Archi W. Bechlenberg / 21.02.2021 / 06:25 / Foto: Pixabay / 19 / Seite ausdrucken

The Oyster is my World: Kuh stürmt Wartezimmer auf dem Mars

Je weniger Zukunft, umso mehr Nostalgie – mit Freund Joshi schwelgte ich diese Woche in Erinnerungen. Natürlich rein virtuell, zwischen uns ist ja die Corona-Mauer. Noch haben wir fürs Nachrichtenschicken Strom in Europa, auch wenn sich das minütlich ändern kann.

Joshi ist ein paar Jahre jünger als ich, aber wie an mir nagt längst der Zahn der Zeit an ihm. Somit reichen auch seine Erinnerungen mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. Dieses Mal ging es um Musik („Hast du die damals gesehen?“ „Aber klar! Da habe ich sogar mit 500 anderen die Kasse gestürmt!“) Unsere Reminiszenzen wurden rasch bizarrer. „Sagt dir der Name Hans Reichel noch was?“ „Ja, klar! Und Paul und Limpe Fuchs?“ „Ich bitte dich! Da ging man doch nur hin, weil es hieß, dass Limpe ...“ „Genau! Und? Hast du's gesehen?“

Schließlich gelangten wir über ein, zwei Zwischenstationen (Can, Focus, Living Blues) zu Peter Brötzmann. „Ha, bei dem spielte doch Fred von Hove, dessen Neffen habe ich mal in Antwerpen kennengelernt ...“ „Und Buschi Niebergall ...“ „Buschi!“ Brötzmann hat damals – laut mancher Musikkritiker „für alle Zeiten“ – den Vogel abgeschossen, mit der LP „Machine Gun“. Es gibt nur ganz wenige Menschen auf der Welt – der Autor dieses Textes gehört dazu – die Machine Gun bis zum Ende hören können. Ich finde das gar nicht so schwer, an einer Straße in der Stadt zu wohnen, stelle ich mir deutlich heftiger vor, und bei Platten von Grönemeyer, BAP, Udo Lindenberg, Helene Fischer oder den Amigos würde ich das nicht schaffen.

Wenn Sie noch nie etwas von Peter Brötzmann gehört haben und Ihnen die „Machine Gun“ (nicht verwandt mit dem gleichnamigen Stück von Jimi Hendrix und der Band of Gypsys) unbekannt ist und Sie eventuell noch ein schwaches Herz haben, lassen Sie es damit gut sein und folgen Sie nicht diesem Link: „Klingt wie John Coltrane, der versucht, einen tasmanischen Teufel aus einer Spülmaschine zu verjagen“, hat jemand kommentiert, jemand anderes vergleicht die Platte mit „In a Silent Way“ von Miles Davis, was durchaus nachvollziehbar ist. Ich höre so was ganz gerne. Mal. Alle fünf Jahre.

Popo-Panne in Söderland

Wenn ich mich anstrenge, reichen meine Erinnerungen bis etwa ins vierte, fünfte Lebensjahr zurück. Diesem Alter angemessen fand ich Karneval nicht schlecht, inklusive Verkleiden. Cowboy durfte ich nur in einem Jahr sein, dann nicht mehr, weil ich auf der Straße Passanten überfallen und um Lösegeld erleichtert hatte; stattdessen wurden mir läppische Kostüme verordnet.

Einmal war ich Chinese, einmal Seppel, einmal Afrikaner und einmal Indianer mit lautlosem Flitzebogen und einer einzigen, einsamen Feder auf dem Kopf. Häuptling „Zu blöd zum Jagen“. Das war gegenüber meinen Kumpels, die als Zorro, Buffalo Bill oder Billie The Kid auf der Straße marodierten, schon demütigend genug. Wäre ich allerdings damals „Influencer“ gewesen, hätte ich Shitstürme über mich ergehen lassen müssen, gegen die Orkan Katrina nur ein Bierfurz gewesen wäre.

In Thailand wurde eine Katze drei Tage lang vermisst

Influencer sein, ist ein Scheißjob. „Ach, ich werde Influencer!“, sagen sich viele, vor allem Frauen. „Ich halte meine Möpse in die Kamera, erzähle dazu, dass die dank der neuen Melonendünger-Creme von Powertit-Creator so imposant sind und bekomme dafür nicht nur Geld, sondern auch Millionen Follower, die an meinen Lippen hängen. Nebbich! In erster Linie besteht die Interaktion zwischen Followern und Influencern darin, dass erstere zweitere mobben. Denn irgendwas ist immer. Du zeigst stolz dein Baby (das du zuvor in Form deines Bauches monatelang täglich angekündigt hast) und bekommst es sofort drüber. „Wie kannst du das Kind so halten und nicht mit dem Ayurvedagriff nach Sibille Bibi?“ „Was steht denn da im Hintergrund? Sonnencreme von Squarefoot? Die ist doch nicht vegan!“ „Ist das Miami im Hintergrund? Da wurde neulich ein Schwarzer von der Polizei etc. etc.“

