Wolfram Weimer / 26.09.2017 / 06:15 / Foto: Visitor7 / 33 / Seite ausdrucken

Wenns den Deutschen zu bunt wird

Deutschland hat seine politische Stabilität verloren. Die Regierungsbildung wird so schwer wie seit 1949 nicht mehr. Das Land ist so polarisiert wie nie, die rechten und linken Ränder der Republik haben dramatisch an Gewicht gewonnen und die Volksparteien sind kaum mehr welche. Martin Schulz hat Recht mit seiner Feststellung, dass Angela Merkel für diese Entwicklung eine Hauptverantwortung trägt.

Aus dem Adenauerhaus wird noch die Selbstverständlichkeit der Merkel-Macht als Leitidee im Land versprüht als sei das ein ewig haltbares, betörendes CDU-Parfüm. Doch so selbstverständlich ist ihr politischer Odem nicht mehr. Im Flakon der Kanzlerin verflüchtigt sich so manche Ingredienz ihrer Macht. Sie ist seit dem 24. September nurmehr eine Scheinriesin. Ihre Wahlniederlage findet auf dem Zenit einer Hochkonjunktur statt, was die Dramatik des Denkzettels noch größer macht.

So hat die CDU nach nur zwei Jahren „Wir schaffen das“-Politik jeden vierten Wähler verloren. Sie ist in den Umfragen von damals 42 nun auf 32,8 Prozent eingebrochen. Millionen deutscher Normalbürger haben sich mit der Migrationskrise von ihr abgewendet – viele lautstark-wütend hin zur AfD, andere bedacht zur FDP, manche leise in stille Enthaltung und Enttäuschung. Die Bundestagswahl war daher so etwas wie eine nachgeholte Volksabstimmung zu Merkels Migrationspolitik, die im Bundestag nie zur Abstimmung gestellt worden war.

Die Kanzlerin hatte geglaubt mit einer immer weiter nach links geneigten, multikulturelle aufgeladenen Union ihre Macht dauerhaft zu sichern. Nun zeigt sich, dass sie genau damit ihre Macht zu verspielen droht. Insbesondere in der Union ist ihre Akzeptanz jetzt schwer ins Wanken gekommen. Wenn die CSU ankündigt, dass man nun dringend „die rechte Flanke schließen“ müsse, dann ist das diesmal kein bayerisches Wortgeklimper – es ist eine bitterernste Kampfansage aus Notwehr.

Es geht nicht um sozialen Protest von Verlierern

Unter Merkel sind konservative, wirtschaftsliberale, kirchengebundene und patriotische Milieus der CDU immer weiter an den Rand gedrängt worden. Mancher CDU-Funktionär wittert um die Kanzlerin herum schon eine Stimmung wie 2005 um Gerhard Schröder und die SPD. Was damals die 2010-Agendapolitik ist heute die Multikulti-Migrationspolitik. Beides polarisiert die Gesellschaft und verschreckt das jeweils eigene Lager bis ins Mark. Dadurch ist aus der präsidialen Kanzlerin eine Polarisierungs-Regentin geworden.

Tatsächlich steht dem damaligen Erfolg der Linkspartei heute der AfD-Aufstieg gegenüber. Die selbst ernannte Alternative zur Alternativloskanzlerin positioniert sich gezielt als „Merkel-muss-weg“-Partei – und wenn sie damit so großen Zuspruch erfährt, dann hat Merkel ein Problem.

Denn bei dem Wahlerfolg der AfD geht es nicht um sozialen Protest von Verlierern. Es geht nicht um Materialismus sondern um Idealismus. Die Wähler der AfD entstammen nicht den Rändern sondern aus der wohl situierten Mitte der Gesellschaft, ihr massenhafter Widerstand ist keine Frage des Bankkontos. Es geht ihnen tatsächlich um Identität, Kultur, Sicherheit und Freiheit – auch um die Freiheit der Rede.

Die Wut auf ein allzu staatsnahes Medienssystem der politischen Besserwisser-Bevormundung ist gewaltig. Dieser Rechtsruck ist kein soziales Phänomen – sondern ein zutiefst politisches. Sicherheit und Identität werden die neuen Schlüsselbegriffe, und bei beiden hat die Kanzlerin Schwächen offenbart. Von Jens Spahn bis Wolfgang Bosbach haben wichtige CDU-Politiker davor gewarnt – und sind von Merkel an den Rand gedrängt, andere Kritiker kurzerhand als Rechte stigmatisiert worden. Nun rächt sich die Ausgrenzungsstrategie.

