Gastautor / 27.11.2022 / 15:00 / Foto: Pixabay / 8 / Seite ausdrucken

„Dirty Talking“: Wohltuend unkorrekt

Von Stefan Millius.

Der Roman „Dirty Talking“ ist eine Art Wellness auf Papier. Eine Heilkur für alle, die es satthaben, bei jedem Gespräch wie auf Eiern zu laufen, weil heute so viele Fettnäpfchen warten.

Es sei der erste „anti-woke Roman der Schweiz“, sagt der Autor Claude Cueni über seinen neuesten Thriller. Daran lässt er von Beginn an keinen Zweifel. Dort liefert ein unbekannter Erzähler eine Ode an das Fluchen, eine Absage an diplomatische Höflichkeit und beschönigende Beschreibungen. Eine perfekte Grundlage für das, was danach kommt.

Dirty Talking“ ist die Geschichte von Bobby Wilson aus Basel, gezeugt und aufgezogen von Alt-Hippies, die selbst im hohen Alter nicht aus ihrer Haut können. Er ist die Sorte ewiger Verlierer, die man gleich ins Herz schließt. Der Halbtags-Journalist träumt von einer Karriere als Comedian. In dieser Rolle erleben wir ihn mehrfach, weil er seine Einkommensquellen verliert und sich ein Kleintheater seiner erbarmt.

Die Einschübe von der Bühne sind lustvolle Publikumsbeschimpfungen, prallgefüllt mit all dem, was man heute „nicht mehr sagen darf“. Der Autor lässt seinen Helden über Blondinen herziehen, von „Indianern“ sprechen oder einen Ausflug in die Religion wagen. „Okay, okay, was sagte der liebe Gott, als er Eva schuf: 'Hirn ist alle, jetzt gibt’s Titten!'“ Das Publikum schwankt zwischen Empörung und Faszination. Nach dem ersten Lachimpuls kommt die Frage: Darf ich denn?

Zwei gewaltbereite mexikanische Handlanger

Eher als ein klassischer Thriller ist der Roman ein abgedrehter Roadtrip, auch wenn sich die Story größtenteils in der Stadt Basel abspielt. Der kleine Schauplatz ist Bobby Wilsons Welt, seine einzige Konstante. Er braucht Geld und konstruiert selbst aus dem flüchtigsten Zufall eine scheinbare Verdienstmöglichkeit. Weil er weder mit einem kriminellen noch wenigstens mit einem unternehmerischen Gen gesegnet ist, geht das meistens schief. Mehr noch, er ruft damit Leute auf den Plan, die nicht besonders viel Skrupel haben und ihm auf den Fersen sind. Mit jedem Schritt reitet sich Wilson noch tiefer ins Elend – oder in die Scheiße, um in der Sprache des Romans zu bleiben.

„Dirty Talking“ lebt von den Figuren, die Wilsons Wege kreuzen. Da tummeln sich unter anderem der Bischof von Basel, dessen zwei gewaltbereite mexikanische Handlanger, ein Ex-Fußballprofi, der heute Occasionsfahrzeuge verkauft, eine vorbestrafte Tankstellenverkäuferin, ein betagter Nachbar mit einem wertvollen Gemälde und ein schmieriger Anwalt mit politischen Ambitionen. Es ist spürbar, wie viel Spaß es dem Autor gemacht hat, immer haarscharf an der Überzeichnung vorbei Charaktere zu zeichnen, welche die Story in eine neue Richtung lenken.

Bobby Wilson ist der festen Überzeugung, bald aus eigener Kraft aus der Misere herauszufinden. Er passt seine Pläne laufend der Situation an, ohne wirklich einen Plan zu haben. Aber wir werden nicht mühsam durch seine inneren Zweifel gepeitscht oder mit bedeutungsschweren Monologen eines Versagers gequält. Es ist eine rasante Erzählung mit Dialogen, wie sie wirklich geführt werden und die nicht zuerst auf ihre politische Korrektheit geprüft wurden.

„Dirty Talking“ ist eine Art Wellness auf Papier. Eine Heilkur für alle, die es satthaben, bei jedem Gespräch wie auf Eiern zu laufen, weil heute so viele Fettnäpfchen warten.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Weltwoche.

