Kolja Zydatiss / 22.01.2021 / 11:00 / Foto: Pixabay / 16 / Seite ausdrucken

Ausgestoßene der Woche: Jörg Dahlmann, Andreas Sönnichsen

Der prüde, puritanische Zeitgeist, der nicht selten behauptet, im Namen von Frauen beziehungsweise des Feminismus zu agieren, hat ein neues Opfer gefordert. Wie „TV Digital“ berichtet, ist der Journalist Jörg Dahlmann (62) als Fußball-Kommentator beim Privatsender Sky rausgeflogen. Dahlmann hatte Ende Dezember beim DFB-Pokalspiel zwischen Union Berlin und Paderborn erklärt, dass Union-Torwart Loris Karius in Berlin meist nur auf der Bank sitze. „Hat den Vorteil, dass er zu Hause kuscheln kann mit seiner Sophia Thomalla“, schob er nach. „Aber für so eine Kuschelnacht mit Sophia würde ich mich auch auf die Bank setzen.“

Zetermordio! Obwohl sich Dahlmann sofort, nachdem der Shitstorm gegen ihn losging, mehr oder weniger einsichtig und selbstkritisch zeigte, setzte Sky ihn kurzfristig für ein bereits angesetztes Pokalspiel ab. (Der Spruch sei „wohl einfach nicht so schlau“ gewesen, so der Moderator, sollte er als sexistisch angekommen sein, entschuldige er sich bei den Zuschauern, sowie bei Sophia Thomalla, falls sie sich angegriffen gefühlt habe. Allerdings werde die soziale Welt „immer dünnhäutiger“ und zumindest seine Lebenspartnerin habe über die Sache gelacht.) Laut TV Digital wird Dahlmann noch bei drei ausstehenden Spielen für Sky im Einsatz sein, dann soll sein Engagement nicht mehr verlängert werden.

Das „Opfer“ selbst sah es eher entspannt. Im Interview mit der „BILD“ sagte die Moderatorin Sophia Thomalla (31, Foto oben): „Alle wollen zu Weihnachten wohl ein bisschen Liebe ... auch der Jörg. Aber Leute – hier geht es um Fußball, nicht um so ne Kinderkacke. Das war so ein krasses Spiel. Union war so nah dran. Das hat mich weitaus mehr geärgert!“

Dienstrechtliche Schritte gegen Wiener Professor

Ausgestoßen ist aktuell auch Andreas Sönnichsen. Der deutsche Arzt ist Professor am Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien (Med-Uni Wien). Als Mitglied der Vereinigung Außerparlamentarischer Corona Untersuchungsausschuss Austria (ACU-Austria) sowie der ähnlich orientierten Initiative für evidenzbasierte Corona-Information kritisiert Sönnichsen die Corona-Maßnahmen der österreichischen Bundesregierung. Bereits im April 2020 distanzierte sich die Med-Uni Wien in einem Facebook-Post von Sönnichsens Aussagen zum Thema Covid-19.

Nun ist ACU-Austria in den Schlagzeilen, weil die Vereinigung gemeinsam mit den Rechtsanwälten für Grundrechte, den Anwälten für Aufklärung und der Plattform Respekt in mehreren österreichischen Printmedien Inserate mit einem offenen Brief geschaltet hat. Dort wird unter anderem Kritik an der Maskenpflicht, insbesondere bei Schulkindern, sowie an der Zuverlässigkeit von PCR-Tests geäußert und die Verhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen grundsätzlich infrage gestellt. Die Initiatoren warnen vor Nebenwirkungen des mRNA-Impfstoffs und befürchten eine de facto „Impfpflicht über die Hintertür“.

Einige Medien lehnten die Schaltung dieser Anzeige ab. Die Zeitungen „Kurier“ und „Österreich“ druckten den offenen Brief und wurden dafür stark kritisiert. Beim Kurier wurden neben der Anzeige eine Stellungnahme der Chefredakteurin Martina Salomon zur Meinungsfreiheit sowie – als eine Art Gegendarstellung – ein Interview mit der Virologieprofessorin Dorothee von Laer platziert. Vielleicht überkorrekt, aber Medien haben nun mal das Hausrecht und können selbst entscheiden, was bei ihnen erscheint, und wie es kontextualisiert wird.

Viel problematischer sind die Reaktionen der Med-Uni Wien und der Österreichischen Ärztekammer (ÖAK). Wegen Andreas Sönnichsens Engagement bei ACU-Austria will die Universität dienstrechtliche Schritte gegen den Professor prüfen, berichtet „Der Standard“. Die ÖAK habe disziplinarrechtliche Schritte gegen den Mediziner angekündigt. Wenn Menschen von einer „Cancel Culture“ sprechen und meinen, man könne bei bestimmten Themen nicht mehr offen seine Meinung sagen, meinen sie genau das: ein gesellschaftliches Klima, in dem Meinungen nicht mehr debattiert und gegebenenfalls scharf kritisiert werden, sondern „Abweichler“ gegen ihre Person gerichtete Strafen und Repressalien, bis hin zum Jobverlust, fürchten müssen.