Camilla über ihre „neuen“ Brüste: Typ schmutziger Gummistiefel

Das Schlimme ist: Man muss nicht einmal selber bei den einschlägigen Netzwerken wie Instantkaffee sein, es genügt, von Google News begrüßt zu werden, wenn man online geht, und schon ist man doofer. Dank dieser unverzichtbaren Nachrichtenquelle weiß ich jetzt, dass die TV-Moderatorin Annemarie Carpendale in aller Unschuld anlässlich des Karnevals ein Bild von sich, Mann und Kind online gestellt hatte, auf dem sie einen Indianerkopfschmuck trägt. Sie dürfte sich anschließend wie eine Siedlerin gefühlt haben, die auf dem Treck nach Kalifornien in einer Wagenburg bibbert und auf John Wayne wartet, damit er sie vor dem Geschändetwerden rettet.

„So ein Kostüm wirkt rassistisch und höhnisch. Wir Weißen sind alle privilegiert, und die Gesellschaft muss weiterhin stark sensibilisiert werden.“ „Wie unfassbar respektlos gegenüber den Native Americans!“ Aber wirklich. Zwar ist mir die Dame völlig unbekannt, aber mit Sicherheit werden die Los Coyotes, die United Keetoowah Band of Cherokee und die Flathead in Montana bereits das Kriegsbeil ausgegraben haben, um demnächst vor dem Unterschichten-Sender, bei dem sie – noch! – arbeiten darf, den Kopf der Rassistin zu fordern.

Was über den Shitstorm gegen die TV-Dame völlig in den Hintergrund geriet: Der Ehemann der Kostüm-Squaw trug „eine dicke Lockenmähne und dazu eine Pilotenbrille“, und der Sohn war „mit Augenklappe und Piratenhut ausgestattet“. Wo bleibt der Aufschrei der Lockenköpfe? Der Piloten? Und was sagt der Zentralrat der Piraten zu diesem Eklat, der in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte wohl einmalig ist (und hoffentlich bleibt)?

Irre Theorie: Dunklere Haare, kleinerer Busen

Letzte Woche stellte ich den Youtube-Kanal von Andi Feldmann vor, der sich thematisch insbesondere an Bastler und Schrauber wendet. Ich fand aber ein Video, in dem zwar auch gebastelt wird, aber nicht geschweißt, gelötet und auch nicht plasmageschnitten, sondern nur ein bisschen gedengelt, und das bekommt jeder mit einem Hammer hin. Das Ergebnis der Arbeit ist ein astreines Spiel für die ganze Familie von klein bis alt, mit dem sich mancher langweilige Coronaabend leichter ertragen lässt. Das Spiel heißt Kalüngel und ist, wie meistens bei Andi, vom rechtschaffenen Recyclinggedanken inspiriert. Schauen Sie hier.

Trump weiß, ob ihr Oral-Sex hattet

Wer wie ich das Haus nur im äußersten Notfall verlässt (Stichwort „Katzenfutteristalle“), ist mit den meisten Coronaregeln der verschiedenen Länder nur theoretisch vertraut. Fast nur: bei uns im Grenzland gibt es nun ein Papier (2 Seiten A4), das man ausfüllen und stets bei sich tragen sowie auf Verlangen vorzeigen muss. Fragen Sie mich nicht, was drin steht, ich habe es vor ein paar Wochen ausgedruckt und -gefüllt und im Auto deponiert, für den Fall, dass das Katzenfutter mal wieder alle ist. Was es dann auch vor zwei Tagen war. Ich also losgefahren, in dem guten Gefühl, alles richtig zu machen; den Passierschein in der Tasche auf der Türe und an der Handyhalterung gut sichtbar seit zwei Monaten eine Einmal-OP-Maske sowie eine PaoloPinkel2-Maske, beide vermutlich verseuchter als der Spülschwamm in einer Antifanten-WG. Aber wenn's gesund hält ...

Sexualkopfschmerzen: zurzeit noch relativ unerforscht

Prompt werde ich an der seit Schengen nicht mehr vorhandenen Grenze angehalten. Mit bestem Gewissen greife ich nach dem Passierpapier und habe zwei völlig durchweichte Lappen in der Hand, auf denen außer stark verlaufener Tinte nichts zu erkennen war. Da hatte es doch tatsächlich ins Auto geregnet, vielleicht ist auch der geschmolzene Schnee durchs Verdeck gesickert, wer weiß. Jedenfalls hatte sich in der Türtasche ein tüchtiger Schluck Wasser gesammelt, der dann aus dem so sorgfältig gedruckten und von Hand ausgefüllten amtlichen Formular eine Art „Wisch und weg“ machte. Wer den Film „Flodder“ kennt, kann sich das in etwa vorstellen. Wer den Film nicht kennt: Meine Empfehlung! Ich kam besser davon, der Beamte wollte meine Papier nicht einmal in die Hand nehmen, und ich habe versprochen, es neu zu drucken, was inzwischen geschehen ist. Ausgefüllt wird es dann am Wochenende.

