal eben so en passant fallen, dass sich in Wolfsburg 30.000 Mitarbeiter einen schönen, aber nutzlosen Lenz machen würden, die man deshalb im aufziehenden elektrischen Paradies nicht mehr vorgesehen habe. 

Die ehemalige Grünen-Vorsitzende und heutige Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energie, Simone Peter, „mutmaßliche Weltrekordhalterin im Setzen von Ausrufezeichen auf Twitter" (Zitat taz) ließ nach nach dem Diess-Rauswurf wissen: „Er mag Fehler gemacht haben, aber VW braucht Visionäre wie Herbert Diess". Und fügte hinzu: „Man hätte sich verständigen müssen. Nur mit E-Mobilität haben Autobauer eine Chance. Porsche und E-Fuels sind auf dem Holzweg. Die braucht man für Flugzeuge, aber doch nicht für Autos." Frau Peter muss das wissen, schließlich hat sie mit einer Arbeit über „Die Rolle des heterotrophen Bakterioplanktons und der planktischen autotrophen Nitrifikation im Sauerstoffhaushalt von Saar und Mosel" promoviert. 

Entschlossen, ebenfalls nachhaltig zu verunfallen

Nach den Windrad-Visionären, die gerade mit der sogenannten „Energiewende" auf einem Acker notlanden, sind jetzt Ersatzrad-Visionäre wild entschlossen, ebenfalls nachhaltig zu verunfallen. Nur dass die Sackgasse diesmal „Verkehrswende" und „Transformation zur Elektromobilität" heißt. Frei nach Einstein: „Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“

Im Grunde kündigt sich mit dem Rauswurf von Diess ein Kulturkampf an, der zügig weitere Industriezweige erfassen dürfte. Ein Kampf zwischen denen, die sich einen Restverstand für ökonomische und physikalische Machbarkeit bewahrt haben, und jenen, die sich den Lebenslügen der Politik ergeben und sich mit staatlich betreutem Managen einen feinen Lenz machen wollen. 

Diess ist ja kein Dummer, er ist lediglich kühl abwägend zu der Einsicht gekommen, dass man einem Bekloppten nicht erklären kann, dass er bekloppt ist (Zitat nicht Einstein, sondern Dieter Bohlen). Folglich hat er beschlossen, den Bekloppten in Berlin das Händchen zu halten und zu erzählen, was sie hören wollen – und schwupps, bist du Visionär und alle sind lieb zu dir. Ein tragfähiges Konzept für Europas größten Autohersteller ist dies aber eher nicht. 

Im ersten Jahr der Zeitrechnung nach Gazprom

Dass seine Vision sich irgendwann hart mit der Realität stoßen würde, wussten zumindest Leser des Sonntagsfahrers frühzeitig. Meine Sammlung an korrekten Vorhersagen wird mir allmählich selbst unheimlich, ich glaub, ich muss damit aufhören. So schrieb ich Ende letzten Jahres, als seine Karriere zum ersten Mal ins Trudeln geriet: „Herbert Diess fliegt... und man lässt ihn vorläufig in der Luft betanken. Der Aufsichtsrat grübelt darüber, wie man ihn unauffällig auf dem Erdboden einer für alle gesichtswahrenden Verwendung zuführen könnte."

Aber es wäre womöglich noch eine Weile länger gutgegangen, doch im ersten Jahr der Zeitrechnung nach Gazprom ist für Deutschlands Industrie Sturm angesagt. Wolken schieben funktioniert nicht mehr. Die Wirklichkeit lässt sich auf Dauer nicht im Kofferraum verstecken.

Im Gegensatz zur Politik gibt es in der Wirtschaft ja gelegentlich noch eine Opposition. In Wolfsburg wird sie angeführt von Daniela Cavallo, ihres Zeichens Vorsitzende des Betriebsrats bei Volkswagen. Der legendäre Volkswagen-Godfather Ferdinand Piëch wusste immer um die Macht der Arbeitnehmervertreter und behandelte sie wie einen mit rohen Eiern vollgepackten Samba-Bus, weshalb er auch von deren Puff-Besuchen im schönen Brasilien rein gar nichts mitbekam.  

Der Fall Diess ist bedauerlicherweise völlig lustlos, geradezu vegan. Und in seiner Art ein frühes Zeichen für die großen Auseinandersetzungen und Verteilungskämpfe der kommenden Monate und Jahre in einem absteigenden und ideologievernagelten Industrieland. Es geht keineswegs nur um die Besetzung eines Chefpostens, sondern um die Rolle des Automobils als solches – also seine wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Funktion. Wenn Autofeinde wie Simone Peter einem Automanager tränenreiche Abschiedsgirlanden flechten, dann wird es Zeit, den Airbag zu aktivieren. Möglicherweise entdecken Arbeitnehmervertreter und Gewerkschaften in der Krise ja wieder, für wen sie eigentlich da sein sollten. Zumindest das wäre ein Fortschritt für dieses Land.

 

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.

 

In eigener Sache:

Seit einigen Tagen ist Achgut.com erneut Verleumdungen und Boykott-Aufrufen aus dem antisemitischen Milieu auf Twitter ausgesetzt. Anonyme Denunzianten, die unser freies Onlinemedium wirtschaftlich vernichten wollen, denunzieren uns bei Unternehmen – verbunden mit dem Aufruf, keine Werbung mehr bei uns zu schalten. Mehr dazu finden Sie im Beitrag: Die „Compliance“ von Antisemiten. Aufgrund vieler Fragen von Achse-Lesern und Twitter-Nutzern, was man ganz praktisch dagegen tun könnte, beschreiben wir hier die Möglichkeit, verleumderische Twitter-Tweets und Nutzer-Profile bei Twitter zu melden: Was Sie gegen Twitter-Denunzianten tun können.