Mietvertrag gekündigt wegen drei Stunden Bar-Öffnung

Von der Cancel Culture betroffen waren diese Woche auch zwei Berliner, die eine wichtige Rolle bei einer versuchten Parteigründung spielten. Wie der „Tagesspiegel“ berichtet, trafen sich an zwei Abenden in Folge Gegner der Corona-Maßnahmen in und vor der Bar „Scotch & Sofa“ in Berlin-Prenzlauer Berg. Ziel der Treffen war die Gründung einer neuen politischen Partei unter dem Motto „Team Freiheit“. Die Versammlungen wurden wegen Verstößen gegen die Infektionsschutzverordnung und das Versammlungsgesetz von der Polizei aufgelöst.

Nun, geltendes Recht muss durchgesetzt werden. Aber muss sich der „Verein Berliner Modedesigner“, zu dessen dreiköpfigem Vorstand die Hutmacherin Rike Feurstein bis vor kurzem gehörte, „in aller Form“ distanzieren, nur weil letztere die Versammlung im Scotch & Sofa moderierte? Laut Tagesspiegel hat sich Feurstein inzwischen aus der aktiven Vereinsarbeit zurückgezogen. Ihr Name sei vor einigen Tagen aus dem Impressum der Vereinsseite gelöscht worden.

Große Probleme bekommen hat auch der Betreiber der Bar, Sören P. Zu einem Bußgeld verdonnert zu werden, weil man unerlaubt geöffnet hat, ist eine Sache. Aber laut Tagesspiegel wird P. seine Bar sogar komplett verlieren. Der Vermieter habe P. den Mietvertrag gekündigt, weil er den „Corona-Verharmlosern“ das Scotch & Sofa zur Verfügung stellte. P. hat gegenüber dem Tagesspiegel angegeben, seit dem Treffen am Donnerstag letzter Woche laufend Drohanrufe zu bekommen. Sein ganzes Leben sei durch die drei Stunden Baröffnung umgekrempelt worden.

„Wer aber vom Kopftuch nicht reden will, soll auch vom Feminismus schweigen“

An der Universität Osnabrück hat sich indessen der Studierendenrat gegen die Meinungsvielfalt und für einen Schritt in Richtung ideologischer Gleichschaltung des Hochschullebens entschieden. Wie die linke Initiative Kritik und Intervention auf Facebook mitteilt, hat das Gremium kürzlich mit 6 Ja-Stimmen, 11 Enthaltungen und 18 Nein-Stimmen ihre Weiterförderung abgelehnt.

Der Initiative wird unter anderem vorgeworfen, mit einem Vortrag von Jörg Huber zur Kritik der politischen Ökologie einen „Klimaleugner“ in die Universität eingeladen zu haben. Außerdem hätten Mitglieder von Kritik und Intervention beim sogenannten „Frauenstreik“ ein Transparent mit der Aufschrift „Wer aber vom Kopftuch nicht reden will, soll auch vom Feminismus schweigen“ gezeigt. Auf der Kundgebung „Gegen Gewalt im Namen der Ehre“ anlässlich der Ermordung der 29-jährigen Syrerin Raghad Kabawas habe man angeblich die Nutzung des Begriffs „Femizid“ abgelehnt, um stattdessen von Ehrenmord zu sprechen. Weiterhin habe die Initiative linke Migrationsbefürworter als „neue Nazis“ dargestellt, als sie in einem offenen Brief die antisemitischen Einstellungen vieler muslimischer Einwanderer thematisierte. Grundsätzlich wird Kritik und Intervention vorgeworfen, sich auf den Islam zu „versteifen“ und muslimische Gruppen in Osnabrück zu „beobachten“.

Derlei (vermeintliche) Aktivitäten reichen offenbar aus, um die Befindlichkeiten von sich irgendwie progressiv und multikulturalistisch verstehenden Studentenvertretern (sorry, Studierenden*Vertretern) nachhaltig zu stören. Nach eigenen Angaben ist Kritik und Intervention die einzige von über 30 studentischen Initiativen an der Uni Osnabrück, der für 2021 die Förderung entzogen worden ist.

Kampagne gegen Harvard-Absolventen

In unseren haltungsstarken, moralisch aufgeladenen Zeiten vergeht kaum eine Woche ohne eine oder mehrere krass illiberal anmutende aber dennoch ernstgemeinte politische Forderungen. Aktuell berichtet etwa der amerikanische Jurist und Blogger Jonathan Turley von einer bizarren Kampagne gegen Harvard-Absolventen, die Verbindungen zur scheidenden Trump-Administration haben und die Legitimität des Wahlsiegs von Joe Biden infrage gestellt haben. Harvard-Alumni rufen in einem offenen Brief dazu auf, diesen Personen ihre akademischen Abschlüsse zu entziehen. Namentlich genannt werden der republikanische Senator Ted Cruz, das republikanische Mitglied des Repräsentantenhauses Dan Crenshaw und die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Kayleigh McEnany.

