Dirk Maxeiner / 03.01.2009 / 17:59 / 0 / Seite ausdrucken

Alles Opfer, oder was?

Von Maxeiner & Miersch erschienen in DIE WELT vom 2.1.2009

Die Bilder aus dem Gazastreifen zeigen selten gut bewaffnete Terroristen oder schneidige Hamas-Generäle. Arabische Gewalt ist vornehmlich in Form Steine werfender Jungs zu sehen. Wie hilflos, ja rührend ihr Aufbegehren ist, wird durch israelische Panzer im nächsten Schnittbild unterstrichen. Ansonsten leben im Gazastreifen, so scheint es, hauptsächlich Kinder und alte Frauen. Dass sie von den Terroristen als Schutzschild missbraucht werden, findet kaum Erwähnung. Bilder von unschuldigen Verletzten und Toten sind wirkmächtig. Auch die Zahlen getöteter Zivilisten werden als Propagandawaffe benutzt und schamlos übertrieben, wie erst kürzlich nach dem Konflikt zwischen Russland und Georgien herauskam.

Die Macht der - oftmals vermeintlichen - Machtlosen errang ihren ersten triumphalen Sieg vor 40 Jahren in der westlichen Wahrnehmung des Vietnamkrieges. Klein gegen groß, schwach gegen stark: Diese Muster verdrängten die politische Sichtweise auf den Konflikt. Kaum jemand nahm noch wahr, dass das nordvietnamesische Regime eine aggressive Diktatur war (hinter der die Großmächte Russland und China standen). Man sah nur noch Reisbauern in schwarzen Pyjamas, die sich gegen Bomberflotten zur Wehr setzten.

Nicht nur im Krieg, auch im demokratischen Alltag kommt es immer stärker darauf an, wem es gelingt, die Beschützerinstinkte des Publikums zu wecken. Jeder möchte deshalb einen Minderheitenstatus für sich reklamieren. Andrea Ypsilanti fühlt sich ebenso als gemobbte Außenseiterin wie die vier abtrünnigen hessischen SPD-Landtagsabgeordneten, die ihre Wahl verhinderten. Egal, ob Rentner oder Student, Christ oder Muslim, Ausländer oder Inländer, Auto- oder Straßenbahnfahrer, Politiker oder Manager - Deutschland besteht eigentlich nur noch aus verfolgten Minderheiten.

Wer stark erscheint, sollte sich tunlichst tarnen. Denn nichts macht unglaubwürdiger als Macht und Geld. Amerikanische Regierungen leiden darunter ebenso wie die Deutsche Bank oder der FC Bayern München. Feldherren früherer Tage prahlten mit der Zahl ihrer Soldaten und Kanonen. Heute ist es aussichtsreicher, seine Unterlegenheit herauszustellen und damit auf politischen Welpenschutz zu spekulieren.

Hatten Gewerkschaften und Arbeiterparteien noch auf die Faszination der Stärke gesetzt (“Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will”), so drehten die neuen sozialen Bewegungen den Spieß um und machten sich so klein wie ein Schlauchboot vorm Giftmüllfrachter. Der Minderheitenstatus veredelt jede politische Position und deckt inhaltliche Schwachstellen zu.

Immerhin zeigt sich darin ein erfreulicher zivilisatorischer Fortschritt: Die Bewunderung roher Macht weicht mehr und mehr dem Schutzreflex für die Schwachen. Doch aufgepasst: Die politische Arena ist ein Vexierbild voller Scheinriesen und Scheinzwerge.

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