Silvia Meixner / 01.07.2010 / 11:25 / 0 / Seite ausdrucken

Berlins beste Seiten

Man liest oft, wie schrecklich es sein muss, beim Drogeriediscounter „Schlecker“ zu arbeiten. Schlimmer kann eigentlich nur sein, dort einzukaufen. Mein Ratschlag: Betreten Sie diese Läden nur mit einem klimpernden Sortiment an Münzen und kleinen Scheinen, denn es geht schließlich darum, der Kassierin zu Diensten zu sein. Weil es früh am Morgen war, hatte ich das irgendwie vergessen und wollte mit einem 50-Euro-Schein bezahlen. Sofort ging das Gezeter los, ob es denn nicht kleiner ginge, ich wäre heute schon die Dritte, kurzum: Blabla. Die Schlecker-Mitarbeiterin maulte vor sich hin und als ich meinte, dass es doch vielleicht nicht die Aufgabe der Kunden sei, für Wechselgeld zu sorgen, wurde sie noch unfreundlicher. Sie kramte nach Scheinen und fuhr fort, mich maßzuregeln. Da empfahl ich ihr, doch besser in einem Archiv zu arbeiten, denn dort gibt es erfreulicherweise keine Kunden, keine Menschen, nur Bücher, Akten, stumme Dinge.

Das absolute Totschlagargument nach „Sie sind der Erste, der sich beschwert“ ist im maroden Verkäufer-Kunden-Verhältnis die Feststellung: „Sie haben aber schlechte Laune!“ Ich hatte morgens gute Laune, dann fünf Minuten wegen der Verkäuferin nicht und anschließend, draußen an der frischen Luft, war ich wieder bestens gelaunt. Ich möchte auch nicht bei Schlecker arbeiten, aber wenn ich es täte, würde ich die Kunden nett behandeln. Falls Sie dort nicht einkaufen wollen: Es handelt sich um die Schlecker-Filiale am Mexikoplatz in Berlin.

Während ich dies schreibe, läuft im Radio eine Geschichte über Berliner Busfahrer und deren zum Teil unglaublich boshaftes und ruppiges Verhalten. Die müssen ein ähnliches Berufsverständnis wie Schlecker-Verkäuferinnen haben. Ich habe mehrmals erlebt, wie Busfahrer hämisch grinsend im letzten Moment die Tür geschlossen haben und abgefahren sind, während die zahlenden Gäste fassungslos davor standen. Einmal fuhr ein Fahrer glatt an der Station vorbei, ohne anzuhalten. Als die Fahrgäste protestierten, machte er eine Vollbremsung und rief: „Steigen Sie eben hier aus!“ Ein gehbehinderter Mann flog einmal quer durch den Bus, dem Fahrer war’s egal (als ich mich bei der BVG beschwerte, kam ein Formschreiben, dass sie den Vorfall bedauern, mit dem Fahrer sprechen wollen und es toll wäre, dass ich ein zufriedener BVG-Fahrgast sei).

Es muss unglaublichen Spaß machen, seine Macht auf diese Weise auszuüben. Man kann nur dankbar sein, dass diese Menschen nur Bus fahren und sich nicht an internationaler Politik beteiligen- die Welt wäre voller Diktatoren. Die Bus-Nummer ist besonders am Flughafen Tegel sehr beliebt. Schöner und herzlicher kann man in Berlin als Tourist nicht empfangen werden. Aber zumindest weiß man dann, was einen später, in der Stadt erwarten wird. Ist ja auch was wert.

Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Silvia Meixner / 25.11.2016 / 10:53 / 0

Heul doch, Airbnb!

Wenn nichts mehr geht, kann man immer noch ein paar Krokodilstränen ins Rennen werfen: „Meine Tochter lebt in der Schweiz. Ich vermiete meine Wohnung, wenn…/ mehr

Silvia Meixner / 12.09.2016 / 15:00 / 1

Silvi, die Wahlkampf-Waitress – live aus Berlin! (5)

Ich hab’s getan. Briefwahl. Mit einem flauen Gefühl im Magen habe ich mein Kuvert in einen Berliner Briefkasten geworfen. Begleitet von guten Wünschen und lieben…/ mehr

Silvia Meixner / 04.09.2016 / 12:45 / 0

Silvi, die Wahlkampf-Waitress – live aus Berlin! (4)

Wenn Wahlkampf ist, entdecken Politiker traditionell ihre Liebe zum umweltschonenden Radfahren. Getreu Ciceros Ratschlag „Versprich allen alles“ schüren sie Träume, die am Tag nach der…/ mehr

Silvia Meixner / 31.08.2016 / 18:51 / 3

Silvi, die Wahlkampf-Waitress – live aus Berlin! (3)

Kaum hängen irgendwo Wahlplakate, üben sie magnetische Faszination auf Idioten aus. Die einen malen die Augen aus, andere malen Frisuren oder ihren gedanklichen Dünnpfiff auf…/ mehr

Silvia Meixner / 08.08.2016 / 11:23 / 3

Silvi, die Wahlkampf-Waitress - live aus Berlin! (2)

Ich darf in Berlin als EU-Bürgerin zwar nicht wählen, aber es gibt ja den Wahl-O-Mat. Mein Wahl-Ersatz. Ich habe beschlossen, politisch mainstream zu sein. Die…/ mehr

Silvia Meixner / 02.08.2016 / 14:00 / 1

Silvi, die Wahlkampf-Waitress – live aus Berlin!

Hi, I’m Silvi, I’m your Wahlkampf-Waitress – und ich führe Sie durch den Berliner Wahlkampf. Heute: Die Hunde-Antiköder-Website. Eine Initiative der intelligenten Berliner Politik. In…/ mehr

Silvia Meixner / 15.12.2015 / 12:00 / 2

Warnung vor dem Keks! (Silvis Culture Club 81).

Früher hat die Großmutter im Advent die Kekse gebacken, die Kinder bekamen vom rohen Teig ein bisschen Bauchweh und alles war gut. Heutzutage lässt man…/ mehr

Silvia Meixner / 08.09.2015 / 12:00 / 1

Silvis Culture Club (80): Exquisite Dummheit über den Wolken

Air Berlin schickt mir eine sensationelle Offerte: „Machen Sie uns ein Angebot für einen freien Nebensitz“. Die Idee ist so penetrant wie sinnfrei und ich…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com