Ja, es ist Sommerloch. Aber das ist keine Entschuldigung dafür, dass die TAZ eine dermaßen grottenschlechte „Reportage“ druckt. Und dann auch noch in drei Teilen. Wenn Sie gut und schnell einschlafen wollen, reicht Teil eins von „Leben in Marzahn“. http://taz.de/Leben-in-Marzahn-Teil-1/!98186/ (es tut ein bisschen in der Seele weh, für diesen Schwachsinn jetzt auch noch per Link Werbung zu machen, aber sei’s drum). In der langweiligsten Reportage aller Zeiten, wird ausführlich beschrieben, dass es in Marzahn genauso langweilig ist wie an anderen Orten auch. Weihnachten im Stellwerk nennen Journalisten das intern: Da hat jemand versucht, etwas Großartiges zu schreiben, herausgekommen ist dann aber leider nichts, weil vor Ort nichts los war. Weihnachten im Stellwerk eben, warm und trocken, aber leider sterbenslangweilig.
Kleine Auszüge aus der Reportage-Katastrophe: „Wir gehen einkaufen im Kaiser’s. Es gibt deutlich weniger Bioprodukte als sonst. Auch hier sind kaum Leute unterwegs, ein paar Bauarbeiter, die sich eine Fleischwurst zur Pause holen; Hausfrauen, wie man sich Hausfrauen vorstellt: in Caprihosen, bügelfreien Blusen und mit rosa lackierten Fingernägeln. Eine greift gerade nach einem Becher Grafschafter Goldsaft. In ihrem Wagen liegen bis jetzt: Rahmspinat und Buttergemüse, drei Tiefkühlpizzen mit Salami, Scheibletten, Schogetten und eine Gurke aus Holland.”
Interessiert der Scheibletten-Einkauf tatsächlich jemanden? Was spricht dagegen, Hausfrau zu sein? Wenn man gerne Hausfrau ist, muss man sich doch nicht darüber lustig machen, es stört schließlich niemanden. Aber die Gurke der Hausfrau mit den rosa lackierten Fingernägeln (Rosa ist in, das kann Barbie jederzeit bestätigen) ist natürlich interessant, weil TAZ-exklusiv.
Weiter im Text: „Das kommt bei uns rein: Obst, Tomaten, Brezeln und Wiener an der Theke. Die freundliche Fachverkäuferin mit roten Wangen kommt sofort ins Plaudern: Sie wohnt nicht in Marzahn und kann es auch nicht verstehen, warum sie das sollte. Wenn man es schon so weit hat in die Stadt, sagt sie, dann kann man auch gleich richtig rausziehen. Sie ist in Blumberg geboren und hängen geblieben, sagt sie, hat da einen reichen Mann geheiratet und jobbt an der Wursttheke ein bisschen fürs Taschengeld. Blumberg ist ein hübsches Brandenburger Dörfchen, 15 Autominuten entfernt, es gibt da sogar einen Lenné-Park.”
Das ist unfreiwillig komisch, denn welche Frau, die einen tatsächlich reichen Mann geheiratet hat, erwägt ernsthaft, an der Wursttheke zu jobben? Wenn man viel Geld hat und Zerstreuung sucht, gibt es Yachten, Mailand, Maniküre-Studios und Shopping-Malls oder man engagiert sich für eine gute Sache. Wurstverkauf in Marzahn gehört in diesen Kreisen definitiv nicht dazu.
Munter mäandert sich die journalistische Katastrophe von einem Serien-Teil zum nächsten. Mich hat eigentlich nur erstaunt, dass man nach drei Folgen beherzt aufgehört hat, den Leser mit diesem Quatsch zu behelligen. Eigentlich hätte man die Sache durchziehen und zwölf Teile draus machen sollen. Und langfristig über ein Buch nachdenken müssen.
Als Leser habe ich mich veräppelt gefühlt. Erfüllen sich die Schreibtisch-Vorstellungen einer Reportage vor Ort dann leider doch nicht, gibt es traditionell zwei Möglichkeiten. Entweder man gesteht sich die Pleite ein und sucht sich schnell ein neues, befriedigendes Thema. Die eleganteste Lösung für Schreiber und Leser. Die zweite Möglichkeit ist die TAZ-Sommerloch-Variante. Die Botschaft an den Leser: Wir halten Dich eh für blöd, deshalb servieren wir Dir diesen Schwachsinn. Aber weil wir als ungemein schlau und investigativ dastehen möchten, machen wir gleich einen Dreiteiler draus. Fünf, setzen.
Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de