Henryk M. Broder / 24.05.2016 / 22:39 / Foto: genvessel / 19 / Seite ausdrucken

Das Rauchen gehört zu Deutschland

Es ist überall dasselbe Bild, von Reykjavik bis Tel Aviv, von Uppsala bis Palermo, von Breslau bis Barcelona. Die Raucher werden ausgegrenzt. Ob die Sonne vom Himmel brennt, ob es stürmt oder schneit, wenn einer rauchen will, muss er ins Freie, denn drinnen, in den Büros, Cafés und Restaurants, ist das Rauchen inzwischen fast überall verboten. So bekommt das Drama "Draußen vor der Tür" des Schriftstellers Wolfgang Borchert eine ganz neue Bedeutung.

Ich muss zugeben, dass sich mein Mitleid mit den je nach der Jahreszeit frierenden oder schwitzenden Rauchern in engen Grenzen hält. Als Nichtraucher habe ich viele Jahre unter deren Gleichgültigkeit gelitten.

"Stell dich nicht so an" oder "sei doch nicht so ungemütlich" raunzten sie mich an, wenn ich mich darüber beschwerte, dass ich zum Passivrauchen gezwungen wurde. Der kalte Qualm steckte überall, in meinen Bronchien, in meinen Haaren, in meinen Kleidern. Die Kleider konnte ich zum Lüften aushängen, die Haare waschen, aber die verstopfen Bronchien brachten mich um den Schlaf.

Deswegen fand ich es richtig und gerecht, dass die Raucher nach und nach gezähmt wurden. Ich will auch nicht gegen meinen Willen zum Biertrinken oder dem Verzehr von Tofu-Buletten genötigt werden. Aber nun, finde ich, ist die Grenze des Nötigen und Zulässigen erreicht, nein: überschritten.

Eine neue EU-Verordnung ist in Kraft getreten, wonach Tabak- und Zigarettenpackungen sowohl auf der Vorder- wie der Rückseite Schockbilder zeigen müssen: verfaulte Zähne, offene Wunden und Karzinome – alles Folgen des Tabakkonsums. Die bis dahin geltende EU-Richtlinie 2001/37 über die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und die mit ihr verbundenen Warnungen – wie "Rauchen kann zu einem langsamen und schmerzhaften Tod führen" – hat wohl nicht zum gewünschten Ergebnis geführt. Es wird immer noch geraucht, wenn auch wesentlich weniger als noch vor fünfzehn Jahren.

Deswegen wird jetzt noch eine Kippe draufgelegt. Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Schaut alle her! So sehen demnächst eure Lungen aus! Wie eine frisch geteerte Straße, über die ein Dutzend Panzer gerollt sind!

Schon möglich, dass der eine oder andere Raucher daraufhin mit dem Rauchen aufhört. Dennoch bleibt die Frage, ob die Regierung, in diesem Fall als der verlängerte Arm der EU, nicht nur den Rauchern, sondern uns allen etwas zu viel des Guten zumutet.

Wir leben sowieso in einer Erziehungsdiktatur, in der uns täglich gesagt wird, wie wir uns ernähren, wie viel CO2 wir produzieren bzw. verbrauchen dürfen und dass wir Sport treiben sollen, um im Alter fit zu bleiben. Am besten für uns und die Umwelt wäre es, wenn wir nichts essen und nur sporadisch atmen würden. Wo bleibt da die Eigenverantwortung? Ist sie nichts mehr wert? Wird sie vollends ausgelagert?

Ich muss mit dem Rauchen nicht aufhören, weil ich damit nicht anfangen werde. Aber jetzt werde ich gleich vor die Tür gehen und eine paffen. Aus Solidarität mit den Rauchern.

