Burkhard Müller-Ullrich / 23.04.2008 / 21:19 / 0 / Seite ausdrucken

Computerüberwachung

Die Sittengeschichte hinkt dem technischen Fortschritt immer weiter hinterher. Man weiß gar nicht, wie man mit all den elektronischen Geräten in unserer Lebenswelt umgehen soll. Schon Fotoapparate waren problematisch: Mit jedem Klick geht ein Stück Seele des Abgebildeten verloren. Jetzt gibt es elektronische Kameras allüberall und vermutlich überhaupt keine Seelen mehr. Dafür gibt es jede Menge Diskussionen darüber, was erlaubt werden könne und was verboten werden müsse – Diskussionen, verglichen mit denen die Erörtungen mittelalterlicher Scholastiker über das Geschlecht der Engel und wie viele von ihnen auf eine Nadelspitze passen noch ganz rational wirken.

Vor allem der innenministerielle Tanz um den Computer hat etwas Dadaistisches. So soll die Kriminalpolizei zwar in Wohnungen einbrechen und Abhörwanzen sowie neuerdings auch Minikameras installieren dürfen, wenn irgendein Terrorverdacht besteht, aber den Computer dürfen die Vertreter der Staatsgewalt nicht ausspähen. Dabei findet im Computer natürlich alles Wesentliche statt. Das wissen auch die Innenminister, weshalb wiederum geplant ist, auch das Herunterladen gewisser Informationen (zum Beispiel Bomben-Bauanleitungen) zu einer Straftat zu machen.

In der Praxis wird das zu wahnwitzigen Verwicklungen führen, denn wer weiß schon wirklich, was sein Computer so alles im Speicher hat. Das Internet ist ja keine simple Zapfstelle, sondern ein Datenstrom, der durch uns hindurchfließt. Ständig poppen beim Surfen irgendwelche ungewollten Fenster auf; wer mag da ausschließen, daß sich Bombenbauanleitungen und Ähnliches von selber installieren?

Doch selbst wenn jemand absichtlich Bomben-Bauanleitungen sucht und herunterlädt, darf das noch nicht als kriminell betrachtet werden. Es muß möglich sein, auch noch im dritten nachchristlichen Jahrtausend, zwischen Geist und Materie, zwischen Gedanke und Tat, zwischen Wort und Schuß zu unterscheiden. Es muß möglich sein, sich für Bomben auf zwar intensive, aber theoretische Weise zu interessieren, ohne daß einen dieses bloße Interesse ins Gefängnis bringt.

Die Sicherheitspolitiker tappen hier in solchen philosophischen und juristischen Grauzonen, daß ihr dauerndes Gerede von einer „sauberen Lösung“ schon sehr verräterisch ist. Nun soll die Polizei sogar Wohnungen von Unverdächtigen auf diese saubere, im neuen Bundeskriminalamtsgesetz niedergelegte Weise ausspionieren dürfen. Doch wie sauber der deutsche Schnüffelstaat ist, hat sich ja kürzlich gezeigt, als er einem Kriminellen für gutes Geld gestohlene Daten abkaufte. Das ist der Fluch von Liechtenstein: die Lust an Online-Durchsuchungen kennt keine Grenzen, und wenn sich beim Ausspähen von Unverdächtigen etwas ergibt, dann wird es wieder heißen: die Ermittlungsbehörde war verpflichtet, auch zufällig gewonnene Erkenntnisse weiterzumelden.

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