Walter Krämer / 29.06.2019 / 10:30 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 7 / Seite ausdrucken

Unstatistik des Monats: Mehr Unfälle durch vereinfachten Führerschein?

Die Unstatistik des Monats Juni ist die Interpretation der österreichischen Unfallstatistik durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt). Die BASt stellt fest, dass sich die Verkehrssicherheit in Österreich erkennbar verschlechtert habe, seit im Jahr 1997 eine Regelung zum vereinfachten Erwerb der Fahrerlaubnis für Leichtkrafträder eingeführt wurde. Österreich hatte den „Code 111“, der eine Person zum Lenken eines Motorrads der Klasse A1 berechtigt und ohne zusätzliche Fahrprüfung im B-Führerschein eingetragen wird, 1997 eingeführt.

Diese Interpretation wird von zahlreichen Medien in Deutschland zitiert, darunter „Spiegel-Online“ und „Der Tagesspiegel“. Anlass sind die Pläne von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, eine vergleichbare Regelung in Deutschland einzuführen. Nach sechs Übungsstunden und 90 Minuten Theorie sollen Autofahrer, die seit mindestens fünf Jahren einen Führerschein der Klasse B besitzen, zukünftig die Fahrerlaubnis für Krafträder der Klasse A1 mit einem Hubraum von bis zu 125 Kubikzentimeter und einer Motorleistung von nicht mehr als 11 Kilowatt, also 15 PS, ohne zusätzliche Fahrprüfung erhalten dürfen. Wer seinen Führerschein der Klasse B vor dem 1. April 1980 erworben hat, der darf diese Motorräder bereits fahren.

Deutsche Experten reagieren „entsetzt“, wie zahlreiche Medien von „AutoBILD“ bis „ZEIT“ einhellig berichten. Das hatten ihre österreichischen Kollegen 1997 allerdings auch schon getan. Von einer „dramatischen Trendumkehr in der Motorrad-Unfallstatistik“ war in einer Pressemitteilung des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KfV) zu lesen. Man befürchtete katastrophale Folgen, wenn ungeübte Autofahrer plötzlich aufs Motorrad umstiegen. Denn die meisten Motorrad-Unfälle seien Folge von Fahrfehlern. (Dass aktuell fast drei Viertel aller Motorradunfälle in Deutschland gar nicht selbstverschuldet sind, fällt gern unter den Tisch.)

Keine längerfristige Trendwende

Natürlich sind mehr Motorrad-Unfälle zu erwarten, wenn mehr Menschen mit dem Motorrad unterwegs sind. Das zu begreifen, dafür reicht gesunder Menschenverstand. Mit der Interpretation von Statistiken hingegen ist es nicht ganz so einfach. So behauptet der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR), dass nach der Einführung des Code 111 die Zahl der Zulassungen und der Unfälle zugenommen habe. Die BASt kommt zum bereits zitierten Ergebnis, die Verkehrssicherheit in Österreich habe sich erkennbar verschlechtert. Stimmt das wirklich?

Es lohnt die Mühe, die Studien und Statistiken selbst zu lesen. Ausgerechnet das KfV hat im Jahr 2017 eine detaillierte Analyse der Unfallursachen bei Motorradunfällen vorgenommen, die die Statistiken seit 1990 genauestens unter die Lupe nimmt. In der Tat gab es in Österreich 1997 ein gutes Viertel mehr zugelassene Motorräder und ein knappes Drittel mehr Motorradunfälle als im Vorjahr. Im Verhältnis stieg die Zahl der Toten je 100.000 Motorräder sprunghaft um rund 20 Prozent an.

Aber eine Trendwende der Verkehrssicherheit lässt sich aus diesen Daten eben nicht ableiten. Erstens ist die Zahl zugelassener Motorräder Jahr für Jahr kontinuierlich gestiegen. Zweitens hat sich die Rate der durch Motorräder zu Tode gekommenen Verkehrsteilnehmer, also die absolute Zahl der Getöteten geteilt durch die zugelassenen Motorräder, seit 1990 um ganze 80 Prozent verringert. Schon 1998 lag diese Rate wieder deutlich unter dem Niveau von 1996. Drittens schließlich ist selbst die absolute Anzahl der Motorrad-Toten zurückgegangen; sie lag 2015 immerhin fast ein Fünftel unter der Zahl von 1990.

Das bedeutet keinesfalls, dass Fahrsicherheit und damit Verkehrssicherheit keine Übung erfordern. Wer mit der besonderen Fahrphysik eines Zweirads und dem durch einen Helm eingeschränkten Sichtfeld nicht vertraut ist, der gefährdet sich und andere. Das spräche aber eher dafür, jeden Motorradfahrer zum regelmäßigen Nachweis seiner Fahrsicherheit zu verpflichten, als eine Regelung zu verhindern, die in vielen europäischen Ländern längst gängige Praxis ist.

Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter www.unstatistik.de.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Gert Köppe / 29.06.2019

Einfach mal machen und nicht immer die “Bedenkenträger” alles zerlabern lassen. Ich bin selber 15 Jahre lang Mororrad gefahren. Bei jeden Wetter und auch im Winter, sowie im Gelände. Nur wer viel fährt lernt es auch richtig. Motorradfahren ist in erster Linie eine Übungssache. Es gibt immer Einzelne, die lernen es einfach nicht, oder leiden an Selbstüberschätzung. Das trifft aber genauso auf das Auto zu. Kann man täglich im Straßenverkehr beobachten. Was soll den daran besser sein, wenn ein 18-Jähriger seinen Führeschein für’s Auto macht und sich anschließend gleich in eine Kiste mit über 200 PS setzen kann? Ist das etwa sicherer? Die Unfallsttistik zeigt es doch immer wieder. Da wird aber nicht so ein “G’schiss” gemacht. Das man sicht früher, oder später auch mal mit einem Motorrad auf die Nase legt gehört einfach dazu, wie das Amen in der Kirche. Das ist einfach so, kann jeder Mororradfahrer sicher bestätigen. Bei mir hat immer das Fahrzeug mehr Schaden genommen dabei und ich so gut wie nie. Höchsten ein paar belanglose Kratzer.

