Nun hat es gestern wieder getagt, das deutsche Corona-Notstandskomitee. Seit mehr als einem halben Jahr und auf noch unabsehbare Zeit hält es ganz Deutschland im Ausnahmezustand und schränkt mittels Infektionsschutzgesetz Grundrechte erheblich ein. Die Runde aus Kanzlerin und den Ministerpräsidenten der Länder ist kein im Grundgesetz vorgesehenes Entscheidungsgremium, besitzt damit eigentlich keine demokratische Legitimation.
Obwohl es einschneidendere Entscheidungen für das Leben der Bürger unter Bürgerrechtsentzug getroffen hat, als je eine Bundesregierung, entscheidet es streng genommen gar nichts. Die Runde hat immer nur beschlossen, was die Bundesländer dann umzusetzen hatten. Anders hätte der Notstandsumweg über das Infektionsschutzgesetz nicht funktioniert. Die Frage, warum die Bundesregierung für einen landesweiten Notstand zu keiner Zeit daran dachte, das Notstandsgesetz anzuwenden, das ja auch für den Seuchenfall vorgesehen ist, wurde nie schlüssig beantwortet.
Mit den Ankündigungen der Bundeskanzlerin Merkel und ihres Möchtegern-Kronprinzen Söder, „die Zügel“ wieder straffer zu ziehen, sprich die Bürger auf Bürgerrechtsentzug wieder stärker zu reglementieren, wurden selbige schon darauf vorbereitet, neue Einschränkungen verkündet zu bekommen. Es war wie vor dem Sommer: Tagelanges Geraune über die möglichen Pläne, dann eine lange Sitzung und gespanntes Warten auf die Ergebnisse. Diese wurden von der Bundeskanzlerin dann in herablassender Eintönigkeit, in Sprechblasen gekleidet bekannt gegeben. Anschließend hatte die deutsche Politikdarsteller-Riege die Chance vor die gebührenfinanzierten Kameras zu treten, zusätzliche Sendeminuten in einem ARD-Extra nach der Tagesschau inklusive.
Die Maske sollte als Symbol unbedingt bleiben.
Irgendwie hatte dieses Notstandskomitee vor etlichen Wochen eine Art Sommerpause eingelegt. Die Bürger mit den eingeschränkten Bürgerrechten bekamen zur Stimmungsaufhellung ein paar Lockerungen zugestanden: Ein bisschen reisen, ein klein wenig Kultur, kleinere Veranstaltungen, Museen- und Zoobesuche wurden möglich. Alles weitere sollten die Länder in Eigenregie entscheiden, nur eines nicht: die Aufhebung der Maskenpflicht. Die Maske sollte als Symbol unbedingt bleiben.
Die meisten Deutschen hatten sich mit der Erwartung in den Sommer begeben, dass nun schon nach und nach alles gelockert würde. Langsam genug natürlich, damit niemand keine Fragen aufkommen, ob das alles vielleicht ein großer Fehler war. Die Zahlen zeigten, dass nur verhältnismäßig wenige Menschen an Covid-19 erkrankten oder gar starben. Tragisch, aber das ist eben auch bei anderen Krankheiten, mit denen wir in der alten Normalität alltäglich lebten, nicht anders. Irgendwie hofften viele Deutsche einige Wochen lang in ehrlichem Harmoniebedürfnis, dass sich jetzt doch alles in Wohlgefallen auflösen könnte. Man wäre dann auch nicht nachtragend.
Das ist nachvollziehbar, doch damit hatten die so Hoffenden ihre Rechnung offenbar ohne die Wirtin gemacht. Ohne großes Aufsehen beschlossen Bund und Länder, Reiserückkehrer und überhaupt verstärkt zu testen. Grundsätzlich kein Problem, wenn man in der anschließenden Berichterstattung nicht den simplen Fakt unterschlägt, dass je mehr getestet wird, auch mehr „Fallzahlen“ zustande kommen. Genau das aber taten Politik und Medien in den letzten Wochen und erzeugten eine neue alarmistische Grundstimmung wegen „gestiegener Zahlen“.
