Wolfgang Röhl / 12.03.2009 / 19:54 / 0 / Seite ausdrucken

A farewell to arms? Winnenden und die Populisten

Nur ein ganz geringer Teil der Tötungsdelikte und schweren Verletzungen wird in Deutschland mit Schusswaffen begangen, die legal erworben wurden. Von diesem Teil entfällt wiederum ein Teil auf Berufsgruppen, die man jedenfalls im Prinzip nicht unbewaffnet lassen sollte - wie Polizeibeamte und Soldaten -, anderenfalls könnte man sie auch gleich abschaffen und viel Geld sparen. Für Zivilisten ist es in Deutschland sehr schwer, sich Schusswaffen legal zu beschaffen. Nur bei konkreter, hoher Bedrohung einer Person stellen die Behörden ihr einen Waffenschein aus. Über einen Jagdschein an Schusswaffen zu kommen, ist möglich, aber ungemein aufwendig – die Prüfung bestehen nur Leute, die sich enorme Kenntnisse über Natur, Feld, Wald und Flur aneignen die und die allerhand Persönlichkeitschecks unterzogen werden. Viele Mitglieder von Schützenvereinen besitzen keine eigene Waffe, sondern benutzen Waffen von Schützenbrüdern oder solche, die der der Verein angeschafft hat. Bei den meisten in deutschen Vereinen benutzten Waffen handelt es sich um Luftgewehre oder um durchschlagschwache .22er-Kleinkaliberwaffen, aus denen jeweils ein Schuss abgefeuert werden kann, bevor eine neue Patrone in die Kammer geschoben werden muss - für Massaker nicht gut geeignet…

Schon gar nicht können Schützenvereinsmitglieder in ein Waffengeschäft spazieren und sich dort unter Vorlage ihrer Vereinsausweise nach Herzenslust mit Ballermännern und Munition eindecken. Das glauben nur sehr naive Zeitgenossen. Die gibt es offenbar millionenfach.

Einfacher ist es für jedermann, sich illegal Waffen in bestimmten Milieus deutscher Städte zu beschaffen, wenn man es darauf anlegt und etwas Geld investiert. Eine Autofahrt nach Südost- oder Osteuropa kann auch sehr hilfreich sein. So gut wie alle klassischen, planend handelnden Kriminellen operieren mit derart beschafften, unregistrierten Waffen. Es wäre für die Kriminalstatistik unerheblich, wenn, wie unter dem Eindruck des Falles Tim K. jetzt mal wieder gefordert wird, das Waffengesetz erneut verschärft oder privater Waffenbesitz sogar gänzlich verboten würde. Zum Persönlichkeitsbild von Schwerstkriminellen gehört, dass die Beachtung von Verboten nicht ihre stärkste Seite ist.

Aber der Ruf nach einem totalen Waffenverbot – im Falle eines Moderators des NDR-Inforadios war es heute Morgen schon fast ein Schrei – ist unvermeidlich, wenn ein Verbrechen großen Kalibers geschieht. Sich populistischen Verbotsparolen zu verweigern, wie es der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft tat, als er vom Sender interviewt wurde („Man kann auch die Autos verbieten, dann hat man keine Verkehrstoten“) gilt da fast schon fast als zynische Verbrechensförderung.

Mit dem Waffenbesitz ist es in Deutschland wie mit den Autobahnen. Dagegen zu sein, ist Konsens unter guten Menschen. Zu argumentieren, dass es auf Autobahnen viel weniger Verkehrstote gibt als auf gewöhnlichen Straßen oder dass der Verkehr auf den meisten Autobahnstrecken längst für ein de facto-Tempolimit sorgt, ist sinnlos. Es geht nicht um Fakten, sondern um Symbolpolitik. Ja, vor allem um Politik. Wer Autobahnen nicht ablehnt, ist ein Temponazi. Wer die Schützenvereine nicht stante pede auflösen will, ist ein provinzieller brauner Spießer.

Die mürrische Miene eines Psychiaters, der gestern - auffallend kurz - im Fernsehen einvernommen wurde, sprach Bände. Seinen Hinweis, dass es Amokläufe zu allen Zeiten, in allen Ländern und in allen Kulturen gab und dass ihre Zahl, entgegen hysterischen Einschätzungen, relativ konstant geblieben ist, hat er sicher schon oft gegeben. Hören wollte das noch nie jemand, schätze ich. Chronisch aufgeregte Medien können für ihre Schnellschuss-Specials keine rationalen Statements brauchen. Sie am allerwenigsten.

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