Gastautor / 13.01.2012 / 18:45 / 0 / Seite ausdrucken

“Axel Springer wollte wenig, das aber wirklich”

Matthias Doepfner: Rede zum 100. Geburtstag von Axel C. Springer

Exzellenzen,
liebe Friede, lieber Giuseppe,
liebe Freunde unseres Hauses,

herzlich willkommen! Ihnen allen wünsche ich ein glückliches, erfolgreiches neues Jahr.

Nein, meine Damen und Herren, ich möchte heute nicht über die seit vier Wochen andauernde Selbstdemontage des deutschen Staatsoberhauptes sprechen. Der Vorgang hat mir, und dazu gehört einiges, die Sprache verschlagen.

Mein Thema sind auch nicht die noch viel größeren internationalen Probleme: Der Euro wackelt, die USA haben ein ungelöstes Verschuldungsproblem, der arabische Frühling mündet in einigen Ländern in islamistischer Gewalt, der Iran rüstet nuklear auf und treibt seine Vernichtungsphantasien Israel gegenüber voran, Griechenland betreibt parastaatlich subventionierte Insolvenzverschleppung und die politische Führung in Europa ist in den letzten Monaten angesichts dieser Herausforderungen – um es höflich zu sagen – nicht immer in Bestform gewesen. 

Wir wissen doch: Alle Probleme sind relativ. Und alle Probleme sind lösbar. Am besten durch jüdische Weisheit. So wie es der jüdischen Mamme ging, die zum Rabbi lief, um sich zu beschweren: Rebbe, ich kann nicht mehr. Wir leben mit fünf Kindern in einem Zimmer, es ist einfach nicht mehr auszuhalten. Was soll ich tun?

Nehmt eine Ziege in eurer Mitte auf, sagt der Rabbi.

Wie bitte? Eine Ziege? Wie werden wir dann leben?

Tu, was ich dir sage, sagt der Rabbi. Und komm nach zwei Wochen wieder.

Nach zwei Wochen kommt die Frau: Rebbe, es ist noch viel schlimmer geworden, unerträglich. Die Ziege stinkt, die Ziege meckert, die Ziege macht uns das Leben vollends zur Hölle.

Dann setz die Ziege wieder raus, sagt der Rabbi. Und komm nach zwei Wochen wieder.

Nach zwei Wochen kommt die Frau: Rebbe, ich danke Ihnen für ihren Rat. Sie haben uns gerettet. Seit die Ziege weg ist, sind wir so glücklich wie noch nie in unserem Leben.

Ich möchte heute weder über Ziegen noch über große Politik sprechen, sondern über Axel Springer. Am 2. Mai dieses Jahres wäre er 100 Jahre alt geworden.

Es ist für mich gar nicht so einfach, mich dem Gründer dieses Unternehmens unbefangen zu nähern. Ich habe deshalb beschlossen, es zunächst aus der Perspektive seiner Gegner zu tun. Und daran war und ist ja wahrlich kein Mangel.

Ich habe mich also durch all die Bücher über und vor allem gegen Axel Springer gearbeitet.  Ich habe den berühmten DRR-Film gesehen, an dessen Drehbuch Erich Mielke persönlich mitgewirkt hat und der sage und schreibe sechs Stunden lang ein Propaganda-Portrait entwirft, dass Axel Springer als schwulen, impotenten Alkoholiker zeigt (man beachte die Kombination), als dümmlichen Spross reicher Eltern, der nur als nützliches Instrument einer rechtsradikalen Verschwörung zu Ruhm und Geld gekommen ist.

Ich habe die zahllosen Hass-Artikel gelesen, die vor allem in den sechziger Jahren über Deutschlands erfolgreichsten Verleger von seinen Wettbewerbern publiziert wurden. Allein von September 1967 bis Juli 1968 gab es drei Spiegel-Titelgeschichten, davon eine so lang wie in der jüngeren Spiegel-Historie nur noch der Titel über die Weltfinanzkrise 2008. Der rote Faden, der sich durch all diese Texte zieht, ist Neid. Wenn es stimmt, dass Neid die aufrichtigste Form der Anerkennung ist, dann bleibt allein das schon eine bemerkenswerte Lebensleistung Axel Springers. Vermutlich ist in Deutschland noch nie ein einzelner Demokrat so bekämpft worden wie Axel Springer. 

Damals sind Klischees geprägt worden, die bis heute, in die Schulbücher hinein die Wahrnehmung des Verlages negativ prägen. Nicht immer ohne Grund, nicht unverdient. Denn in den Blättern des Hauses geschahen damals Dinge, die heute wohl nicht mehr denkbar wären.

