Thomas Rietzschel / 16.07.2015 / 15:17 / 2 / Seite ausdrucken

Herr Strobl hat genug genervt!

Hochmut kommt vor dem Fall, sagt das Sprichwort. Und da nur sprichwörtlich wird, was sich aus der Erfahrung ergibt, wofür das Leben den Beweis angetreten hat, besteht die Hoffnung, dass wir die Hoffart, den Dünkel und die anmaßende Dummheit unserer politischen Kaste so lange nicht mehr werden ertragen müssen. Was sich die deutschen Mandatsträger des Dilettantismus bei der Disziplinierung der Griechen leisten, ist schlichtweg unanständig, Ausdruck einer Flegelhaftigkeit, in der sich jene gefallen, die sonst nichts auf der Kirsche haben.

Wer wie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU Thomas Strobl dieser Tage erklärt, “der Grieche hat jetzt lang genug genervt“, hat den Anspruch verwirkt, noch halbwegs ernst genommen zu werden. So wie er sprachen die deutschen Kriegshelden des zwanzigsten Jahrhundert, wenn sie gegen „den Russen“ oder „den Franzosen“ rhetorisch zu Felde zogen. Wie um alles in der Welt kann man heute wieder in diesen Ton verfallen; wie denkt es in einem deutschen Politiker, der nichts dabei findet, derart präpotent aufzutrumpfen.

Hat der Mann (Jahrgang 1960) den Geschichtsunterricht verschlafen, hat er unter der Bank Monopoly gespielt, während der Lehrer vorn über den Missbrauch der Sprache zur Machtausübung dozierte? Weiß der Christdemokrat Strobl nicht, dass sein Ausdrucksweise der Diktion der Herrenmenschen entspricht, wie sie Dolf Sternberger zusammen mit Gerhard Storz und Wilhelm E. Süskind in seinem „Wörterbuch des Unmenschen“ analysierte, damals 1957, nachdem der deutsche Hochmut Europa in Schutt und Asche gelegt hatte?

Vermutlich! Das wollen wir jedenfalls zu seinen Gunsten und unserer Beruhigung glauben. Bewahrt uns doch die Annahme, dass sich die Pöbelei der banaler Dummheit, mangelnder Bildung und schlechter Erziehung verdankt, wenigstens davor, Schlimmeres zu vermuten. Tatsächlich poltern die Hohepriester des Euro - nicht nur die deutschen - in der Auseinandersetzung mit den Griechen wohl vor allem deshalb so laut, weil ihnen nichts einfällt, womit sie sich sonst aus dem selbstangerichteten Schlamassel ziehen könnten.

Obwohl sie in Berlin wie in Brüssel selbst auf Schuldenbergen sitzen, die so hoch sind, dass die Wirklichkeit von oben herunter nicht mehr wahrzunehmen ist, maßregeln sie „den Griechen“ schulmeisterlich. Dass es Gründe über Gründe für eine ernsthafte Kritik und harte Einschränkungen gibt, steht dabei außer Frage. Auch die Politiker in Athen sind allesamt keine Waisenknaben und keine frommen Betschwestern. Sie haben ihr Land höchstselbst in den Bankrott gewirtschaftet, freilich unter tätiger Mithilfe derer, die ihnen nun die Leviten lesen und den Brotkorb höher hängen wollen.

Alle, von Kohl bis zu Merkel, von Schröder bis zu Schulz, haben sie Schmiere gestanden, während die Griechen wie andere mehr für ihren eigenen Wohlstand in fremde Taschen griffen.  Hauptsache, der Euro-Raum wuchs weiter und weiter. Der Traum von europäischen Großreich raubt den Verantwortlichen noch das letzte bisschen Sachverstand, den Rest, den sie nun brauchten, um einen Weg aus der Krise zu finden. Statt dessen bestehen sie mit kindischem Trotz auf der Bewahrung des Status quo.

