Wird die Affäre Wulff jetzt doch noch zum Lehrstück? Und zwar über den Journalismus? Der Journalismus, so scheint sie uns lehren zu wollen, enthüllt nicht nur Probleme, er schafft auch Fakten. Vulgo: Recherchen haben nicht nur Ursachen, sie haben durchaus auch Folgen. Zur Hauptfolge der Affäre Wulff droht die Beschädigung des Amtes zu werden, und zwar nicht allein durch den gewissermaßen des Tauschhandels verdächtigen Amtsinhaber, sondern auch durch das Offenlegen, sprich Veröffentlichen von Flugtickets und anderem Abgeflogenen: Wer bei einem Bundespräsidenten von Hotelrechnungen spricht, wird er nicht bald nur noch von Hotelrechnungen sprechen? Ist es nicht die B- Seite des Investigativen, eine Amtsbeschädigung durch demokratische, also mehrheitsgestützte Prüfung? Die öffentliche Verhandlung von offenen Fragen ist bekanntlich der Prüfstein der Rechtstaatspraxis. Wer aber bestimmt, wann und wie der Prüfstein einzusetzen ist?
Gibt es tatsächlich eine Krise des Amtes, und gab es diese vielleicht schon vor Wulff? Warum ist eigentlich sein Vorgänger Köhler zurückgetreten? Wüssten wir es, wüssten wir dann nicht mehr? Und warum haben sich die Medien nicht für Köhlers Rücktritt ausreichend interessiert?
Darauf gibt es eine einfache Antwort, leider. Köhler war keine Medien- Figur, er eignete sich nicht zum Frontmann, nicht einmal zur politisch korrekten Rampensau. Und damit sein Kasus auch nicht zur Skandalisierung.
Der Rücktritt Wulffs möge das Ergebnis eines journalistischen Machtanspruchs und einer journalistischen Machtdemonstration sein. Wir wissen, warum er zurückgetreten ist, aber was wissen wir sonst noch? Die ihn ins Amt gehievt haben, die Honorigen der politischen Klasse, haben ihre Kriterien für das Amt nicht geändert, man hat zwar von der Beschädigung des Amtes gesprochen, aber kaum von seinem Sinn
Vielleicht sollte man darüber nachdenken, warum dieses Amt, bei all seiner uns vorgetragenen Bedeutungslosigkeit, so umstritten ist und regelmäßig für Skandale sorgt. Kommt es nicht sogar daher, dass es bloß Repräsentations- Aufgaben sind? Wenn die Tagespolitik der Gang zum Bäcker ist, bei dem das Risiko in dem wenig subtilen Detail besteht, die falschen Brötchen zu holen, so zielt die Tätigkeit des Bundespräsidenten aufs Ganze, auf das Frühstück sozusagen. Der Bundespräsident repräsentiert nicht nur die Bundesrepublik nach außen, er ist auch unser Frühstücksdirektor.
Er erinnert den Bürger an die eigene Macht, an ihre Beschaffenheit. Es ist, als hätte man den König enteignet, ohne die Monarchie abzuschaffen, als hätte man ihn zum Pächter auf seinem vormaligen Grundstück gemacht, der Bürger aber, der in ähnlicher Weise zum Pächter der Nation wurde, kann den Eindruck haben, der Präsident sei in Wirklichkeit sein Hausmeister.
Damit wäre dieser nicht etwa für die Aufklärung zuständig, sondern für die Glühbirnen. Das wiederum erklärt unseren Anspruch an ihn. In der Regel machen sich die Journalisten gerne zu Sprechern der Bürger und ab und zu machen auch die Bürger die Journalisten zu ihren Sprechern. So wird man nicht bloß zum Anwalt einer Sache, sondern auch zu ihrem Pächter. Am Ende sind alle Pächter, und keiner weiß mehr, wohin die Pacht gegangen ist. So wird die Gesellschaftsdebatte zur Diskussion über Rechnungsbelege.
Die Folge ist, dass kaum einer für ein Amt wie das des Bundespräsidenten noch zur Verfügung steht. Wenn aber keiner mehr will, ruft man in Deutschland in alter Gewohnheit nach dem Pfarrer. Den heutigen Umständen entsprechend sucht man mit Vorliebe nach dem ehemaligen Pfarrer. Man verwechselt en passant den Moralisten mit dem Denker, und macht beide zu Moralpredigern. Gauck, der seit Jahren in diese Konstellation gebrachte, ist nicht, wie die Medien behaupten, der Kandidat der Bevölkerung, er ist vielmehr der Kandidat der wegen der Kirchensteuer aus der Kirche ausgetretenen.
Das Problem ist, dass die Frage, ob es sich nun um Atheisten oder Christen handelt, zweitrangig ist. Überhaupt ist jede Erklärung in der Sache zweitrangig. Nach dem ganzen Hin und Her bleibt nur eine Möglichkeit um Krisen wie die augenblickliche zu vermeiden: Der nächste Bundespräsident kann nur ein Steuerberater sein!