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Jürgen Fleischer / 26.05.2016

Habe auch einen Vorschlag. Drachenfliegen ist eine gefährliche Sportart. Wie wäre es denn, wenn man auf den Flügeloberflächen Bilder von Personen nach einem Absturz sehen würde? Auch bergsteigen ist gefährlich. An markanten Kletterstellen sollten Bilder den Zustand abgestürzter Bergsteiger zeigen. EU-Kommissare: “Es gibt viel zu tun! drum packt es beherzt an. Als nächstes kommen die Autofahrer dran. Da wird mir auch noch etwas einfallen. Herzlich, Jürgen Fleischer

Thomas Hellerberger / 26.05.2016

Lieber Herr Broder, ich finde das Rauchen nun gerade nicht als Ausdruck bürgerlich-individueller Freiheit. Rauchen ist kein Genuß, sondern nur eine Sucht. Wer raucht, vergißt sehr schnell, wie es sich anfühlt, kein Raucher zu sein – nämlich so wie ein Raucher, wenn er den ersten Zug macht. Den ganzen Tag und nicht nur drei Züge lang. Das Nikotin verschafft zu keinem Zeitpunkt den Rausch, den Kick, den Opiate oder Amphetamine verschaffen, oder eben der Suff. Deswegen konnte es ja zur absoluten Massendroge werden, aber seine Suchtmächtigkeit ist beinahe noch höher als die von Heroin. Während aber der Kiffer oder Kokser und auch der Trinker, sofern er nicht in die Gegend kotzt, einen dritten mit seiner Suchtbefriedigung nicht behelligt, zwingt ein Raucher seine Umgebung immer zum Mitrauchen, in weitem Umkreis. Das und nicht die Schädlichkeit des Rauchens, die Selbstzerstörung des Rauchers waren und sind der Grund, warum Raucher nun überall draußen bleiben müssen. Natürlich – die ganzen Antiraucher-Kampagnen sind verlogen, weil der Staat über die Tabaksteuer wie ein Pusher mitverdient. Trotzdem ist es in den letzten 20 Jahren gelungen, den Rauchern das Etikett, cool, weltmännisch und genußorientiert zu sein, wegzunehmen. Allein dadurch ist die Zahl junger Rauchender und der Raucher insgesamt gesunken. Und das ist gut so. Europa kam Jahrtausende ohne Tabak aus. Niemand braucht diesen Gestank. Verboten ist es nicht, das soll so bleiben. Aber ich will von dem Qualm nicht behelligt werden. Nicht im Biergarten, nicht im Büro, nicht im Zug. Nirgendwo. Ich rauche nicht, ich saufe nicht, ich schnupfe nichts. Und ich fühle mich sauwohl dabei.

Bärbel Schmidt / 26.05.2016

Irgendjemand schrieb vor einiger Zeit zu dem Thema - ich glaube auf achgut -, dass man jetzt mit der Erfindung von interessanten Umverpackungen reich werden könnte. Vielleicht passend zum Handy. Ich wüsste übrigens schon lange gerne, wieviel Krebstote wir jetzt weniger haben. Ich meine, auf die Gesamtheit der Bevölkerung gerechnet. Ich kann mir vorstellen, dass man seines Lebens vielleicht doch nicht soviel sicherer geworden ist wie man glaubt.

Jörn S. Engelmann / 26.05.2016

Ich hätte da noch einen Vorschlag zur Optimierung des Erziehungsauftrags: Die Einführung eines Pfandes für Kippen und deren Verpackungen. Das säubert die Umwelt und ergibt neue Arbeitsplätze bei der Pfandrückgabe, der amtlichen Überwachungsindustrie und belebt den Medientummelplatz für Experten und Expertinnen.

