Keine Antworten, keine Erklärung, keine Entschuldigung. Kein Dialog, kein Verstehen, kein Abschluss möglich. Jeder Versuch, etwas zu bereinigen, wird gnadenlos missachtet. So wie im Fall privater Trennungen läuft es auch bei der Aufarbeitung der verheerenden Corona-Politik: Die Verantwortlichen machen sich einfach dünne.
Können Sie sich noch an die gute, alte Zeit erinnern, in der es als grob unfein und mindestens charakterschwach galt, per Telefon Schluss zu machen? Das war, bevor man als besonders großer Drückeberger den Anderen per WhatsApp abservieren konnte, während man, womöglich bereits in neuer Gesellschaft, gemütlich auf dem Sofa lümmelte. Wobei auch dies noch nicht das Ende der unrühmlichen Feiglings-Fahnenstange darstellt. Der neue Trend heißt Ghosting. Unvermittelt abtauchen, Tür zu und konsequent totstellen. Verschwinden wie ein Geist.
Betraf dieses unschöne Phänomen einst wohl nur flüchtige Bekanntschaften in irgendwelchen einschlägigen Kontaktbörsen, die nach kurzem Geplänkel einfach abgebrochen wurden, ist es heute zunehmend kein Einzelfall mehr, dass selbst jahrelange Freundschaften oder sogar Verwandtschafts- und Liebesbeziehungen auf diese so erschütternde Weise beendet werden. Unglaublich bequem für denjenigen, der sich nicht auseinandersetzen möchte. Zumal, wenn dieser sich zuvor so einiges hat zuschulden kommen lassen. Unfassbar schmerzhaft für denjenigen, der einfach wort- und kommentarlos stehengelassen wird.
Keine Antworten, keine Erklärung, keine Entschuldigung. Kein Dialog, kein Verstehen, kein Abschluss möglich. Jeder Versuch, etwas zu bereinigen, wird gnadenlos missachtet. Sollte der oder die fassungslose Schnellentsorgte nicht von allein resignieren und weiterhin penetrant auf einem Gespräch bestehen, hilft zu guter Letzt, die Nervensäge zu blockieren. Und je größer der (räumliche) Abstand und somit geringer die Gefahr, sich auf der nächsten Hochzeit, Geburtstagsparty, Betriebsfeier oder der örtlichen Kirmes in die Arme zu laufen, womöglich noch unter missbilligenden Blicken aller Umstehenden, desto wahrscheinlicher ein derartiges Verhalten. Alltagspsychologisch gesprochen reichlich narzisstisch.
Prinzip des Ignorierens und Auf-Durchzug-Schaltens
Waren Menschen schon immer so? Davon ist auszugehen. Nur die Zeiten haben sich geändert. Lebte man früher in einer relativ überschaubaren Gemeinschaft, die soziale Kontrolle ausübte, strebt heute der Rahmen, in dem wir uns bewegen, Richtung unendlich. Zum anderen sind zunehmend Kommunikationsmedien dazwischengeschaltet. In Kontakt zu treten, war noch nie so einfach. Sich zu entziehen und nicht Rede und Antwort stehen zu müssen, ebenfalls nicht. Insbesondere, wenn es eigene Missetaten zu thematisieren gilt oder man mit dem konfrontiert zu werden droht, was man angerichtet hat, scheint sich das Prinzip des Ignorierens und Auf-Durchzug-Schaltens zu etablieren, bleibt es doch weitestgehend folgenlos.
Warum ich Ihnen das erzähle und was das alles mit Corona zu tun hat? Wenn Sie es nicht bereits ahnen, noch einen Augenblick Geduld, bitte.
Im Prinzip gibt es nur drei Motivationen, warum sich Individuen in sozialen Kontexten und im Umgang miteinander an Regeln und Normen halten, selbst wenn dies zunächst mit Kosten und aversiven Gefühlszuständen verbunden ist. Erstens: weil es ihnen ein Bedürfnis ist und ihrem eigenen Anspruch an sich selbst entspricht. Zweitens: weil sie sich davon einen Vorteil versprechen. Oder drittens: um Nachteile und Sanktionen zu vermeiden. Fall Eins könnte man unter den altmodischen Oberbegriffen Anstand, Moral oder Gewissen verbuchen. Dass es damit bei den Verantwortlichen im Corona-Desaster nicht allzu weit her sein dürfte, da es sonst erst gar nicht so weit gekommen wäre, kann man wohl getrost konstatieren.
