Johannes Richardt, Gastautor / 03.02.2016 / 12:30 / 14 / Seite ausdrucken

Bedingungsloses Grundeinkommen: Eine freiheitliche Idee?

Von Johannes Richardt

In der Schweiz wird im Sommer über ein bedingungsloses Grundeinkommen abgestimmt. Auch in Deutschland findet die Idee immer mehr Unterstützer.

Inzwischen  wurde das Datum für die Schweizer Volksabstimmung über das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) bekannt. Am 5. Juni dieses Jahres dürfen die Eidgenossen darüber abstimmen, ob jeder von ihnen – vom Arbeitslosen bis zum Großunternehmer – eine gesetzlich festgelegte und für jeden gleiche existenzsichernde Zuwendung von Seiten des Staates erhalten soll.

Schon vor Jahren hatte ich mich in einem Beitrag kritisch mit Thema Grundeinkommen auseinandergesetzt. Dabei hatte ich vor allem die sich gerne visionär gebende Grundeinkommensbewegung für ihre Ambitionslosigkeit kritisiert. Bei dieser Einschätzung bleibe ich nach wie vor.

Gerade hier in Deutschland geht es einer Großzahl der meist linken oder grünen BGE-Befürworter ausschließlich um Umverteilung. Die viel wichtigere Frage, wie man den zu verteilenden Kuchen für alle größer macht, wird kaum gestellt; und wenn sie gestellt wird, wird sie eher skeptisch bis ablehnend betrachtet. Technologischer Fortschritt und Wirtschaftswachstum werden vor allem als Problem begriffen. Die Zukunft erscheint als Bedrohung, vor der man sich durch eine umfassende staatliche Absicherung schützen möchte.

Auch wenn die Bestrebungen der BGE-Befürworter in der Regel von einem humanistischen Menschenbild getragen werden (kreative Potentiale sollen entfaltet und Zwänge abgebaut werden), hat diese Denkweise wenig mit einem fortschrittsbejahenden Politikverständnis zu tun. Man kann Ideen nicht losgelöst von ihrem sozialen Kontext betrachten; d.h. man muss auch schauen, welche Bewegungen sie mit Leben füllen und im Rahmen welcher Gesellschaftsvisionen sie diskutiert werden.

Gehen wir mal davon aus, dass eine reiche Gesellschaft wie Deutschland ein BGE finanzieren könnte (ein Punkt, der unter Ökonomen umstritten ist): Ohne eine Wachstumsperspektive für die Gesellschaft wäre das BGE nicht mehr als ein Instrument zur Verwaltung von wirtschaftlicher und sozialer Stagnation und letztlich Niedergang. Anstatt neue Freiräume zu schaffen, entstünden nur neue sozialstaatliche Abhängigkeiten, bis es irgendwann dann immer weniger zu verteilen gäbe

Hier muss die Grundeinkommensbewegung meiner Meinung nach noch viel theoretische Arbeit leisten, um als ernsthafte Alternative zum Status Quo zu erscheinen. Denn letztlich hat die Idee eines BGE für Menschen, die an mehr Freiheit und Autonomie interessiert sind, durchaus ihre charmanten, staatsskeptischen Seiten. So haben haben sich etwa auch liberale Vordenker wie Thomas Paine oder Friedrich Hayek für Formen eines Grundeinkommens ausgesprochen.

Heute wird immer deutlicher, dass unsere bisherige Form von Wohlfahrtsstaatlichkeit an ihrer Grenzen gestoßen ist. Der Sozialstaat verabschiedet sich zunehmend von seinem emanzipatorischen Anspruch und nimmt mehr und mehr paternalistische Formen an. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie wir diesen zurückdrängen und so neue Freiräume für die Individuen schaffen können.