In der Verteidigung machte der Verlag sich damals angreifbar. Auf der anderen Seite ist es längst so billig geworden, BILD zu kritisieren. Es ist so einfach geworden, wenn einem die kritische Bericht-erstattung der Zeitung nicht gefällt, von einer „Kampagne“ zu sprechen, und zu viele schlagen sich dann sofort auf die Seite der vermeintlich verfolgten Unschuld.

Es ist Spießermut, zu betonen, wie geschmacklos man BILD findet. Was umso peinlicher wird, wenn man weiß, wie viele Klischees einfach nur Ergebnis höchsteffizienter DDR-Geheimdienst-Desinformation waren. Wie vernetzt die Stasi durch Inoffizielle Mitarbeiter in den Redaktionsstuben dieses Landes war, kann man in dem Dokumentarfilm von Tilman Jens „Bespitzelt Springer!“ und in dem Buch „Feind-Bild Springer – ein Verlag und seine Gegner“ von Tobias Voigt und Stefan Wolle nachlesen.

Wie gefälschte Ausgaben der Bildzeitung in Umlauf gebracht wurden, wie die Stasi den Slogan „Enteignet Springer“ erfand und die Studentenbewegung finanzierte, wie es eine Agentin bis zur Chefsekretärin Axel Springers brachte und dort allerhand an die Stasi weitergab. Gerhard Löwenthals Thesen von damals wirken, mit dem Wissen von heute, geradezu harmlos. Geschichtsbilder ändern sich. Wenn man jemandem vor zehn Jahren gesagt hätte, dass der Ohnesorg-Mörder Kurras ein Stasi-Mitarbeiter war, wäre das als Räuberpistole eines verwirrten Kalten Kriegers abgetan worden.

Das Weltbild damals war klar: Springer ist reaktionär, nationalistisch, antiintellektuell, monopolistisch, ein zentralistisch Meinungen manipulierender Moloch.

Höhepunkt der Anti-Springer-Propaganda ist jener Endlos-Artikel, den der Spiegel, dessen Herausgeber Rudolf Augstein ein enger Weggefährte, manche sagen sogar, zeitweise ein wirklich enger Freund Axel Springers war,  am 1. Januar 1968 veröffentlichte.

Und in diesem Text gibt es ein bemerkenswertes Motiv, das verkleidet als Vorwurf mir in der Tat den Schlüssel zu Axel Springers Erfolg und Wirksamkeit geliefert hat:  Geschildert wird eine Szene, wie Axel Springer im Krieg die Deportation von Juden am Hamburger Dammtorbahnhof erlebt und tief erschüttert beschließt „eines Tages von sich aus alles nur Mögliche zu tun, um wiedergutzumachen.“ Für den Autor aber ist das nichts Positives, sondern Zeichen des Springerschen Sendungsbewußtseins, seiner Emotionalität.

Auch eine andere Szene dient dafür als Beleg: dass Springer sich vom Elend eines Kriegskrüppels, der durch das Brandenburger Tor rollt, zu Tränen rühren lässt. Der Autor schreibt fast angewiedert: „Zunächst beweist sie, (die Szene) ganz wie das Judenerlebnis, wiederum etwas sehr Elementares: die vorwiegend emotionalen Grundlagen seines ganzen Charakters“, beziehungsweise „eine überwiegend visuelle, fast künstlerische, auf jeden Fall den Affekten nicht ferne Natur.“

Hierin offenbare sich „das Gesetz, nach dem die Politik Springers von vorneherein angetreten war: das Gefühl.“

Dass das Engagement für Israel und für die deutsche Wiedervereinigung etwas mit Gefühlen zu tun haben könnte, war dem Rationalismus der damaligen Zeit zutiefst suspekt.

Man muss sich das vergegenwärtigen, so war damals die Stimmung. Konkurrent und Todfreund Augstein überschrieb seine Leitartikel über den Verlag „Die Böses Blut Gmbh“, Axel Eggebrecht vom NDR nannte Springer ein „Krebsgeschwür am Körper unseres Volkes“ und Konkurrent Bucerius lieferte die Textvorlagen für ein Gesetz zur Medienentflechtung, vulgo: zur Zerschlagung Springers.

Eines aber konnten sie damit nicht verhindern: Axel Springers inhaltliches Erbe.

Axel Springer wollte wenig, das aber wirklich. Sein gesellschaftspolitisches Konzept hatte Klarheit und Kontinuität. Springer wollte die Wiedervereinigung. Auftrag erfüllt. Springer wollte Berlin als deutsche Hauptstadt. Heute ist Berlin Hauptstadt. Und Springer wollte den Sowjetkommunismus loswerden. Heute ist der Kalte Krieg vorbei, und vom Kommunismus sind nur noch ein paar Endmoränen in Kuba und Nordkorea übrig.

