Wolfram Weimer / 13.05.2012 / 13:07 / 0 / Seite ausdrucken

Kanzlerkandidatin Kraft

Die Wahlen in NRW werden Linder und Kraft als Zukunftspolitiker mit bundesweiten Optionen etablieren. Er hat das Zeug zum FDP-Vorsitzenden, sie könnte die Kanzlerkandidatendebatte der SPD auf den Kopf stellen.

Die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen sind weder „kleine Bundestagswahlen“, wie man im Westen gerne schwadroniert. Noch sind sie eine Testwahl für Merkel, Europa oder den lieben Gott. Die großen Deutschlandtrends der jüngsten Zeit – vom Niedergang der Linkspartei bis zum Aufstieg der Piraten – setzen sich fort. Hannelore Kraft bleibt, was sie war. Der Rhein fließt weiter bergab.

Die überregionale Bedeutung dieser Wahl liegt vielmehr in drei Personalien. Erstens bekommt die FDP mit Christian Lindner eine Retterfigur. Ähnlich wie Wolfgang Kubicki im Norden so steht Lindner im Westen genau für das, was der pubertär vor sich hin wurschtelnden Hauptstadt-FDP so schmerzlich fehlt: Autoriät. Kubicki wie Lindner verkörpern die souveräne Freiheitsidee der Liberalen schon in sich selbst.

Das macht sie in einer glatt-gefälligen Politik von politisch-korrekten Opportunisten so überzeugend. Sie wirken wie die innerparteilichen Piraten der FDP, nur dass sie wissen was sie tun und wollen. Lindner will FDP-Vorsitzender werden. Und er hat nun perspektivisch alle Chancen dazu. Es mag sein, dass die FDP sich noch einmal für Rainer Brüderle als Übergangschef entscheidet, langfristig aber gehört Lindner die Zukunft. Schließlich sagt das auch die FDP-Legende Hans-Dietrich Genscher. Und bei den Liberalen bedeutet das soviel wie ein Ritterschlag.

Die zweite Personalie ist dagegen eine Verlierergeschichte. Norbert Röttgen hat seine Zukunft in diesem Frühjahr verspielt. Der Blitzgescheite hätte nur anständig verlieren sollen. Er hat sich aber als Karrierist verraten - taktiert, gezaudert, bloß nach sich geschaut, das warme Wasser gesucht, wo der Sprung in kalte nötig gewesen wäre. Am Ende wollte er Angela Merkel noch in seine eigenen Fehler verstricken. Seine Akzeptanz ist damit auch in Berlin dramatisch gesunken. Die Union hätte zur NRW-Wahl einen wie Friedrich Merz aufstellen sollen, einen Mann mit Haltung - und nicht einen mit Biegung.

Die dritte Personalie betrifft Hannelore Kraft. Sie hat eine mäßige Mannschaft, ein altmodisches Ruhrpott-Sozen-Programm, eine katastrophale Schuldenbilanz und kein wirkliches Siegerthema. Und doch punktet sie mit ihrer Persönlichkeit. Hannelore Kraft wird um ihrer selbst gewählt. Sie zieht die SPD nach oben, nicht umgekehrt. Sie strahlt etwas aus, was in der SPD zuletzt Franz Müntefering verkörperte: Glaubwürdigkeit und Integrität

Zuweilen erinnert sie mit ihrer Integrationskraft sogar an Angela Merkel. Und genau da beginnt die Fantasie der Genossen. In der SPD weiß man inzwischen, dass bei der Bundestagswahl 2013 weder Gabriel noch Steinmeier noch Steinbrück Angela Merkel wirklich gefährlich werden können. Hannelore Kraft hingegen schon.
Kraft ist eine starke Frau, sie hat die Hochburgen der SPD und den wichtigsten Landesverband reaktiviert, sie ist – im Gegensatz zu den drei SPD-internen Konkurrenten – eine Wahlsiegerin und sie ist so frei, den Posten gar nicht zu wollen.

Ab sofort aber werden die Kraftfelder der deutschen Politik auf sie einwirken, sie wird gedrängt und gebeten, gelobt und gelockt. Sie mag sich noch zieren, aber sie hat eine große Chance - erste Kanzlerkandidatin der SPD zu werden.

Zuerst erschienen auf Handelsblatt Online

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Wolfram Weimer / 26.06.2020 / 06:00 / 80

Corona als Kanzlermacher

In der CDU knistert es. Die Kanzlerkandidatur-Frage legt sich wie eine Krimispannung über die Partei. Im Dreikampf und die Merkelnachfolge zwischen Markus Söder, Armin Laschet…/ mehr

Wolfram Weimer / 12.06.2020 / 10:00 / 47

Nichts ist unmöglich: AKK als Bundespräsidentin?

„Das ist die größte Wunderheilung seit Lazarus“, frohlocken CDU-Bundestagsabgeordnete über das Comeback ihrer Partei. Die Union wankte zu Jahresbeginn dem Abgrund entgegen, immer tiefer sackten…/ mehr

Wolfram Weimer / 23.04.2020 / 06:10 / 183

Robert Habeck: Die grüne Sonne geht unter

Am 7. März erreichten die Grünen im RTL/n-tv-Trendbarometer noch Zustimmungswerte von 24 Prozent. Monatelang waren sie konstant die zweitstärkste Partei in Deutschland, satte 8 Prozentpunkte betrug der…/ mehr

Wolfram Weimer / 27.02.2020 / 06:11 / 135

Die CDU braucht einen Notarzt

Friedrich Merz tritt an – und er hat vier Trümpfe in der Hand. Erstens führt er die Umfragen nicht nur an. Er liegt seit Monaten…/ mehr

Wolfram Weimer / 22.02.2020 / 06:18 / 19

SPD-Comeback in Hamburg?

Lange hatten die Grünen gehofft. Doch nun zeigen die Umfragen: Die Hamburg-Wahl wird die SPD wohl gewinnen. Es bahnt sich sogar ein bundesweiter Stimmungsumschwung im…/ mehr

Wolfram Weimer / 14.02.2020 / 06:14 / 106

Die CDU sucht den Merkel

„Angela Merkel will Armin Laschet. Die CDU-Basis will Friedrich Merz.“ So fasst ein CDU-Spitzenpolitiker aus der Bundestagsfraktion die K-Debatte in der Union zusammen. Mit dem…/ mehr

Wolfram Weimer / 13.12.2019 / 06:23 / 33

Batterien aus Deutschland? Potzblitz, und es geht doch!

Monatelang war es bloß ein Gerücht: Angeblich verbaut der Technologiekonzern Apple in seinen Kopfhörern “AirPods” deutsche Batterien. In Asien lachte man darüber – die Deutschen…/ mehr

Wolfram Weimer / 05.12.2019 / 12:00 / 69

Kevin, der Defibrillator der Macht

Den größten Verlierer im SPD-Umbruch kennt jeder: Olaf Scholz. Seine Macht ist brutal pulverisiert, seine Autorität wird bereits von Mitleid getragen, seine Karriere wirkt schlagartig…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com