Gastautor / 19.05.2010 / 14:02 / 0 / Seite ausdrucken

“Besser direkt ins Gesicht als hintenrum”

Versteckter und offener Antisemitismus in deutschen Medien? Beides ist Realität, sagt Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden

Herr Kramer, in der jüdischen Gemeinde wird darüber diskutiert, ob Antisemitismus in deutschen Medien wieder salonfähig sei. Ihr Befund?

Die Medien sind ein Spiegel der Gesellschaft. Sie sind etwas vorsichtiger als ein Stammtisch. Der Antisemitismus in Zeitungen und TV-Sendungen ist etwas schwieriger zu packen, aber es gibt ihn.

Beispiele, bitte!

Ein Kommentator der FAZ formuliert ohne jeden Bezug zum Inhalt „in der von Michel Friedman, einem Juden, moderierten Talkshow ...“. Für den Presserat mag das kein rügenswerter Fall sein, dennoch ist die Formulierung ausgrenzend und auf antisemitische Reflexe des Lesers ausgerichtet. Auch Fotos können antisemitische Reflexe befeuern.

Da wird im „Tagesspiegel“ ein Artikel zu den anstehenden Friedensverhandlungen im Nahen Osten mit dem Foto des amerikanischen Präsidenten gedruckt, der im Gespräch mit orthodoxen Juden in seinem Office gezeigt wird.

Was stört Sie daran?

Das Klischee von der jüdischen Lobby, die die amerikanische Politik manipuliert, ist in Bilder gefasst. Besonders interessant ist, dass das Foto nachweislich ein Jahr zuvor aufgenommen wurde und in keinem Zusammenhang mit dem aktuellen Artikel steht.

Bilder mit orthodoxen Juden im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt sind ein bedauernswerterweise eingesetztes Stilmittel, um Israel als einen fanatischen Gottesstaat zu zeichnen, obwohl wir es mit einer nach weltlichem Recht regierten Demokratie zu tun haben.

„Bevor ein junger Israeli zur Armee geht, muss er mindestens einmal Suff, Sex und eine Auschwitzreise erlebt haben“, schrieb in der taz die israelische Autorin Iris Hefets, die viele als antisemitische Jüdin sehen. Das Gedenken sei in Israel zu einer Art Religion mit festen Ritualen verkommen. Wird der Ton härter?

Die vermeintlich guten alten Zeiten, in denen man als jüdischer Vertreter in Debatten vor Angriffen per Definition geschützt war, sind vorbei. Das gilt auch für Attacken, deren Urheber offensichtlich keine Kinderstube genossen haben. Aber da bin ich froh drüber. Diese Kuscheldiskussionen vergangener Tage haben niemandem genützt. Mir ist es lieber, dass mir jemand ins Gesicht sagt, „Du bist ein dreckiger Jude“, als dass er es hintenrum macht. Denn dann kann man sich auch zur Wehr setzen.

Bekommen Sie so etwas gesagt?

Ja, sowohl in Diskussionen als auch in Zuschriften. Das kann auf zwei Arten passieren. Oft ganz offen, gern aber auch mit Einleitungen wie „Ich habe jüdische Freunde und war schon in Israel, muss jetzt aber wirklich mal sagen ...“.

Wie äußert sich Antisemitismus in der linken Presse?

Er zeigt sich in der „Jungen Welt“, im „Neuen Deutschland“ und teilweise auch bei der taz in einer einseitigen Berichterstattung zum Nahost-Konflikt und einer kompromisslosen Parteinahme für die palästinensische Position. Israel wird dabei als rassistischer und imperialistischer Kolonialstaat gezeichnet. Das Agieren der israelischen Armee wird unterschwellig in die Nähe der Wehrmacht gerückt, und es wird zu Boykotten israelischer Waren aufgerufen. Dabei verweisen linke Blätter gern auf jüdische Kronzeugen, die als Alibi-Juden den Antizionismus kaschieren sollen, der die Grenze zum Antisemitismus zuweilen deutlich überschreitet.

Welche Unterschiede beobachten Sie in rechtsgerichteten Zeitungen?

Antisemitismus kommt dort vor allem beim Thema Vergangenheitsbewältigung zum Ausdruck. Hier sind Juden die ewigen Störer einer unbeschwerten nationalen Identität, die allein schon durch ihre Anwesenheit den Traum mancher Vergangenheitsentsorger von einer geschönten und von allen nationalsozialistischen Verbrechen gereinigten deutschen Geschichte zerstören.

Sehen Sie ein rechtsextremes Blatt wie die „National-Zeitung“ als Bedrohung?

Die „National-Zeitung“ ist für mich weder eine Bedrohung noch vergnügungssteuerpflichtig. Das Blatt hat nur geringe publizistische Bedeutung.

Wie bewerten Sie die „Junge Freiheit“?

Die „Junge Freiheit“ arbeitet in einer gefährlichen Grauzone des politischen Spektrums, nämlich zwischen demokratisch Konservativen und rechtsextremen Nationalisten. Gleichwohl behauptet die „Junge Freiheit“ stets, dass sie sich extremistische Meinungen nicht zu Eigen macht, um so rechtlichen Konsequenzen aus dem Weg zu gehen. Da sie ihnen aber eine Publikationsplattform bietet, ist eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz meines Erachtens unabdingbar.

Als Selbstkontrollorgan der Medien soll der Deutsche Presserat über die Berichterstattung wachen. Wird er seiner Aufgabe gerecht?

Ich nehme den Presserat nur in Ausnahmefällen in Anspruch, da ich grundsätzlich eine direkte Diskussion und Auseinandersetzung mit meinem Gegner vorziehe. In der Regel ist das Ergebnis der direkten Auseinandersetzung für alle Beteiligten befriedigender, als wenn sich ein Dritter oder gar ein Gremium als vermeintlicher Schiedsrichter einmischt. Im Übrigen habe ich den Eindruck, dass der Presserat eher Kritik an den Medien abwehrt, als sich objektiv inhaltlich mit etwaigen Vorwürfen auseinanderzusetzen.

Empfinden junge Juden beim Thema Gedenken anders als alte?

Das kann man pauschal so nicht sagen. Wir haben aber das Problem zu lösen, wie wir es hinkriegen, dass unseren jungen Menschen bewusst bleibt, was warum geschehen ist. Gleichzeitig hängt vielen die ewige Opferrolle der Juden zum Hals raus. Juden haben Widerstand geleistet und zu Hunderttausenden für die Befreiung gekämpft. Auch das muss betont werden. Das Holocaust-Mahnmal in Berlin mit seinen sonnenbadenden Pärchen und Currywurst essenden Touristen zwischen und auf den Stelen ist jedenfalls nicht die Lösung für die zukünftige Erinnerungsarbeit.

Interview: Jan-Philipp Hein
Erschienen im Wochenmagazon Focus vom 17.5.10
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages



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