Bleiben also nur die beiden extrinsisch motivierten Varianten übrig. Und seien wir realistisch: Die entsprechenden Politiker, Profiteure und eifrigen Mitmacher werden nach einer Überschlagskalkulation keinerlei Vorteil darin sehen, um Verzeihung zu bitten, den Austausch zu suchen, für Fehler geradezustehen und dieses im Raum stehende Ungetüm aus der Welt zu schaffen. Wozu auch? Um das Vertrauen der Kritiker wiederzugewinnen oder diese gar zu rehabilitieren? Davon haben sie keinerlei Nutzen – denn unser Anteil ist und bleibt prozentual zu gering, und unser Schmerz ist ihnen ohnehin egal.
Die restliche, große Masse der Gesellschaft setzt sich aus denen zusammen, die nach wie vor glauben, dass „die da oben“ es doch nur gutgemeint haben und halt Entscheidungen unter Unsicherheit treffen mussten, denen, die leise zweifeln, es aber eigentlich lieber doch nicht so genau wissen, sondern alles lieber recht zügig vergessen möchten, und denen, die grundsätzlich nicht übermäßig viel registrieren. Insofern hat Helge Braun möglicherweise nicht einmal unrecht, wenn er eine Aufarbeitung für unnötig erachtet, weil „Bürger keinen Streit mögen“. Ungemein praktisch überdies, um zukünftige totalitäre Ideen wie WHO-Pandemie oder phantasievolle CO2-Persönlichkeitsentrechtungsverträge unter das naive Volk zu bringen.
Und damit basta! Es gibt nichts zu diskutieren!
Und mit negativen Konsequenzen müssen die Akteure, Stand heute, auch nicht rechnen. Sollte man sich unangenehmen Nachfragen trotzdem nicht vollends entwinden können, wird taktisch geschickt der Fragende ins Unrecht gesetzt. So warnt Janosch Dahmen (Die Grünen) vor „nachträglichen Schuldzuweisungen“. Meint, dass diejenigen es wohl einfach nicht gut sein lassen können, keine anderen Hobbys und vermutlich eine zweifelhafte Streitkultur haben. Auch findet Heike Engelhardt (SPD) allein die Ermittlung, ob das Gesundheitssystem tatsächlich überlastet war, bereits „frech“. Philipp Amthor (CDU) lehnt einen Untersuchungsausschuss mit den Worten ab, er sei „respekt- und pietätlos gegenüber den Menschen, die an und mit Corona gestorben sind“.
Und damit basta! Es gibt nichts zu diskutieren, geschweige denn Posten oder gesellschaftliches Ansehen zu verlieren, noch sind gar Strafen zu erwarten. Denn dazu müsste ja erst mal jemand kommen, der Rechenschaft erzwingen und nicht nur erbitten kann. Und bis dahin können wir von einer Aufarbeitung nur träumen und sie ghosten, was das Zeug hält. Doch während man sich im persönlichen Bereich mit seiner Wut, seiner Sprachlosigkeit und dem erlittenen Unrecht eines Tages abfinden und stattdessen bevorzugt den nicht wenigen Menschen widmen darf, die sich offen, zugewandt und integer verhalten, existieren zu der Gesellschaft und dem System, in dem man lebt, leider wenig Alternativen.
Dennoch gibt es Hoffnung. Sei es, dass die Medien und vor allem der Journalismus sich wieder ihrer eigentlichen Aufgaben besinnen. Sei es, dass die Wissenschaft, wie Michael Crichton ausführte, zur Ethik zurückfindet und eine konzertierte Anstrengung führender Wissenschaftler stattfindet, die Wissenschaft aggressiv von der Politik zu trennen. Sei es, wie der Historiker Dr. Jürgen Wächter in seinem Buch „Massenwahn“ darlegt, dass Täter im Anschluss an einen Machtwechsel stets zur Verantwortung gezogen werden. Und das muss nicht einmal der ganz große Crash sein. Für das Ernennen einer Enquete-Kommission beispielsweise muss lediglich ein Viertel der Mitglieder des Deutschen Bundestages zustimmen. Hält die Partei, deren Name nicht genannt werden darf und die während der Pandemie nicht zuletzt für ihre Forderungen nach Augenmaß und Verhältnismäßigkeit auf dem medialen Scheiterhaufen stand, bis zur nächsten Bundestagswahl ihren Erfolgs- und Umfragekurs, wäre durchaus vorstellbar, dass daran ein gesteigertes Interesse besteht.
All diese Dinge werden Zeit brauchen. Doch wie sagte Victor Hugo? „Ein Traum ist unerlässlich, wenn man die Zukunft gestalten will“.
Daniela Seidel, Jahrgang 1974, studierte Psychologie und ist heute Wahl-Braunschweigerin und Unternehmerin.