Merkel gerät damit in ein Dilemma: Wandelt sie sich – wie es die CSU jetzt dringend einfordert – zur Grenzschützerin und Kulturkampfkanzlerin gegen den Islamismus, dann wird eine Jamaika-Regierung mit den Grünen unmöglich. Bleibt sie aber auf Kurs, verliert sie die CSU und ihre Kernwählerschaft. Die CSU hat ihre Landtagswahl 2018 fest im Blick und ist durch das Wahlergebnis tief geschockt. Die Wählerschaft stolpert in ruppiger Bewegung umher wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Merkels Risiko für ein weiteres Abrutschen der Akzeptanz wird damit mit jedem islamischen Attentat, jedem Moschee-Großbau und jedem weiteren Zuwanderungsschub größer. Die Kanzlerin wird darum in den kommenden Tagen auf allen Kanälen versuchen, die SPD noch umzustimmen und doch noch eine Große Koalition einzugehen. Scheitert sie damit, scheitert womöglich ihre politische Ära. Das Wort von Neuwahlen spaziert jedenfalls verblüffend schnell durch das frisch gewählte Berlin.

Dieser Beitrag erschien zuerst in The European hier.

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Leserpost

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Fritz Kolb / 26.09.2017

Der verbissene Versuch der etablierten Parteien, vor der Wahl das Thema Migration aus dem Wahlkampf herauszuhalten, ist kläglich gescheitert. Insbesondere für die beiden Regierungsparteien, die sich nun kaum noch “große Volkspartei” nennen dürfen. Profitiert haben die Linke und die Grünen, deren Protagonisten völlig vernunftresistent und geradezu sektiererisch der ungebremsten Zuwanderung das Wort reden. Für einstelligen Wählerzuspruch scheint das ein erfolgsversprechendes Geschäftsmodell zu sein.  Zwei neue Parteien im Parlament sind für all das die Quittung. Nun tritt an die Stelle einer klaren, revisionistischen Positionierung von CDU und SPD, aus diesem vernichtenden Wahlergebnis, wieder das totale Ignorieren des Migrationsthemas. Die Sozen möchten sich jetzt erst mal selber finden, was im Ergebnis vom Wahlvolk als Realitätsflucht begriffen werden könnte. Die Frau Merkel im Staatsratsvorsitzenden-Outfit vor den Kameras verkündet, mit den Grünen, also mit den heftigsten Vertretern ungebremster Einwanderung, Koalitionsgespräche führen zu wollen. Also mit einer Partei, die zudem noch für das Dieselgate verantwortlich ist und seit Jahren eine von der Bürgerschaft nicht akzeptierte Genderdebatte führt. Dem Wähler dürfte dazu kein anderes Wort als “Machtgeilheit” einfallen, Machterhalt um wirklich jeden Preis. Hoffnung macht mir indes, das im kommenden Jahr Landtagswahlen in Bayern stattfinden und die absolute Mehrheit der CSU dort ernsthaft in Gefahr ist. Entweder legt der Herr Seehofer wieder mal eine 180 Grad Wende hin; das wäre sein politisches Ende, oder er beharrt auf die Positionen, die für die Bayern unverrückbar sind.  Dann ist Jamaika nicht realistisch. Es blieben Neuwahlen oder eine schwarzgelbe Minderheitsregierung mit Duldung durch Teile der Opposition. Was in anderen Ländern Usus ist, scheint bei uns nicht denkbar. Eines ist aber sicher: durch die Ignoranz und Unfähigkeit der Regierung in den letzten Jahren ist das bisherige politische Gefüge zerstört worden, eigentlich eine klare Botschaft an die Kanzlerinpartei, die Frau Merkel infrage zu stellen. Einige Kanzler der Vergangenheit haben für weit weniger Schaden ihr Amt räumen müssen.