Zumindest als Gedankenexperiment kann das BGE hier zur Klärung einiger wichtiger Fragen beitragen. Das heutige Wohlfahrtsmodell basiert auf einer bevormundenden Interventionslogik. Im Grunde sollen alle Menschen in unterschiedlichem Ausmaß von einem omnipräsenten Staat und seinen Institutionen beraten, betreut und erzogen werden. Dabei ist schon lange offensichtlich, dass diese aberwitzige Umverteilungsmaschine mit dem humanistischen Anspruch klassischer Wohlfahrtsstaatlichkeit, nämlich hilfsbedürftige Menschen so zu unterstützen, dass sie möglichst schnell wieder auf eigenen Beinen stehen können, nur noch sehr wenig zu tun hat. Der heutige Sozialstaat fördert Abhängigkeit und Entsolidarisierung statt Unabhängigkeit und gesellschaftliches Miteinander.

Mehr als eine Billion Euro fließen hierzulande jedes Jahr vom Kindergeld über die Pflegeversicherung bis zur Rente in verschiedene mehr oder weniger vom Staat kontrollierte Sozialleistungen. 4,3 Millionen Erwachsene beziehen Arbeitslosengeld II. Es gibt hierzulande über 150 verschiedene Sozialleistungen, die von 38 Behörden verwaltet werden. Von 80 Millionen in Deutschland lebenden Menschen beziehen lediglich 40 Prozent ihr Einkommen komplett aus Erwerbsarbeit. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist also mehr oder weniger direkt von staatlichen Transferleistungen abhängig.

Vor diesem Hintergrund könnte ein BGE an zwei wichtigen Punkte tatsächlich Abhilfe schaffen: Die Sozialstaatsbürokratie würde geschwächt, mehr Raum für individuelle Autonomie könnte entstehen.


Durch die Entflechtung des Sozialstaats gäbe es für die Einzelnen weniger Anreize, staatliche Leistungen und Schlupflöcher auszunutzen. Gleiches würde für Lobby- und Interessengruppen gelten. Es sind nämlich nicht die Ärmsten und Bedürftigsten, die am meisten von der gegenwärtigen Umverteilungslogik profitieren, sondern vor allem auch die Mittelschicht und hier wiederum gut organisierte und staatsnahe Interessengruppen (z.B. Beamte und Angehörige des öffentlichen Dienstes).

Da jeder Bürger einen Rechtsanspruch auf das Grundeinkommen hätte, würden die zurzeit üblichen entwürdigenden Bedürftigkeitsprüfungen und Interventionen in das Privatleben von Sozialleistungsempfängern entfallen. Die Arbeitslosen würden vom Zwang der oft sinnentleerten und unproduktiven staatlichen Bildungs- und Beschäftigungsprogramme befreit. Die gegenwärtige Sozialstaatsbürokratie wäre mit einem Schlag nutzlos, was zu enormen Kosteneinsparungen führen würde.

Alle anderen Gesellschaftsmitglieder wären nicht mehr gezwungen, Ihre Arbeitskraft zur bloßen Existenzsicherung auf dem Arbeitsmarkt feilzubieten. Mit der Sicherheit des bedingungslosen Grundeinkommens im Rücken könnten die Menschen freier als bisher wählen, was, für wen und wie lange sie arbeiten möchten. Zweifelsohne ein Zugewinn an Freiheit für große Teile der Bevölkerung.

Ob diese Argumente für das BGE bereits ausreichen, mag jeder für sich selbst beurteilen.

Johannes Richardt ist Redaktionsleiter von NovoArgumente und Gründungsmitglied des humanistischen Think-Tanks Freiblickinsitut e.V.

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Heike Meier / 03.02.2016

Das BGE schießt über das Ziel hinaus. Mit Konzepten wie z.B. dem “Erziehungsgehalt 2000” (http://www.bpb.de/apuz/25774/das-konzept-erziehungsgehalt-2000?p=all) würde in post-feministischen Zeiten viel erreicht werden können. Doch solange der demographische Faktor nicht durch Familienpolitik, sondern lieber durch Einwanderung ausgeglichen werden soll, bleibt das nur ein frommer Wunsch. Frauen und Männer sind eben Humankapital mit der Illusion von Freiheit.