Tobias Birk / 29.06.2019

In DE muss immer alles von 100 Seiten betrachtet, analysiert, abgewogen, dreimal umgedreht und dann 20mal diskutiert werden, um danach im Papierkorb zu landen. Die deutschen sind feige geworden. Wollen immer 100%ige Sicherheit, immer, überall… die es nicht gibt! Wer den “alten” Führerschein hat, darf auch auf 125ccm Motorrädern seine Runden drehen, ob er/sie schon seit 20 Jahren nicht mehr draufsaß.. kräht kein Hahn danach. Ich fahre seit vielen Jahren meinen 50ccm Roller. Habe also in Sachen Balance und lenken schon Erfahrung. Es ist aber für ich ein Unding, mit dem lahmen Teil auch nur in den Nachbarort zu fahren.. Hört auf, gegen neue alte Ideen zu wettern. Lasst doch einfach mal was ausprobieren. Ein 18-Jähriger darf noch viel schnellere Motorräder fahren, nach bestehen der A2-Prüfung. Aber wer sagt, dass jemand nur wegen einer bestandenen Prüfung geeignet ist, im Straßenverkehr Motorrad zu fahren? Ist das anders, als wenn ein erfahrener Autofahrer ein Kleinkraftrad nach Übungsstunden fahren darf? Leute Leute…

Ingo Weber / 29.06.2019

Es ist in der Tat gefährlich. 1 mal zu viel Gas und zu wenig in dei Seite gelegt schon ist man auf der anderen Strassenseite,ist mir selber passiert-davor 3 Jahre Moped gefahren… Auch die Quads sind gefährlich,da passiert es ähnlich.Die waren gar nicht für die Strasse gedacht sondern um langsam übers Feld zu fahren!

Gerhard Küster / 29.06.2019

Ich fahre seit 30 Jahren Motorrad und seit 45 Jahren Auto. Aus meiner Erfahrung sollte man es eher umgekehrt handhaben: Wer einen Motorradführerschein gemacht hat, darf auch Auto fahren. Motorradfahren erfordert große Umsicht, gute Fahrzeugbeherrschung und Disziplin beim Fahren. Damit verglichen ist Autofahren sehr einfach.

Martin Rühle / 29.06.2019

Ja, Motorradfahren ist gefährlich! Noch dazu, wenn man glaubt, alles ganz easy, weil ja schon 20.000 unfallfreie Kilometer auf dem Tacho des Golf GTI zurückgelegt wurden und schon das Tragen der Baseballkappe überfordert. Nur - für die übrigen 98% der potentiellen Leichtkraftradfahrer ist diese Regelung das Tor zu einer neuen Welt. Man darf die “Easy Rider” Romantik getrost in der Mottenkiste verstauben lassen - bei mageren 15 PS verbietet sich das ohnehin - aber wer einmal an der - JA ! - Freiheit über verkehrsarme Landstraßen zu cruisen geschnuppert hat, will davon nicht mehr lassen! Was immer Scheuer dazu bewogen hat Motorradfahren für Autofahrer zu erleichtern, nicht nur die um Kunden ringende Motorradindustrie und die vielen kleinen Händler und Werkstätten werden es ihm danken. Es ist für Menschen, die ihre Blech geschützte Komfortzone verlassen und das Gefühl auf 2 Rädern unterwegs zu sein erfahren, eine ehrliche und unmittelbare Erfahrung den Alltag hinter sich zu lassen und sich auf genau eine Sache zu konzentrieren: sich selbst beim MOTORRADFAHREN !

Hjalmar Kreutzer / 29.06.2019

Unabhängig von statistischen Erwägungen verlangt das Führen eines motorisierten Zweirades im Vergleich zum PKW weniger nochmalige theoretische Schulung, aber sicherlich ganz andere praktische und körperliche Fähigkeiten und Fertigkeiten. Bis hier die nötigen Handgriffe und Fußschaltungen „saßen“, wurde ich als 16jähriger auf einem Krad mit Beiwagen geschult und erst danach auf eine Solomaschine von max. 150 ccm Hubraum gesetzt, um das Fahren eines motorisierten Balance-Fahrzeugs zu üben. Auf ausreichende Übungsstunden sollte niemand verzichten, der nach Jahren vom PKW wieder auf ein Zweirad umsteigt. Wie umfangreich diese Übungsstunden sein müssen, sollten erfahrene Fahrlehrer für Krad entscheiden.

Frank Stricker / 29.06.2019

Was mich in dem Zusammenhang mal interessieren würde , wie siehts eigentlich aus mit dem Führerschein von Migranten aus Syrien , Irak , Ägypten oder ähnlichen Ländern. Ich habe seinerzeit mal einen Bericht im Weltspiegel (ARD) gesehen , die Fahrprüfung in Ägypten besteht in der Hauptsache darin , 2 x unfallfrei um 3 Regentonnen zu fahren ! Thats it !  Da würde mich auch mal die Statistik interessieren , wieviel mal häufiger solche “Kandidaten” in Unfälle verwickelt sind als der hiesige,  durchschnittliche Autofahrer. Aber wahrscheinlich gibt es dazu genau so wenig eine Statistik , wie über den unsachmäßigen Gebrauch von “Messern” , man will halt “die schon länger hier Lebenden” nicht verunsichern……..

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