Silvia Meixner / 19.03.2013 / 16:37 / 0 / Seite ausdrucken

Auch Patienten haben Rechte

Recht und Gerechtigkeit gehören zu seinem Leben. Hansjörg Geiger war Staatsanwalt, Richter, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Präsident des Bundesnachrichtendienstes. Als Bundespräsident Joachim Gauck ihn im vergangenen November mit dem Bundesverdienstkreuz auszeichnete, sagte er in Erinnerung an Geigers Tätigkeit als Direktor des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR: „Es war für mich faszinierend zu sehen, dass Demokratie, wie ich es immer schon gehofft hatte, auch ohne Kungelei funktionieren konnte, einfach auf den Wegen des Rechts.“

Am neuen Patientenrechtegesetz, das die meisten von uns vermutlich erst dann im Detail interessieren wird, wenn es fast zu spät ist, hat der 60Jährige mitgewirkt. Er hat in unzähligen Fachkreisrunden beraten, Details erklärt, die Rechtslage erläutert, Verhandlungsgeschick bewiesen. Es gibt vermutlich unterhaltsamere Aufgaben. Sechs von zehn Patienten kennen laut einer Umfrage des Bundesgesundheitsministeriums ihre Rechte nicht. Die alten nicht und die neuen, die in vielen Punkten Verbesserungen für sie bringen, auch nicht. Die statistischen Zahlen werden vermutlich so bleiben; der Mensch beschäftigt sich nicht gern mit Krankheiten, so lange diese ihn nicht dazu zwingen, es zu tun.

Die Umsetzung des Patientenrechtegesetzes und seine Auswirkungen bestimmt Hansjörg Geigers tägliche Arbeit. Er ist Vorstandsmitglied der Alexandra-Lang-Stiftung, mit seinen Mitstreitern hat er daraus eine Institution gemacht, auf die man im politischen Berlin hört. Die Alexandra-Lang-Stiftung für Patientenrechte kümmert sich um Menschen, die morgens verzweifelt aufwachen und abends verzweifelt einschlafen, weil sie Opfer der Medizinmaschinerie geworden sind und ihnen niemand hilft und sie selbst nicht in der Lage sind, einen Behandlungsfehler zu beweisen. Wer wäre dazu schon in der Lage. Es kann schnell passieren, jedem von uns: Ein OP- oder Behandlungsfehler, der Patient will sich wehren, weiß aber nicht, wie das geht. Ihm fehlen die finanziellen Mittel. Fristen, die man gar nicht kennt, verstreichen, naturgemäß.

Ilse Lang kennt dieses Gefühl der Ohnmacht. Sie hat ihre Tochter verloren. Alexandra Lang starb 2000 im Alter von 30 Jahren nach einer Behandlung beim Hausarzt an den Folgen einer Sepsis- vermutlich ausgelöst durch eine bakteriell verunreinigte Infusion. Die junge Frau war nicht richtig krank, sie fühlte sich damals nur nicht gut. Der Hausarzt empfahl eine Spezialinfusion, die die Lebenskräfte wieder wecken sollte. Irgendetwas ist schief gegangen. Bis zu 170.000 Behandlungsfehler passieren jedes Jahr in Deutschland – schätzt das Bundesgesundheitsministerium. Andere Schätzungen liegen bei 720.000 Behandlungsschäden.

Das Zivilverfahren, das sich mit dem Fall Alexandra Lang befasst, ist auch nach mehr als elf Jahren noch nicht beendet. „Der Prozess in der ersten Instanz geht 2013 zu Ende“, sagt Hansjörg Geiger. Die Hürden sind hoch: „Der Patient muss alles beweisen, je länger ein Fall zurückliegt, desto schwächer wird die Erinnerung.“ Viele hätten aufgegeben. Ilse Lang blieb hartnäckig. Und als Unternehmerin hat sie das nötige Geld, um einen Prozess zu führen, von dem ihr im Laufe der Jahre viele abgeraten haben. Denn die Mutter möchte wissen, warum ihre Tochter sterben musste. Und sie weiß, dass es vielen anderen Menschen ähnlich geht.

Nicht immer stirbt jemand, aber oft haben Ärztefehler so schwerwiegende Auswirkungen, dass Existenzen weitgehend zerstört werden. Deshalb hat sie die Stiftung gegründet (http://www.alexandra-lang-stiftung.de). Und in Hansjörg Geiger einen Mitstreiter gefunden, der gemeinsam mit Ärzten, die ehrenamtlich mitarbeiten, abwägen kann, welcher Fall angenommen wird und welcher nicht. „Wir können uns nur um wirklich schwere Fehler kümmern.“ Eine schiefe Narbe gehört zum Beispiel zu jenen Fällen, die abgelehnt werden. Sie ist zwar misslich, verglichen mit anderen Behandlungsfehlern allerdings zu vernachlässigen. 250 schwere Fälle liegen derzeit auf den Schreibtischen der Stiftungs-Experten.

250 Fälle sind viel, wenn man bedenkt, dass kein großer Mitarbeiterstamm dahinter steht. Eine Handvoll Ärzte haben die Stiftungsmitglieder um sich geschart, Fachärzte, die ehrenamtlich arbeiten und in ihrer Freizeit die Fälle bearbeiten und schwierige Sachverhalte so darstellen, dass ein engagierter Rechtsanwalt vor Gericht beherzt auftreten kann. Und nicht schon beim Lesen der Akten innerlich aufgibt, weil er die Ärzte-Fachsprache und in der Folge den ganzen Fall sowieso nicht versteht. Die Regel, dass eine Krähe der anderen kein Auge aushacke, wird bei der Alexandra-Lang-Stiftung ausgeschaltet. Es geht um Fakten, nicht darum, Kollegen zu schützen. „Wenn Fehler vorgefallen sind, wird das klar und deutlich angesprochen“, sagt Hansjörg Geiger.

Das neue Patientenrechtegesetz, das zum 1. Januar 2013 in Kraft trat, begrüßt er: „Es ist ein wichtiger Schritt zum Erfolg“. Aber es bleibt noch viel zu tun. Zum Beispiel müssen Gerichtsverfahren beschleunigt werden: „Es ist nicht nur wichtig, das Richtige zu tun, sondern dies auch in möglichst kurzer Zeit. Die Belastung für die Betroffenen ist schrecklich.“ Eine weitere Forderung: „Für jedes Krankenhaus und für jede Arztpraxis muss ein Qualitätsmanagement eingeführt werden- flächendeckend.“ Klingt in einem reichen Land nach einer Selbstverständlichkeit. Ist es aber nicht. Sonst gäbe es die Alexandra Lang Stiftung nicht. Sonst müsste es sie nicht geben.

Es gibt noch viel zu tun, Hansjörg Geiger wird also wieder losziehen. Losziehen müssen, durchs politische Berlin. „Ich habe ein hohes Maß an Freundlichkeit und Hartnäckigkeit“, sagt Hansjörg Geiger. Und dann hat er da noch eine zweite Philosophie: „Man muss Geduld haben! Und man muss jedem Menschen die Gelegenheit geben, ein besserer Mensch zu werden.“ Menschen können Fehler machen. Kein Arzt soll an den Pranger gestellt werden. Aber Gerechtigkeit soll walten. Und die Geschädigten sollen Antworten bekommen, die sie wieder schlafen lassen.

Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de

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