Richard Wagner / 15.04.2008 / 09:53 / 0 / Seite ausdrucken

Berlusconi, die Freiheit der Bürger und ihr Müll

Der Cavaliere ist zurück, wieder gewählt. Ist Italien in Gefahr? Nein. Und wieso nicht? Berlusconi hat bereits seine dritte Amtszeit vor sich, auch in den beiden vorangegangenen hat er das Land, wie man sehen konnte, weder destabilisiert noch ruiniert. Er hat viel geredet und wenig getan. Unterscheidet ihn das vom Rest der italienischen Politiker oder gar vom Rest Europas? Alle reden viel und tun wenig. Wer zu forsch auftritt, wird umgehend von der Trägheit der Institutionen in die Schranken gewiesen. Die Trägheit der Institutionen verhindert nicht nur die nötigen Reformen, wie stets beklagt wird, sie verhindert auch die Destabilisierung.

Was Italien zusammenhält, ist bestimmt nicht seine politische Klasse, es ist nicht einmal der Staat. Italien ist vielmehr eine stille Summe seiner Bürger, die zwar nicht engagiert auftreten, sich aber zu helfen wissen. Vom Staat fühlen sie sich eher belästigt. Bei ihrem Freiheitsanspruch ausgebremst. Italien hat, wie kaum ein anderes Land, einen Bürgertypus hervorgebracht, der den Citoyen von sich weist, auf seine Rechte pocht und gleichzeitig die Pflichten ignoriert. Es ist der umtriebige Kleinbürger und Spießer, der sich gegen die Kontrolle auflehnt, gegen die staatliche Reglementierung. Er möchte in Ruhe gelassen werden, bei dem was er macht. Schließlich ist er ja fleißig, und sein Fleiß bringt Italien bis heute auf der Liste der Wirtschaftsmächte weit nach oben.

Die italienische Gesellschaft ist eine Solidargemeinschaft gegen den Staat, die sich aber nicht als Solidargemeinschaft versteht sondern als Biotop der Einzelkämpfer. So einer ist auch Berlusconi. Er wurde seinerzeit, als Unternehmer, vom Staatspräsidenten mit dem Titel „Cavaliere del Lavoro“ (Ritter der Arbeit) ausgezeichnet. Wegen seiner umfangreichen Bautätigkeit. Wenn ihm die Bezeichnung Cavaliere heute zufällt, so steckt in dem Ausdruck nicht nur der Ritter, der er wohl kaum ist, und auch nicht der Mann der guten Manieren, der er sicher nicht ist, sondern auch der Raubritter, der sich seinen Anteil holt, in der festen Überzeugung, das dieser ihm zusteht. Der Spießbürger nickt eifrig. Die Diebe sind stets die anderen. Ist das Populismus? Ja, es ist Populismus. Aber wer ist nicht populistisch? Sind es die Ex-Kommunisten etwa nicht, wenn sie sich jetzt Demokraten nennen?

Der größte rhetorische Verlust, den die europäischeLinke zu verzeichnen hat, ist der Freiheits-Begriff. Ein Begriff, der im 19. Jahrhundert noch eine unbestritten linke Verankerung hatte. Dass er der Linken abhanden gekommen ist, hat mit ihrem Andocken an der Utopie zu tun, mit ihrer Kapitulation vor dem Kollektivismus, mit ihrer Sowjetfreundlichkeit. Der Bolschewismus war nicht der Totengräber der Bourgeoisie, er war der Totengräber der Freiheit und damit auch der Linken.

Folgerichtig punktet ein Berlusconi heute mit dem Thema, nennt seine Wahlpartei Popolo della Liberta (Volk der Freiheit). Und was ist das genau? Es ist der Zusammenschluss von Forza Italia (Wir erinnern: Berlusconis Partei, für deren Namen und Erfolg ein Fußballschlachtruf genügte) und Gianfranco Finis Alleanza Nazionale, die sich vom Postfaschismus zum Konservatismus vorgearbeitet hat. Frappierend? Ja und nein. Die Lehre ist, es kommt auf das Parteikonstrukt nicht mehr an. So wie die Pop-Band, durch Casting, stellt man auch eine Partei auf. Man muss nur die wirksamen Parolen mit den richtigen Personen zusammenbringen. Eigentlich kann das jede gute Werbeagentur.

Der Wahlausgang in Italien lässt den Staat eine Legislaturperiode weiter stolpern. Vielleicht werden sogar die Müllberge in Neapel verschwinden, zumindest vorübergehend, vielleicht wird die Alitalia saniert, vorübergehend, versteht sich, und die Büffelmozzarella wieder unverdächtig. Aber wäre das dann wirklich der Regierung zuzuschreiben? Stammt doch der Müll von den Bürgern und auch die Mozzarella wird nicht im Parlamentsgebäude hergestellt.

Um wirklich frei zu sein, bedarf es der Vernunft. Das aber gilt nicht nur für Italien.

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