Hochmut kommt vor dem Fall, sagt das Sprichwort. Und da nur sprichwörtlich wird, was sich aus der Erfahrung ergibt, wofür das Leben den Beweis angetreten hat, besteht die Hoffnung, dass wir die Hoffart, den Dünkel und die anmaßende Dummheit unserer politischen Kaste so lange nicht mehr werden ertragen müssen. Was sich die deutschen Mandatsträger des Dilettantismus bei der Disziplinierung der Griechen leisten, ist schlichtweg unanständig, Ausdruck einer Flegelhaftigkeit, in der sich jene gefallen, die sonst nichts auf der Kirsche haben.
Wer wie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU Thomas Strobl dieser Tage erklärt, “der Grieche hat jetzt lang genug genervt“, hat den Anspruch verwirkt, noch halbwegs ernst genommen zu werden. So wie er sprachen die deutschen Kriegshelden des zwanzigsten Jahrhundert, wenn sie gegen „den Russen“ oder „den Franzosen“ rhetorisch zu Felde zogen. Wie um alles in der Welt kann man heute wieder in diesen Ton verfallen; wie denkt es in einem deutschen Politiker, der nichts dabei findet, derart präpotent aufzutrumpfen.
Hat der Mann (Jahrgang 1960) den Geschichtsunterricht verschlafen, hat er unter der Bank Monopoly gespielt, während der Lehrer vorn über den Missbrauch der Sprache zur Machtausübung dozierte? Weiß der Christdemokrat Strobl nicht, dass sein Ausdrucksweise der Diktion der Herrenmenschen entspricht, wie sie Dolf Sternberger zusammen mit Gerhard Storz und Wilhelm E. Süskind in seinem „Wörterbuch des Unmenschen“ analysierte, damals 1957, nachdem der deutsche Hochmut Europa in Schutt und Asche gelegt hatte?
Vermutlich! Das wollen wir jedenfalls zu seinen Gunsten und unserer Beruhigung glauben. Bewahrt uns doch die Annahme, dass sich die Pöbelei der banaler Dummheit, mangelnder Bildung und schlechter Erziehung verdankt, wenigstens davor, Schlimmeres zu vermuten. Tatsächlich poltern die Hohepriester des Euro - nicht nur die deutschen - in der Auseinandersetzung mit den Griechen wohl vor allem deshalb so laut, weil ihnen nichts einfällt, womit sie sich sonst aus dem selbstangerichteten Schlamassel ziehen könnten.
Obwohl sie in Berlin wie in Brüssel selbst auf Schuldenbergen sitzen, die so hoch sind, dass die Wirklichkeit von oben herunter nicht mehr wahrzunehmen ist, maßregeln sie „den Griechen“ schulmeisterlich. Dass es Gründe über Gründe für eine ernsthafte Kritik und harte Einschränkungen gibt, steht dabei außer Frage. Auch die Politiker in Athen sind allesamt keine Waisenknaben und keine frommen Betschwestern. Sie haben ihr Land höchstselbst in den Bankrott gewirtschaftet, freilich unter tätiger Mithilfe derer, die ihnen nun die Leviten lesen und den Brotkorb höher hängen wollen.
Alle, von Kohl bis zu Merkel, von Schröder bis zu Schulz, haben sie Schmiere gestanden, während die Griechen wie andere mehr für ihren eigenen Wohlstand in fremde Taschen griffen. Hauptsache, der Euro-Raum wuchs weiter und weiter. Der Traum von europäischen Großreich raubt den Verantwortlichen noch das letzte bisschen Sachverstand, den Rest, den sie nun brauchten, um einen Weg aus der Krise zu finden. Statt dessen bestehen sie mit kindischem Trotz auf der Bewahrung des Status quo.
Damit sich das Hamsterrad immer fort dreht, die Griechen strampeln können, um auf der Stelle zu treten, werden zur Tilgung aufgelaufener Schulden abermals Milliarden überweisen - Milliarden, die dann wiederum als Schulden zu Buche schlagen, abzulösen mit weiteren Krediten. Der Irrsinn des Verfahrens liegt auf der Hand. Menschen, die noch Rechnen können, weltweit anerkannte Ökonomen wie der Amerikaner Paul Krugman oder der Münchner Hans-Werner Sinn, haben oft genug erklärt, worauf das hinausläuft: auf eine Insolvenzverschleppung, von der nur jene profitieren, die die Krise brauchen, um mit deren Management ihre politische Existenz zu rechtfertigen.
Um die Wirtschaft geht es bei alle dem schon lange nicht mehr, sondern um eine politische Ökonomie, wie sie der deutschen Bundeskanzlerin im „marxistisch-leninistischen Grundlagenstudium“ an der Leipziger Karl-Marx-Universität beigebracht wurde.
Mit einem Schuldenschnitt, der dem eitlen Treiben ein Ende machen würde, müssten die Eurokraten de jure eingestehen, was de facto längst geschehen ist: das Scheitern einer Gemeinschaftswährung, deren Erfindung sich von Anfang der Hybris und den Großmachtträumen politischer Aufschneider verdankte. Ihr Hochmut hat sie in eine Sackgasse geführt, in der sie ihre Angst vor dem eigenen Fall jetzt mit der anmaßenden Erniedrigung der Schwächsten zu betäuben versuchen.
Man muss sich die Reformen, die die „Geldgeber“, Schuldenbarone durchweg, von den Griechen verlangen, nur einmal genauer anschauen, das eine oder andere Detail herausgreifen, um zu sehen, was die Stunde geschlagen hat. So sollen etwa die Geschäfte zukünftig auch an den Sonntagen öffnen. Prima, werden die Arbeitslosen und die Rentner sagen, dann haben wir endlich genügend Zeit, in den Länden zu bestaunen, was wir uns nicht leisten können. Politiker, die einem Land, das bereits am Boden liegt, solchen Blödsinn verordnen, sind selbst nicht mehr ganz bei Trost; sie parlieren in der Sprache des Unmenschen. Sie haben ihren Kredit verspielt. Die Festungen, in denen sie sich verschanzen, stehen auf tönernen Füßen.