„Ein Harvard-Abschluss ist ein Privileg, und kein Recht“, heißt es in dem Aufruf, der von jedem Harvard-Absolventen unterzeichnet werden kann. „Harvard hat keine Bedenken, Studienplatzangebote an High-School-Schüler zurückzuziehen, aufgrund von rassistischen Online-Aktivitäten, die nicht die Werte der Universität reflektieren. Aber Teenager zur Rechenschaft zu ziehen, ist einfach. Harvard sollte den Willen haben, erwachsene Aufrührer nach denselben Standards zu beurteilen.“

„Diese Aussage ist gruselig“, schreibt Turley. Es gebe einen „gewaltigen und offensichtlichen Unterschied“ zwischen der Rücknahme eines Studienplatzangebots und dem rückwirkenden Entzug eines bereits erlangten akademischen Grades. Die republikanischen Anfechtungen des Wahlergebnisses seien legal gewesen. Auch demokratische Politiker hätten sich in der Vergangenheit immer wieder auf Bundesgesetze berufen, um Wahlergebnisse anzufechten, ohne mit irgendwelchen Vergeltungsmaßnahmen bedroht zu werden. Die Aberkennung von Abschlüssen auf dieser Grundlage würde sofortige Klagen nach sich ziehen, die höchstwahrscheinlich Erfolg hätten, bemerkt der Jurist.

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Leserpost

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Franz Klar / 22.01.2021

Wer an der Verschwörerrunde im downgelockten Salzburger Airport teilnimmt und dann noch auf der falschen Seite sitzt, ist mit diesen Folgewirkungen noch gut bedient . Btw : ist Dr. Frank eigentlich noch Mitglied der Ärztekammer und warum und wie lange noch ?

Karl Schmidt / 22.01.2021

Sie beschreiben keine Gleichschaltung, weil diese durch staatliche Organe durchgeführt wird. Dazu passen eher personelle Entscheidungen im Staatsapparat, an Gerichten und finanzielle Zuwendungen aus Steuermittel. Sie beschreiben schlicht Terror, denn dieser wird (zunächst) von politischen Radikalen außerhalb des Staates ausgeübt und muss nicht immer eine Bombe als Druckmittel einsetzen. Typisch ist, dass die politische Argumentation abgelehnt wird und das Zielobjekt körperlich, beruflich oder im Privatbereich drangsaliert wird. Nicht das Argument entscheidet, sondern dem politischen Teilnehmer wird eine Konsequenz angedroht, wenn er sein (garantiertes) Recht (auf politische Teilhabe) tatsächlich ausübt. Das ist ein Angebot, dass man also nicht “annehmen” kann. Insoweit gibt es einen kleinen Unterschied zur organisierten Kriminalität. Ich finde Ihr Verständnis für Zeitungen, die politische Argumente gezielt neutralisieren wollen, offen gestanden deplatziert: Journalismus würde jedem das Recht im Redaktionsteil einräumen, seine Argumente und die Tatsachen, auf die er sich stützt, darzustellen, ohne Partei zu ergreifen. Das aber macht die Zeitung hier (mal wieder). Eine ergebnisoffene Darstellung des politischen Konflikts scheint diesen Leuten gar nicht in den Sinn zu kommen oder aufgrund des alltäglichen Terrors nicht mehr möglich zu sein. Solche Gesellschaften sind weder frei noch offen und auch kein Rechtsstaat, weil kein Versuch unternommen wird, die Freiheitsgarantien (für alle) durchzusetzen. Dafür ist eigentlich - im journalistischen Bereich - der ö.-r. Rundfunk (als finanziell unabhängiges Gegengewicht) da. Doch er ist selbst der Motor der Fehlentwicklung, selbst ein maßgeblicher Teilnehmer bei der Unterdrückung von Tatsachen und (Gegen-)Argumenten. Er richtet anstatt zu berichten und hat sich deshalb als Fehlkonstruktion erwiesen.

Jörg Themlitz / 22.01.2021

Lang, lang sind die Zeiten her, als Joseph II. seinem Kriegsgegner Friedrich II. in Anerkenntnis seiner Leistungen in Österreich ein Denkmal errichten ließ.

Rainer Nicolaisen / 22.01.2021

Nicht Studierendenrat, sondern ” Studierendenrat”. Wer in Gendersprech ohne “”( = Tüddelchen ) schreibt, unterwirft sich.

Frances Johnson / 22.01.2021

Gruselig.

Gottfried Meier / 22.01.2021

Eigentlich müsste man meinen, dass Orwells 1984 gerade bei Linken auf fruchtbaren Boden fällt. Warum sie sehr häufig eine extrem totalitäre Gesinnung haben und genau das tun, was Orwell so abschreckend vorausgesehen hat, verstehe ich überhaupt nicht. Und da gibt´s so Vieles, das nicht zusammenpasst, z.B., warum Feministen*innen für das Kopftuch oder die Verscheierung einsetzen.

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