Weder eine Steigerung noch eine alarmierende Größenordnung
Höflichst ausgedrückt ist das grober Unfug. Eher sind es wohl, im passenden neudeutsch gesagt Fake-News. Denn der Anteil der positiv Getesteten liegt seit Wochen immer beinahe konstant mal bei einem, mal bei 0,96 oder 0,88 Prozent. Darin ist weder eine Steigerung noch eine alarmierende Größenordnung zu erkennen. Zumal dann, wenn – es hier oft gesagt und geschrieben worden – man berücksichtigt, dass diese Ergebnisse um die ein Prozent falsch positiv Getestete beinhalten, die eigentlich gar nicht infiziert sind. Und für diejenigen, welche unseren Experten nicht glauben, hatte es auch der Bundesgesundheitsminister einmal kurz erklärt.
Trotzdem agieren die Verantwortungsträger aus Bund und Ländern so, als würden die Covid-19-Zahlen gerade in alarmierende Höhen steigen. In dieser Atmosphäre bereiteten sie wieder die Runde des Corona-Notstands-Komitees vor. Neue Einschränkungen waren zu erwarten.
An sich eine niederschmetternde Ausgangslage, aber wer sich den Auftritt des Trios aus Kanzlerin, Kronprinz und Bundesratsvorsitzenden nach der Corona-Runde anschaute, konnte daraus auch Hoffnung schöpfen. Man musste allerdings auf die Nebensätze hören.
Zunächst begann die Bundeskanzlerin mit den beinahe altbekannt wirkenden Sprechblasen. Die „gestiegenen Zahlen“ würden das Corona-Notstandskomitee nun dazu zwingen, einen „neuen Anlauf“ mit Maßnahmen zur Begrenzung ebendieser Zahlen zu nehmen. „Es lohnt sich“, sich „dieser Herausforderung“ zu stellen und zu den niedrigen Zahlen zurückzukehren. Natürlich pries sie die Notwendigkeit der Masken, um dann zu den konkreten Beschlüssen zu kommen, über die hinreichend berichtet wurde: Quarantäne statt Tests bei der Einreise aus Risikogebieten ab Oktober, keine Entschädigung für Quarantäne-Verdienstausfälle, wenn die Reise vermeidbar war und keine Großveranstaltungen bis Jahresende. Das sind die offenbar einstimmig gefassten Beschlüsse.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff ist tatsächlich nicht umgefallen und erhebt als einziger kein Mindestbußgeld von 50 Euro fürs Gesicht zeigen. Das ist schon eines der Hoffnungszeichen. Die Einheitsfront im Corona-Notstandskomitee zeigt Risse.
Die Macht der Maske
Auch mit einer anderen geplanten Einschränkung ist Angela Merkel in dem Gremium nicht durchgekommen: der bundeseinheitlichen Reduzierung der Teilnehmerzahl bei privaten Feiern und Veranstaltungen. Auch das ist ein Hoffnungszeichen, wobei Angela Merkel deutlich machte, dass sie diese Niederlage nicht hinzunehmen gewillt ist. Getreu dem Motto, aufgeschoben ist nicht aufgehoben erklärte sie, dass immerhin der Fokus auf dieses Thema jetzt gesetzt sei und man werde sich in den nächsten Wochen mit dem Thema weiter beschäftigen müssen.
Möglicherweise ist ihr dabei auch das Demonstrationsverbot für Kritiker der Corona-Politik in die Parade gefahren, denn dieser Umgang mit einem wichtigen Grundrecht sorgte für ziemlich breite Kritik. Da wären zeitgleiche Zusammenkunftsbeschränkungen für Familien und Privatpersonen kaum gut angekommen. Von einer Bild-Journalistin nach ihrer Haltung zum Berliner Demonstrationsverbot gefragt, stammelte sie fast, dass sie die Berliner Entscheidung respektiere und man nun sehen müsse, wie sich das mit den folgenden gerichtlichen Entscheidungen entwickle.
War noch was? Ach ja, auf dem Podium gab es noch die beiden anderen Darsteller. Nennenswert aufgetreten ist, erwartungsgemäß, nur Markus Söder. Er kleidete die Verkündungen der Kanzlerin noch einmal in etwas andere – zugegebenermaßen bessere – Worte und Sätze. Dass Maske derzeit das einzige sei, was wir haben, um Corona zu bekämpfen, war vielleicht das Highlight der gestrigen Söder-Prosa.
Ja, vielleicht ist es überhöht, in den kleinen Rissen im Corona-Notstandskomitee schon Hoffnungszeichen entdecken zu wollen. Aber wo es an Hoffnungszeichen mangelt, ist man bekanntlich weniger wählerisch. Und im Bereich der bezahlten Politik-Ausübung ist dieser Mangel wohl kaum zu bestreiten.