Allein die Vorstellung, dass ohne Einschränkungen alles genauso wie immer sein könnte, überfordert die Einbildungskraft aerosolfürchtiger Kleingeister, sodass sie schneller zu den Moralkeulen greifen als sie sonst in die Armbeuge niesen. Die Reaktionen auf #allesdichtmachen zeigen, wie eingeschliffen die Denkmuster bereits sind: Wer wie die Schauspieler die Beschränkungen bezweifelt, der sei zynisch gegenüber den Corona-Toten, solle doch einen Blick auf die Intensivstationen werfen, sei heimlicher Querdenker, ein rechter Sozialdarwinist, Lügenpresse-Rufer... Diese Argumentation ist intellektuell so anregend wie der tägliche Gong der Tagesschau.
Die Maßnahmengläubigkeit ist eine in sich geschlossene Ideologie, in welche die menschenfreundliche Außenwelt – etwa geöffnete Stadien in Texas und Mississippi – nicht vordringt. In manchen US-Bundesstaaten sind alle Maßnahmen längst aufgehoben, ohne dass die Intensivstationen überliefen, während in anderen signifikant gelockert wird. Das zeigt: Die Regierungstreue vieler Deutscher geht so weit, die Freiheit selbst dann nicht einzufordern, wenn sie einem nur einen Ozean weit entfernt vorgelebt wird. Rein psychologisch ist diese Abwehr verständlich: Sollte sich am Ende die Selbstbeschränkung als überflüssig erweisen, würde für sie eine Welt zusammenbrechen. Je mehr Risse diese bekommt, desto stärker muss jeder Gedanke an umsonst erbrachte Opfer bekämpft werden.
Nun wird das kindische Vertrauen in Grundrechtseingriffe wegen eines längst endemischen Erregers auch im Wohnzimmer der Tatort-Freunde herausgefordert, etwa indem Monika Anna Wojtyllo durch die Maske lacht. Da kann man sich noch so sehr hinter einem angeblichen wissenschaftlichen Konsens verschanzen; subversive Kunst entlarvt diese Pose als Rechtfertigung eines Mitläufertums, dem grundsätzliches Hinterfragen nicht in die Tüte kommt. Die staatsnahen Moralapostel haben ihre Seite längst gewählt, doch wird es ihnen umso schwerer fallen, die Zweifelnden und Unentschlossenen noch an sich zu binden, je sympathischer und denkfreudiger die Gegenseite auftritt. Bleiben Sie gesund und unterstützen Sie die Maßnahmen der Bundesregierung. Ein angedeutetes Lächeln kann manchmal mehr als tausend Worte.
Noch mag man die Tatsache, einem mit dem Grundgesetz in keiner Weise vereinbaren Autoritarismus die Stange zu halten, leicht verdrängen können, indem man sich einredet, per Verzicht auf das Leben dieses zu schützen, oder man schnappatmend auf Brasilien zeigt, während weiterhin kaum wer einen kennt, der überhaupt schwere Symptome hatte. Doch auf Dauer lässt sich nicht von der Hand weisen, was offen zu diskutieren frühzeitig mit dem Tabu der „Verharmlosung“ belegt wurde. An Grippewellen waren Corona-Viren schon immer beteiligt – Wolfgang Wodarg erklärt das sehr anschaulich –, und das durchschnittliche Alter, an oder mit diesem Erreger zu sterben, liegt über der durchschnittlichen Lebenserwartung (siehe etwa RKI S. 8.)
Gesundheit über alles, über alles in der Welt?
Was folgt daraus? Manche brauchen für den folgenden schmutzigen (gar querdenkerischen?) Gedanken wohl eine Triggerwarnung, um in psychohygienischer Hinsicht nicht traumatisiert zu werden: Solche Menschen sterben schlichtweg gar keinen besonderen, sondern einen altersbedingten Tod, den sie in den letzten Jahren genauso gestorben wären; den keine noch so strenge Maßnahme wird abschaffen können. Aber Spanien, New York, Bergamo! Nun, wo mancherorts ungewöhnlich viele Menschen dahingeschieden sind, muss dies nicht nur auf Corona zurückzuführen sein. In einer komplexen Situation können etwa Panik und falsche Behandlungsweisen eine bedeutsame Rolle spielen. Wer darauf nur geifernd antworten kann, dem fehlt es offensichtlich an Sachargumenten, Freiheitsliebe und der Lust, über die herrschende Moral hinaus zu denken.
Und wie rigide ist es bitteschön, noch über das Picknick im Park zu denken wie über eine sexuelle Ausschweifung? Wie albern eigentlich, einen von sehr vielen Erregern als Bedrohung der Nation zu halluzinieren? Wie verrückt, gegen deren innere „Feinde“ vorzugehen und zusammenzurücken, als hätte man seine politische Bildung bei Faschisten erworben? Gesundheit, Gesundheit über alles, über alles in der Welt?
Wer darüber staunt, dass man in den späten Achtzigern zuweilen Angst davor hatte, auf der Klobrille an Aids zu erkranken, sollte bedenken, dass es abends in deutschen U-Bahnen ausschaut, als hätten lauter Chirurgen und Zahnärzte vergessen, sich nach Feierabend ihrer Arbeitskleidung zu entledigen. It's a mad world. And I find it kind of funny, I find it kind of sad.
Dass die offiziellen Zahlen allein auf den Ergebnissen von Tests beruhen, die für sich nichts bezeugen (keine Sterbeursache, keine Infektiosität, keine Erkrankung), dringt immer mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, und dennoch werden sie immer noch zur moralischen Erpressung genutzt. Während Maßnahmengläubige ihren Kritikern vorwerfen, an der Schädigung der Gesundheit anderer beteiligt zu sein, reden sie selbst einer staatlichen Übergriffigkeit das Wort, die schon jetzt eine durchaus historische Dimension hat. Man sollte sich also zweimal überlegen, ob man ernsthaft noch im Team der Viren-Dramatiker mitspielen will. Der Lockdown-Fanatismus im Böhmermann-Bunker ist doch ohnehin so sexy wie Tennissocken in Birkenstocksandalen.
Die erfrischend ketzerischen Schauspieler haben jedenfalls einen Weg gewählt, den kein Essay, kein Artikel und kein Experten-Interview beschreiten kann. Sie wirken mit ihrer für sich stehenden und nicht erklärungsbedürftigen Performance von vornherein souveräner als alles, was an gereiztem und belehrendem Moralismus nun gegen sie aufgefahren wird. Mit den Mitteln der Kunst öffnen sie einen Diskussionsraum, der von den immer gleichen Argumenten gelockdownt wurde. Sie dürften gewusst haben, auf was sie sich einließen, und fallen hoffentlich nicht hinter sich selbst zurück. Sondern bleiben Antifaschisten.