karin gossmann / 26.09.2017

Bei der Elefantenrunde sah man Merkel an, dass von d. Negierung einer neuen Groko durch Schulz, sie auf dem falschen Fuss erwischt wurde. Sie hat damit gerechnet, fest gerechnet, um weiter so komfortabel diskussionsfrei regieren zu können. Am nächsten Tag ihre Einlassungen, kein bisschen Insichgehen, nichts - einfach ein Weitermachen. Frau v.d. Leyen in d. Talkrunde am Sonntag, gegen Gauland anschreien. Diese CDU unter Merkel ist ein Desaster. Und der Horst aus Bayern hielt die Wähler für blöd, mit so einem Spagat wie er es probierte, kann man nur auf die Nase fallen. Die CDU, CSU und die SPD haben dieses Ergebnis verdient. Der Ruck war notwendig, nur Teile der CDU haben es immer noch nicht verstanden. Es gibt viele Baustellen in Deutschland, die wurden nicht angegangen, die Flüchtlingspolitik von Merkel setzte da noch einen drauf, es rumort im Land und das will Merkel immer noch nicht sehen. Wie stoisch muss man da sein ? Was hat man nicht alles den Bürgern zugemutet, Banken retten, den Euro retten, die Welt retten, indem man alle aufnimmt, die an die Türe klopfen. Man muss sich vor Augen halten, 40 % der Bevölkerung hat nichts vom Wirtschafts- wachstum, ihnen geht es schlechter als noch vor einem Jahrzehnt. Die Deutschen sind ja geduldig, aber Merkel hat es überzogen, das rächt sich jetzt.

Dorothea Friedrich / 26.09.2017

Ja, “bei dem Wahlerfolg der AfD geht es nicht um sozialen Protest von Verlierern”, sondern die Wiederherstellung des Rechtsstaates.

Henry Marx / 26.09.2017

Merkel hat nicht nur Europa und Deutschland gespalten, sie hat auch meine Familie zerstört. Das nehme ich persönlich!

Jochen Brühl / 26.09.2017

Da ich nicht vom Zustandekommen einer Koalition zwischen CSU, die nächstund es Frühjahr in Bayern gewählt werden will, und Grünen ausgehe, wäre eine Minderheitsregierung Merkel an der kurzen Parlamentsleine eine gute Lösung. Sie müsste die angerichtete Suppe auslöffeln und stünde ganz im demokratischen Urverständnis dabei unter Kontrolle des Parlaments.

Patrick Kaufhold / 26.09.2017

Da ein Großteil der Führungsspitze der SPD in etwa das Rückgrat eines Gummibärchens hat, würde es im Zweifelsfall wohl daraus hinauslaufen, dass “Ruft doch mal Martin” Schulz und seine Genossen sich als Retter in der Not verkaufen würden, um dann einige Ministerposten abzugreifen, sofern die Grünen nicht bei Jamaika einsteigen sollten. Alles natürlich nur, um eine stabile Politik zu gewährleisten und den Populisten nicht das Feld zu überlassen bla, bla… Man möchte fast sagen vorhersehbar aber in der Tat dürfte es sehr interessant werden was die CSU Fähnlein im Wind tun werden, um ihre Wählerschaft zurückzuholen. In den letzten zwei Jahren kam da nix außer viel heißer Luft und das obwohl Seehofer mehrfach die Möglichkeit gehabt hätte Merkel in die Parade zu fahren (Bspw. das Rechtsgutachten bzgl. der illegalen Grenzöffnung und der angedrohte aber nie durchgeführte Gang nach Karlsruhe). In jedem Fall eine treffende Analyse, wie ich finde.

Rainer Küper / 26.09.2017

Man könnte es auch so sehen: Deutschland hat ein Problem. Das Problem heißt parlamentarische Demokratie in Verbindung mit dem deutschen Wahlrecht. Die Partei hat die Macht. Das Volk ist entmachtet. Ein Volk, dass den Regierungschef nicht abwählen kann, ist wie ein Volk, das in einer Diktatur lebt. Insofern hat nicht Frau Merkel ein Problem, Deutschland hat es.

Wulfrad Schmid / 26.09.2017

Die AfD gibt vielen eine politische Heimat, die den Merkelkurs nach linksgrün realistisch sehen:als Gefahr für den Fortbestand unserer Kultur und Identität. Merkel muss weg, sofort. Denn Jamaika ist das Übelste, was Deutschland noch passieren kann, schlimmer wäre nur rotrotgrün.

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