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Manni Meier / 21.02.2021

@Ulrich Grabowski “Oje, die “Familie zum Knutschen” hatte ich fast erfolgreich verdrängt. ...“Werner, alter W*!”” Ging mir ebenso, Herr Grabowski, gut dass uns der Oysterbewohner erinnert hat. Evtl. haben Sie ja mit ihrem Hinweis auf die Flodders auch das Geheimnis des “W.” zwischen Archi und Bechlenberg gelüftet

Bechlenberg Archi W. / 21.02.2021

Liebe Leser, ich danke für die Kommentare! Was die Zwischenüberschriften angeht: Daran müssen Sie sich fortan bitte gewöhnen. Es sind weitgehend Originale aus der Knallpresse, von mir nur an der einen oder anderen Stelle neu gemischt. Zur Kuh: eines der allerersten Memes im Internet war “The mad cow”. Zwei Bilder, die man anklicken konnte und die den Unterschied zwischen einer Kuh ohne und einer Kuh mit Rinderwahn (die Älteren unter Ihnen werden sich an diese Krankheit erinnern) demonstrierten. Die Originalseite habe ich nicht mehr gefunden, aber bei Youtube können Sie es als Video ansehen (und hören!). Suchen Sie nach “How to identify mad cow disease”. Play it loud!

F. Hoffmann / 21.02.2021

@Archi Bechlenberg Wer Brötzmann sagt, muss auch Bennink sagen. Irrer Schlagzeuger. Habe die beiden in Berlin und Frankfurt gesehen. Was für ein Spektakel! @Wolf von Fichtenberg Steigerung von „21st century schizoid man“ (Robert Fripp, King Crimson): „Disengaged“ von Robert Fripp. Und gleich noch das nächste Stück „North Star“ zum Runterkommen hören.

beat schaller / 21.02.2021

@Manni Meier . Herr Meier, sind Sie nicht informiert, dass die Kuh den neu erfundenen RKI- Corona-Self-Test macht.  Wenn die Augen weiterhin offen bleiben, dann ist die Kuh nicht infiziert!..... oder nur noch nicht gestorben. b.schaller

Burkhard Goldstein / 21.02.2021

Interessanter als die Musik selbst finde ich manchen mehr als gelungenen Kommentar zu Brötzmanns “Machine Gun”. Da muss man erst einmal drauf kommen, einen geografisch genau verorteten gefallenen Engel mit einem, wenn nicht dem größten Saxophonisten der Jazzwelt und einer Küchenmaschine in Verbindung zu bringen. Noch treffender finde ich diese Bewertung: “Too commercial for me.” Es hat, Herr Bechlenberg, einige Absätze des heutigen Berichts aus Ihrer Austernwelt gedauert, bis sich mir erschloss, dass die Absatzüberschriften ins Leere laufen anstatt erotische Delikatessen zu offenbaren. Typische “Eyecatcher” also, die zum Weiterlesen animieren sollen? Verfängt bei mir nicht, da ich sowieso jeden Text von Ihnen zu Ende lese, da sich mir oftmals erst am Ende die ganze Sinnhaftigkeit erschließt. Einen schönen Sonn-Tag!

Belo Zibé / 21.02.2021

Grönemeyer, BAP, Udo Lindenberg, Helene Fischer , Amigos ......welch Perlenkette! Brötzmann : Was die Kernspaltung in der Kernphysik , ist Brötzmann für die Obertonreihe. Die Spaltprodukte können zu Tremor, Hyperhidrose führen   und schlimmstenfalls einen Scheidungsgrund darstellen. Spass beiseite, er hat sicher neue Räume ausgeleuchtet, der alte Gesetzesbrecher.

Archi W Bechlenberg / 21.02.2021

@Ulrich Grabowsky: Stehen Sie dazu! Ich kann Flodder I seit 1986 wörtlich mitbeten, so wie sonst nur noch den Top Secret von Zucker Abrahams Zucker. Ich war sogar in der Siedlung Sonnenschein, der Film wurde in weiten Teilen in meiner Nähe gedreht. Und ich kenne den Bahnübergang, an dem Opa Flodder mit dem Rollstuhl in den Schienen hängen blieb… Schluchz…. Leider ließ sich die von mir gemeinte Szene im Artikel nicht verlinken, der Film ist im deutschen YouTube gesperrt. Die triefnassen Autopapiere von Johnny Flodder sind sehenswert. Aber wem sage ich das. Darauf eine Knoblauchwurst, schön fettig.

Manni Meier / 21.02.2021

... und noch ‘ne Frage, warum bohrt sich die Kuh eigentlich mit der Zunge in der Nase und nimmt nicht den Huf?

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