Die Wahlen in NRW werden Linder und Kraft als Zukunftspolitiker mit bundesweiten Optionen etablieren. Er hat das Zeug zum FDP-Vorsitzenden, sie könnte die Kanzlerkandidatendebatte der SPD auf den Kopf stellen.
Die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen sind weder „kleine Bundestagswahlen“, wie man im Westen gerne schwadroniert. Noch sind sie eine Testwahl für Merkel, Europa oder den lieben Gott. Die großen Deutschlandtrends der jüngsten Zeit – vom Niedergang der Linkspartei bis zum Aufstieg der Piraten – setzen sich fort. Hannelore Kraft bleibt, was sie war. Der Rhein fließt weiter bergab.
Die überregionale Bedeutung dieser Wahl liegt vielmehr in drei Personalien. Erstens bekommt die FDP mit Christian Lindner eine Retterfigur. Ähnlich wie Wolfgang Kubicki im Norden so steht Lindner im Westen genau für das, was der pubertär vor sich hin wurschtelnden Hauptstadt-FDP so schmerzlich fehlt: Autoriät. Kubicki wie Lindner verkörpern die souveräne Freiheitsidee der Liberalen schon in sich selbst.
Das macht sie in einer glatt-gefälligen Politik von politisch-korrekten Opportunisten so überzeugend. Sie wirken wie die innerparteilichen Piraten der FDP, nur dass sie wissen was sie tun und wollen. Lindner will FDP-Vorsitzender werden. Und er hat nun perspektivisch alle Chancen dazu. Es mag sein, dass die FDP sich noch einmal für Rainer Brüderle als Übergangschef entscheidet, langfristig aber gehört Lindner die Zukunft. Schließlich sagt das auch die FDP-Legende Hans-Dietrich Genscher. Und bei den Liberalen bedeutet das soviel wie ein Ritterschlag.
Die zweite Personalie ist dagegen eine Verlierergeschichte. Norbert Röttgen hat seine Zukunft in diesem Frühjahr verspielt. Der Blitzgescheite hätte nur anständig verlieren sollen. Er hat sich aber als Karrierist verraten - taktiert, gezaudert, bloß nach sich geschaut, das warme Wasser gesucht, wo der Sprung in kalte nötig gewesen wäre. Am Ende wollte er Angela Merkel noch in seine eigenen Fehler verstricken. Seine Akzeptanz ist damit auch in Berlin dramatisch gesunken. Die Union hätte zur NRW-Wahl einen wie Friedrich Merz aufstellen sollen, einen Mann mit Haltung - und nicht einen mit Biegung.
Die dritte Personalie betrifft Hannelore Kraft. Sie hat eine mäßige Mannschaft, ein altmodisches Ruhrpott-Sozen-Programm, eine katastrophale Schuldenbilanz und kein wirkliches Siegerthema. Und doch punktet sie mit ihrer Persönlichkeit. Hannelore Kraft wird um ihrer selbst gewählt. Sie zieht die SPD nach oben, nicht umgekehrt. Sie strahlt etwas aus, was in der SPD zuletzt Franz Müntefering verkörperte: Glaubwürdigkeit und Integrität
Zuweilen erinnert sie mit ihrer Integrationskraft sogar an Angela Merkel. Und genau da beginnt die Fantasie der Genossen. In der SPD weiß man inzwischen, dass bei der Bundestagswahl 2013 weder Gabriel noch Steinmeier noch Steinbrück Angela Merkel wirklich gefährlich werden können. Hannelore Kraft hingegen schon.
Kraft ist eine starke Frau, sie hat die Hochburgen der SPD und den wichtigsten Landesverband reaktiviert, sie ist – im Gegensatz zu den drei SPD-internen Konkurrenten – eine Wahlsiegerin und sie ist so frei, den Posten gar nicht zu wollen.
Ab sofort aber werden die Kraftfelder der deutschen Politik auf sie einwirken, sie wird gedrängt und gebeten, gelobt und gelockt. Sie mag sich noch zieren, aber sie hat eine große Chance - erste Kanzlerkandidatin der SPD zu werden.
Zuerst erschienen auf Handelsblatt Online