Wolfgang Weege / 26.05.2016

” Die Raucher werden ausgegrenzt.” So ein Schwachsinn! Seit Jahren haben wir Plaketten, die schmutzigen Autos die Innenstadt verbieten. Nie hat jemand behauptet, die Fahrer alter Fahrzeuge würden “ausgegrenzt” - “Wir leben in einer Erziehungsdiktatur” - auch so ein Schwachsinn. Im Auto darf ich mein Handy nicht mal anfassen, ich könnte ja abgelenkt werden. Niemand beschwert sich darüber. 15 Km/h zu schnell gefahren - Zack - Strafe! Jeder “sportliche” Fahrer ärgert sich zwar darüber, aber ich habe noch niemand gehört, der das “Erziehungsdiktatur” nannte. Alle diese Scheinargumente kommen von der Tabakindustrie. Sie kämpft verbissen gegen Aufklärung, Verbote und Einschränkungen. Dabei geht es nicht um Freiheit, sondern um Profit! Rauchen ist Sucht und hat damit viel mehr Ähnlichkeit mit Sklaverei als mit Freiheit. Broder, den ich sonst als Freigeist schätze, ist mir schon oft als Schreiberling im Interesse der Tabakmafia unangenehm aufgefallen. Der wird doch nicht auf deren Lohnliste stehen?

Joachim Illge / 26.05.2016

Danke für diesen Beitrag, Herr Broder. Diese Ausgrenzung von Rauchern kommt mir vor wie ein Test.  Unsere Volkserzieher, die Gutmenschen, lassen testen. Thema: Was können wir Minderheiten zumuten, ohne dass sie sich wehren, und ohne daß die Mehrheit sich solidarisiert ? Ergebnis: Leider sehr viel. Das hat den Volkserziehern gut gefallen, und wir dürfen uns auf weitere Aktionen freuen, die Deutschland in einen Kindergarten verwandeln.

Wolfgang Schäfer / 26.05.2016

Als männlicher Raucher suche ich mir immer die Packungen aus mit der Aufschrift “Rauchen in der Schwangerschaft schadet Ihrem Kind”. Das macht mir dann nichts aus.

Hubert Manter-Koller / 26.05.2016

Naja, hauptsache die EU hat die Flüchtlingskrise, die Griechenlandkrise, die Eurokrise, die Krise der europäischen Jugendarbeitslosigkeit und die Steuerflüchtlingskrise (zb auf den Kanalinseln) und das ganz große Unverstandensein des besten Freihandelvertrages aller Zeiten (ttip) gelöst. Da kann sie sich dann auch um volkserzieherische Petitessen kümmern, die absolut niemanden mehr großartig vom Hocker reißen werden, weil es ja wieder mal nicht viel mehr ist, als sagte die Wettermoderation: Vorsicht, Regen ist nass und bei Schnee kann es glatt werden. Ach, die oben genannten Krisen sind gar nicht gelöst? Äh…..ach aber das Problem mit den Kippen war für uns ja alle sehr drängend! Nicht wahr? Nicht? Na dann ists wohl mal wieder ein Fall von operativer Betriebsamkeit bei geistiger Windstille.

Reinhard Huchthausen / 26.05.2016

Ich lese Ihre Texte ja eigentlich immer ganz gern, aber - sorry - das ist Bullshit, lieber Broder! Aufgrund meines Alters habe ich die ach so herrlichen Zeiten noch miterlebt, in denen praktisch überall geraucht wurde. Ich erinnere mich noch sehr lebhaft an Meetings (damals nannte man das noch irgendwie anders), in denen ich neben dem Großen Vorsitzenden saß und Protokoll schreiben musste. Dieser nette Zeitgenosse rauchte eine nach der anderen - in einem Raum mit geschlossenen Fenstern. Ich könnte zahlreiche andere Beispiele aufführen (Restaurants, Züge). Und - man muss es leider sagen (persönliche Erfahrungswerte) - die allermeisten Raucher waren/sind rücksichtslose Zeitgenossen. Sie können sich einfach nicht vorstellen, dass ihre Emissionen auf andere Menschen wie Körperverletzung wirken. Ich bin heilfroh, dass es mittlerweile Regelungen gibt - und die haben nicht die Funktion der Gängelung, Herr Broder, sondern dienen dem Schutz Schwächerer.

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