Jörn Weitzmann / 03.02.2016

Freiheit statt Sozialismus ! Man kann auch ein Einkommen haben, ohne anderen etwas wegzunehmen. Einfach (mehr) arbeiten ist eine Möglichkeit, sich auszubilden und intelligenter zu arbeiten, eine weitere. Wo ist die ethisch moralische Grundlage für das BGE? Das steigert nur Moral Hazard. Unser Sozialstaat baut auf dem Subsidiaritätsprinzip auf, d.h. staatliche Hilfe sollte es nur geben, wenn jemand nicht selbst in der Lage ist sich selbst zu helfen. Die Diskussion erinnert so ein bisschen an jemanden, der in der Hängematte liegt und “mehr Freibier” ruft. Das Gedankenexperiement mal andersherum gedacht: Wie würde sich Moral Hazard und die eigene Entwicklungskraft entwickeln, wenn es ein Steuerwahlrecht gäbe?

Tom Guttmann / 03.02.2016

Neben den von Ihnen genannten Argumenten sehe ich noch ein zusätzliches zentrales Argument. Heute Konkurriert Arbeit im prekären Bereich mit Sozialstaatlicher Zuwendung und es findet eine Kosten Nutzen Rechnung statt ob sich Arbeit überhaupt lohnt. Im Falle eines BGE würde sich dieses Problem in Luft auflösen und schon der erste verdiente Euro würde sich lohnen, auch wenn sicherlich die Besteuerung des ersten Euros höher wäre als er es heute ist, denn der erste Euro wäre BGE+1 Euro. Die Finanzierbarkeit ist sicherlich nicht das Problem. Wenn man davon ausgeht dass die überwältigende Mehrheit an dem Status quo seiner Vermögens und Einkommensverhältnisse festhält werden die meisten Leute die heute Erwerbstätig sind auch erwerbstätig bleiben. Wenn man nun das BGE am Existenzminimum orientiert wie er heute besteht wäre eine Einführung per se gänzlich oder nahezu kostenneutral. Im Gegenteil, der Abbau der Sozialstaats und Fürsorge Bürokratie verspricht vielleicht sogar eine finanzielle Entspannung.

Raphael Jung / 03.02.2016

Sehr geehrter Herr Richardt, vielen Dank für Ihren Artikel, aber auf das “echte” Grundproblem des BGE gehen Sie meines Erachtens garnicht ein. Mit welchem Recht und auf welcher demokratischen Grundlage maßt sich ein Staat eigentlich an, auf das Erwerbseinkommen seiner arbeitenden Bevölkerung in diesem Maße zuzugreifen? Das ist wenigstens durch unser Grundgesetz m.E. nicht gedeckt. Es ist auch nicht demokratisch legitimiert. Es ist darüber hinaus mathematisch ein instabiler Zustand. Wenn nämlich die Bürger entweder keinen Sinn in der Erwerbsarbeit mehr sehen, sondern nur noch tun was Ihnen gefällt; wenn massenhaft unangenehme Jobs (davon gibt es sehr(!) viele) nicht mehr gemacht werden, oder notwendigerweise durch Nicht-BGE Berechtigte gemacht würden (was ist eigentlich mit deren “Entwürdigung”?); wenn die leistungsträger und Unternehmen nicht mehr in Deutschland bleiben, sondern in andere Länder auswandern? Nein, meine feste Überzeugung ist, dass das BGE ein sozialistisches Hirngesprinnst ist. VG Raphael Jung

Claudio Zanetti / 03.02.2016

Kein Grund zur Aufregung. Wir werden abstimmen und das Anliegen wuchtig verwerfen. So ist das in einer Demokratie.

Martin Friedland / 03.02.2016

Vielen Dank für diese fundierten Argumente für das BGE!

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