Was für eine Erfolgsbilanz. Welcher Politiker hat schon so oft Recht gehabt und dann auch tatsächlich von der Geschichte Recht bekommen. Der naive Gefühlsmensch, der Visionär, der „Brandenburger Tor“, war offenbar viel realistischer als die Realisten von damals glaubten. Selbst in seinen Sorgen hat Springer heute noch Recht. Er sorgte sich um Israels Existenz, die heute so gefährdet ist wie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr. Er sorgte sich um die soziale Marktwirtschaft, deren Glaubwürdigkeit und Stabilität durch die seit 2007 andauernde Finanzkrise so ramponiert ist wie seit 1929 nicht mehr. Und er sorgte sich um die Freiheit. Auch das zu Recht.

Was war das für ein Mann, der all das sah, gegen massivste Widerstände verteidigte und das meiste davon auch noch durchsetzte? Ich weiß es nicht. Ich bin der falsche, um darüber Auskunft zu geben. Denn ich bin Axel Springer nie begegnet.

Ich weiß nicht, wer er war und wie er war. Aber ich weiß, was ich in ihm sehe: Nicht den Helden der übermenschlichen Stärke, sondern den Helden der menschlichen Schwäche, der – und das ist entscheidend – diese Schwächen, diese Zweifel, diese Ängste hatte, zugab, aber eben immer dann überwand, wenn es wirklich darauf ankam.

Axel Springers Mut und Axel Springers Kraft lag nicht etwa darin, dass er Ängste und Zweifel niemals besaß, sondern darin dass er Ängste und Zweifel am Ende selbst gegen massivsten Widerstand überwand.

Axel Springer hörte Jazz, rauchte und trank, liebte das Leben und die Frauen und das Geld und den Ruhm. Er war sicher eitel, wahrscheinlich sehr verletzlich, wohl manchmal sogar jähzornig. Er war eben das, was die Juden „ a Mensch“ nennen. Oder das was die Sechziger Jahre als „Gefühlsmensch“ diskreditierten.

Es waren aber genau diese Gefühle, die seine Werte und Zielvorstellungen authentisch machten.

Axel Springer verkörperte in den sechziger und siebziger Jahren den Anti-Zeitgeist schlechthin. Freiheit, Antikommunismus, Wiedervereinigung, Marktwirtschaft, die Unterstützung Israels und Amerikas - er hielt diesen Kurs, obwohl er ein so harmonie-bedürftiger, anerkennungs-sehnsüchtiger, im Grunde auch weicher Mensch war.  Er redete niemandem nach dem Mund. Dass er diese Kraft, diese ständige Selbstüberwindung gegen die eigene Natur aufbrachte, nur weil er von einer Sache überzeugt war, dass er große, auch wirtschaftliche Opfer brachte, um weiter für diese, seine Sache zu kämpfen, das bleibt seine größte Lebensleistung.

Axel Springer hatte einen Kompass. Ein Koordinatensystem. Er war, bei aller Gefallsucht, die er auch hatte, am Ende nicht außengesteuert sondern innengesteuert. Nicht versuchen, herauszufinden, was gut ankommt, sondern herauszufinden und zu tun, was man für richtig hält – das ist Prinzipientreue. Das ist Zivilcourage. Das ist Führung. Maggie Thatcher hat den Satz geprägt: „Leadership is not to be pleased by the moment.“

Im hundertsten Jahr seines Geburtstages können wir hier in diesem Raum mit Blick auf ein mauerloses, wiederverinigtes Berlin feststellen: So sehr der Augenblick Axel Springer widersprochen hat, die Geschichte hat ihm Recht gegeben. Die Frage bleibt: Woher hatte Axel Springer die Kraft?  Wie hat er all das geschafft? Ich glaube: Durch die Gabe, etwas nicht zu trennen, was viele Menschen zu trennen versuchen: Intuition und Intellekt.  Vor allem aber:  durch den sich immer wieder abgerungenen Mut, seine Gefühle zu leben.

Gefühle sind nichts, was man unterdrücken muß. Sie sind oft richtiger als die scheinbar unfehlbare Ratio. Ehrliche Gefühle sind authentisch.

Nicht Unfehlbarkeit, Ehrlichkeit ist Authentizität.

Das spüren die Menschen. Das motiviert uns. In diesem Unternehmen noch immer. Und mehr denn je. Axel Springer ist ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod – in diesem Unternehmen und darüber hinaus lebendig.

Vielen Dank!

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