 

„Dirty Talking“ von Claude Cueni, 2022, Edition Königstuhl: St. Gallenkappel. Hier bestellbar.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Marc Blenk / 27.11.2022

Wie meinte in Tadelöser und Wolf Vater Kempowski immer dann, wenn ihm was nicht passte: “Im Mohrenarsch ist’s duster”.

Alfons Hagenau / 27.11.2022

Von “Dirty Talk” habe ich schon mal gehört. And somebody who’s practising dirty talk just now is talking dirty. Aber was zum Teufel ist “Dirty Talking”? “Schmutzige Gesprächlichkeit”, sozusagen Ijon Tichy auf Englisch? Vielleicht auch “Talking” im Sinne von “Geschwätz” - aber warum dann nicht gleich ein deutscher Titel für einen deutschsprachigen Roman? Oder doch nur eine weitere denglische Wortschöpfung? Fragen über Fragen, schon vor dem Aufklappen des Textes.

Armin Reichert / 27.11.2022

Ich rede und schreibe halt so, was soll ich machen?

A. Ostrovsky / 27.11.2022

>>„Dirty Talking“ ist eine Art Wellness auf Papier. Eine Heilkur für alle, die es satthaben, bei jedem Gespräch wie auf Eiern zu laufen, weil heute so viel Fettnäpfchen warten.<< Seltsam. Ich laufe heute, wie immer. Vielleicht etwas langsamer als mit 18, aber ich sehe keine Fettnäpfchen. Übrigens hießen Sie früher, als es sie noch gab “Fettnäppschen”. Was macht Ihr eigentlich alle? Wenn mich jemand in einem ostindischen Dialekt anspricht, sage ich “nix verstän. du duitsch?” Da ist kein Fettnäpfchen. Und mit Leuten die seltsame Macken haben, Tourette, oder immer schniefen, oder das irre Zucken der Augenbraue haben, oder beim Sprechen in jedem zweiten Wort eine Pause machen, halte ich einfach die Kommunikation kurz. Ich habe mit solchen Leuten nichts zu tun, ich brauche sie nicht und erwarte von denen nichts. Und wenn sie zudringlich werden, werde ich deutlich. Verrückte gibt es doch schon immer. Als Kind habe ich vor solchen Leuten noch versucht, die Straßenseite zu wechseln, aber heute bin ich da souveräner. Ich remple sie an und sage “Nanana! Nicht schubsen, sonst ...”. Dann entschuldigen sie sich meist und vergessen dabei das Gendern. Und wenn mir jemand einen Vertrag zur Unterschrift vorlegt, wo ich als “die Arbeitnehmer:in” bezeichnet werden soll, schaue ich auf die Uhr und entschuldige mich, weil meine Straßenbahn gleich fährt. Ich will doch von solchen Leuten nichts. Wenn die mir was schenken wollen, toleriere ich ihre Macken vielleicht. Aber doch nicht, wenn sie was von mir haben wollen. Wenn die mich dann anrufen, warum ich den Vertrag nicht unterschrieben habe, was denn da los ist. Sage ich “Sie möchten vermutlich mit meiner Oma sprechen? Leider ist sie schon verstorben. Deshalb kann ich ihr auch leider nichts ausrichten.” Geschlechtergerechtigkeit hin oder her, die Oma ist tot und das ist ein Fakt, keine Verschwörungstheorie. Da kann man gar nichts machen. Gar nichts. Da ein Buch drüber zu schreiben ... Ich weiß nicht.

Ralf.Michael / 27.11.2022

” Dirty Talking ” ? Endlich mals etwas Brauchbares zu korrekte Outen ! Als leidenschaftlicher Verbalerotiker kann ich mich endlich mal richtig austoben…... Auch ohne eine Schwuchtelbinde !

Ludwig Luhmann / 27.11.2022

Ich lese lieber dreckige, politisch völlig unkorrekte Artikel und Kommentare, denn da weiß ich, dass ich nicht alleine bin in meinem Leseglück.

Emmanuel Precht / 27.11.2022

Mein absoluter Favorit: Hirn ist alle, jetzt gibt es Titten! Wohlan…

Fritz kolb / 27.11.2022

Ganz nett, aber für so richtiges Dirty Talking empfehle ich eher Charles Bukowsky. Woke war der auch, aber nur mittags, nachdem er ausgeschlafen hatte,  nach einer langen durchvögelten und versoffenen Nacht,

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