Foto: Imago

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

A. Ostrovsky / 24.07.2022

Man wird auf lange Sicht de Dieselgeneratoren gleich in die E-Autos einbauen müssen. Das spart die Batterie. Den Rest macht man mit Mega-Caps.

Andreas Mertens / 24.07.2022

Diess wurde also gedisst. Läuft!

Rudhart M.H. / 24.07.2022

Aber Herr Maxeiner, dafür bräuchte es aber eine ganze Menge Weselskys , die ich weder am Horizont , noch dahinter erkennen kann. Da wird wohl nix draus werden, wenigstens so lange nicht, bis das von einem ordentlichen Black-out geklärt werden wird. Nur vermutlich braucht man danach auch keine Gewerkschaften mehr ... und ich freu’ mich drauf (Zitat aus der grünen Schatzkiste).

Reinhold Schmidt / 24.07.2022

@Thomas Schmied Na das gibt’s doch schon länger. Schauen Sie nur mal hinter das Fahrerlager der Formel E, womit dort der Strom für die “Öko-Renner” produziert wird.

Christian Steinberger / 24.07.2022

Wie schnell würde aus dem Volkswagen ein selbstentzündlich trabisierender V-Au-wEh, wäre das Unternehmen mehrheitlich unter Kontrolle der Parteikader oder von Blackrock&Co; oder der Parteikader von Blackrock&Co;? So übel scheinen Eigentümerfamilien einzelner Unternehmen also nicht zu sein. Solange sie nicht (zu viel) untereinander heiraten und mehr am raren Gut als am baren Wert interessiert bleiben. Ob der zukünftige Volkswagen weiterhin eine bevormundend piepsende bis fahrverweigernde Nervensäge oder ein Symbol der Freiheit sein wird, das hängt (oder das hinge?) in einer echten Marktwirtschaft nicht nur vom Dekadenzgrad der Erben, sondern auch vom Volk ab. Was ist von letzterem zu erwarten, wenn es mehrheitlich freiwillig Staubmasken trägt und Annalenas Deutsch nicht nur im Rückspiegel als besondere Form der Authozität deutet?

A. Ostrovsky / 24.07.2022

Herr Maxeiner, ich stimme Ihnen vollständig zu. Leut*Innen, die alles über Flusskrebs an der Mosel wissen, sollen ihre wertvolle Kompetenz nicht an Grundsatzentscheidungen der Mobilität des Homo Sapipi (Pipapo) verschwenden. Der Flusskrebs winkt schon mit der Schere, weil er endlich trennen will, was auseinander gehört. Ich selbst hatte hier ja schon einmal geschrieben, dass ich glaube, dem Elektromotor gehört im Auto die Zukunft, nur eben nicht im Batterieauto. Daraus entsteht ein kleiner Widerspruch, für den ich um Entschuldigung bitte. Ich glaube aber da ist erstmal Hausaufgabenzeit. Und das muss dann auch kontroliert werden! Der Fehler des Wirtschaftskrebses an Rhein und Mosel und vor allem an der Leine ist ja die blödsinnige Idee, die Zukunft wäre heute. Aber woher kommt Ihr Optimismus, die Arbeitnehmervertreter würden sich wieder auf die Arbeitnehmer besinnen? Was wenn es gar keine Arbeitnehmer gibt? Dann wird es immer noch die Arbeitnehmervertreter geben, die dann die Arbeitnehmer vertreten, quasi als Dummy anstelle eines Phantomschmerzes. Nur die Steiern nach Anlage N werden sie nicht zahlen. Schade. Wer macht das dann? Die Insider wissen aber, eine Mockinginstanz ist nie vollkommen.

Anton Weigl / 24.07.2022

Das mit den Notstromaggregaten die mit Diesel betrieben werden, um damit mit E- Autos Autorennen zu fahren, ist kein Witz, Walter Röhrl, ehemaliger Rallyweltmeister aus Regensburg hat das einmal in einem Interview angesprochen. Die e-Rennautos werden alle mit Dieselaggregaten betrieben, die in den Boxen versteckt sind. Das ist die Realität bei der Formel-E. Röhrl hat dann auch noch angesprochen, daß er den Benzin riechen will.

Ulla Schneider / 24.07.2022

Guten Morgen, Herr Maxeiner und besten Dank für die VW-Innereien. -Herr Dies scheint ja sehr begeisterungsfähig und luftschlösserbauerisch zu sein. Ich wage eine Empfehlung: Soll er doch den Posten von Claudia übernehmen. Die Ausstellungen würden um ein Vielfaches größer, vielleicht auch interessanter sein ( ein Auto mit Flügel und Windrad auf dem Kopp). Manchmal ist man ins falsche Fach abgedriftet oder gehüpft worden. Die sind eher in der Kunst (im Auge des Betrachters) zuhause.  - Den Belegschaften der vielen Autobauern und -zulieferungen wünsche ich eine “Gut Donnerwetterstreik-Ambition”. -Jungs und Mädels stampft nicht nur mit dem Fuß auf! -

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com