Damit sich das Hamsterrad immer fort dreht, die Griechen strampeln können, um auf der Stelle zu treten, werden zur Tilgung aufgelaufener Schulden abermals Milliarden überweisen - Milliarden, die dann wiederum als Schulden zu Buche schlagen, abzulösen mit weiteren Krediten. Der Irrsinn des Verfahrens liegt auf der Hand. Menschen, die noch Rechnen können, weltweit anerkannte Ökonomen wie der Amerikaner Paul Krugman oder der Münchner Hans-Werner Sinn, haben oft genug erklärt, worauf das hinausläuft: auf eine Insolvenzverschleppung, von der nur jene profitieren, die die Krise brauchen, um mit deren Management ihre politische Existenz zu rechtfertigen.

Um die Wirtschaft geht es bei alle dem schon lange nicht mehr, sondern um eine politische Ökonomie, wie sie der deutschen Bundeskanzlerin im „marxistisch-leninistischen Grundlagenstudium“ an der Leipziger Karl-Marx-Universität beigebracht wurde.

Mit einem Schuldenschnitt, der dem eitlen Treiben ein Ende machen würde, müssten die Eurokraten de jure eingestehen, was de facto längst geschehen ist: das Scheitern einer Gemeinschaftswährung, deren Erfindung sich von Anfang der Hybris und den Großmachtträumen politischer Aufschneider verdankte. Ihr Hochmut hat sie in eine Sackgasse geführt, in der sie ihre Angst vor dem eigenen Fall jetzt mit der anmaßenden Erniedrigung der Schwächsten zu betäuben versuchen.

Man muss sich die Reformen, die die „Geldgeber“, Schuldenbarone durchweg, von den Griechen verlangen, nur einmal genauer anschauen, das eine oder andere Detail herausgreifen, um zu sehen, was die Stunde geschlagen hat. So sollen etwa die Geschäfte zukünftig auch an den Sonntagen öffnen. Prima, werden die Arbeitslosen und die Rentner sagen, dann haben wir endlich genügend Zeit, in den Länden zu bestaunen, was wir uns nicht leisten können. Politiker, die einem Land, das bereits am Boden liegt, solchen Blödsinn verordnen, sind selbst nicht mehr ganz bei Trost; sie parlieren in der Sprache des Unmenschen. Sie haben ihren Kredit verspielt. Die Festungen, in denen sie sich verschanzen, stehen auf tönernen Füßen.

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Leserpost

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Paul H. Ertl / 17.07.2015

Die Ausdrucksweise ist in der Tat unangebracht, was aber nichts daran ändert, daß Griechenland im allgemeinen und diese Regierung im speziellen nervt (und natürlich unangemessen viel Geld kostet). Übringens hat niemand verlangt, daß die Geschäfte in Griechenland sonntags öffen MÜSSEN, sondern nur, daß sie das DÜRFEN, so wie fast überall auf der Welt, mit der Ausnahme - natürlich - des Sozenschlandes.

Petra Horn / 16.07.2015

Zurückhaltend ausgedrückt bin ich der Meinung, daß Tsipras und vorher Varoufakis und deren Vorgänger die EU-Länder und alle EU-“Institutionen” am Ring über das Brüsseler Parkett ziehen. Je schneller damit Schluß ist, umso besser. Ansonsten empfehle ich zur empfindsamen Anteilnahme am griechischen Desaster das Buch “Greece and the Greeks of the Present Day” des Schriftstellers Edmond About, erschienen im Jahr ‎1855 und absolut aktuell im Hinblick auf die Darstelltung der griechischen Mentalität. Zu finden ist das Buch digitalisiert bei books google de. Es gibt für die Griechen und die Euro- und EU-Mitglieder nur den einen Weg: Eigene Währung für Griechenland! Dadurch wird Griechenland zwar kein funktionierender Staat in unserem Sinn, aber das wollen die Griechen ja offenbar auch gar nicht. Die Geschichte Europas hat einige Beispiele von zusammengeschusterten Reichen, die alle mehr oder weniger geräuschlos auseinanderbrachen. Die EU sollte diesem Beispiel folgen, wenn sie denn existieren würde. Doch sie ist nur ein Potemkisches Dorf, zusammengebastelt von protzigen selbst ernannten “Eliten”, die sich bis zum letzten an ihre dicken Pfründe klammern werden. Tritt Deutschland aus der EU oder auch nur aus dem Euro aus, bricht das ganze Kartenhaus zusammen. Deutschland und seine Politikerkaste hält man unter der Nazi-Knute, aber Griechenland wird über kurz oder lang den Weg vorangehen.

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