Richard Wagner
Wo ist Schillers Kopf?
Beschäftigt uns diese Frage? Nein, sie beschäftigt uns nicht. Sie beschäftigt uns genau so wenig wie die Frage, wovon Franjo Pooth, (genau, der von Verona), seine Schulden bezahlen will. Trotzdem wird uns beides zur Kenntnis gebracht. Die Insolvenz des Geschäftsmanns Pooth und die Kopflosigkeit des Dichters Schiller.
Schillers Kopf, so dachten wir, liegt in Weimar, in der Gruft. Es wurden zwar seit langem Zweifel an der Echtheit des Schädels im Sarg geäußert, bisher aber war es mehr ein Thema für ideenferne Germanisten, und wenn etwas darüber in die Öffentlichkeit gelangte, so blieb es in der Regel im Bereich der Spekulation. Unnötig anzumerken, dass unsere Öffentlichkeit die Spekulation liebt. Mehr als alles andere, möchte man sagen, außer der Intrige.
Die Spekulation hält die Neugier wach und lässt den Tag spannend wirken. Nicht das Leben, den Tag. Und weil man ja in diesen Zeiten gern in den Tag hineinlebt, ist einem so schon fast geholfen.
Es verlangt uns Gelangweilte nach Nachrichten und mehr noch nach Gerüchten. Diesen ist gemeinsam, dass sie sich, wenn sie wahrgenommen werden wollen, nur auf Themen beziehen können, die uns bekannt vorkommen. Schiller etwa oder Weimar. Die Weimarer Republik. Woran Schiller gestorben ist, warum die Weimarer Republik unterging.
Wirklich spannend sind nur die Fragen, auf die es keine Antwort gibt. Beispielsweise: Wie sind die Nazis 1933 eigentlich an die Macht gekommen? Darüber wurden ganze Bibliotheken verfasst. Ganze Bibliotheken an Spekulation. Aber Schiller? Was hat Schiller eigentlich geschrieben, außer den Rebellenstücken und Räuberpistolen, geben Sie Gedankenfreiheit, Sire? Den Geisterseher? War das nicht der erste deutsche Krimi?
Wir wollen uns nicht festlegen und wir wollen uns auch nicht festlegen lassen. Im Grunde kommt Schiller doch meistens zusammen mit Goethe vor. Wird er überhaupt ohne Goethe genannt? Und was ist mit Goethes Kopf? Und was mit dem Hotel Elephant? Riefen sie hier nicht: „Lieber Führer komm heraus, aus dem Elefantenhaus“? Riefen sie es nicht, bis Marschall Schukow kam, um sich einzuquartieren?
Goethe und Schiller. Dabei fällt uns prompt das Wort Kulturnation ein, das stets dann auftaucht, wenn die Nation nicht weiterweiß. Schon mal was von Goethe und Schiller gelesen oder sogar von Schiller? Nein? Macht nichts. Sie haben uns ja auch nicht vor den Nazis gewarnt. Weder Goethe noch Schiller, am allerwenigsten Schiller. In Weimar sind die Nazis ein und aus gegangen und ebenso die Kommunisten. Die Kommunisten? Ja, die Kommunisten.
Aber was ist mit Schiller? Mit Schillers Kopf. Der Kopf in der Weimarer Fürstengruft ist nicht Schillers Kopf. Das hat jetzt eine DNA-Analyse ergeben. Spekulation beendet? 150 Jahre Streit, ad acta? Wird der Tourismus nicht darunter leiden? Der Kulturtourismus?
Moment. Eine Frage bleibt doch offen, die Frage: Wo ist Schillers Kopf? Also auf zur nächsten Spekulation, zum nächsten Gerücht. Der Tag ist gerettet. Die Gelangweilten atmen auf. Die Auftraggeber für den DNA-Test sind übrigens die Klassik-Stiftung Weimar und der MDR. Beim anhaltend hohen Informations-Verschleiß schafft man am besten selber Nachrichten. So wird die Realität zu Schillers Kopf und Schillers Kopf zur Realität. Am Ende ist auch der Forensiker nur ein Akteur der Erlebnisgesellschaft.