Morgen beginnt die Leipziger Buchmesse mit ihrem Preis- und Lesezirkus. Und wie es auf Messen so üblich ist, wird man zahlreiche Autoren zu Gesicht bekommen, aber nur wenige Schriftsteller. Wenn man beruflich nichts damit zu tun hat, bleibt man am besten zuhause und liest ein gutes Buch. Hier sind gleich vier:
Susanne Schädlich, Immer wieder Dezember. Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich, Droemer, München 2009
In der Flut de Neuerscheinungen zum Thema DDR und die Folgen, oder zwanzig Jahre danach, ist dieses Buch eines der spannendsten und aufschlussreichsten. Es erzählt die Geschichte der Tochter von Dissidenten. Und so geht es nicht plakativ um die Machenschaften der DDR-Obrigkeit, sondern um deren Folgen für ein Kind und dessen Familie. Es spricht zwar von den spektakulären Vorgängen, vom Rausschmiss der Eltern, dem Schriftsteller Hans Joachim Schädlich und der Lektorin Krista Maria Schädlich, und vom Bruder des Vaters, dem notorischen Spitzel, Hochstapler und Historiker Karl Heinz Schädlich, der sich vor einem Jahr erschossen hat. Es spricht aber auch davon, dass dieser Mann gleichzeitig „Lieblingsonkel“ war. Susanne Schädlich weiß von den Verletzungen des Kindes ohne Pathos zu berichten, dafür aber umso eindringlicher. Von der Ausreise auch als emotionalem Verlust, vom Zerfall der Familie auf dem schwierigen Weg von Ost nach West, und schließlich von der Identitätssuche der Heranwachsenden und der jungen Frau, die, westwärts, bis Kalifornien ziehen wird, um den Abstand zu finden, den sie für ihr Gleichgewicht benötigt. Kinostoff aus dem richtigen Leben.
Ana Novac, Die schönen Tage meiner Jugend, Schöffling & Co, Frankfurt am Main, 2009
Die Schriftstellerin stammt aus Siebenbürgen. Sie wurde als Jüdin im Jahr 1944 nach Auschwitz deportiert. Sie war 14 Jahre alt, und das Tagebuch, das sie schrieb, wurde zu einem der erschütterndsten literarischen Texte des Holocaust. Ana Novac machte danach eine kurze Karriere als Schriftstellerin im rumänischen Stalinismus, bis sie zum 1959 zum Objekt eines zeittypisch dämonischen Einschüchterungsverfahrens wurde. Sie verließ Rumänien. Heute lebt und schreibt sie in Paris. Das Tagebuch, das schon einmal auf Deutsch erschienen ist, 1967 bei Rowohlt, wurde jetzt von Schöffling & Co neu herausgegeben. Es ist zu hoffen, dass es die Aufmerksamkeit findet, die ihm nicht zuletzt auch literarisch zusteht.
György Dalos, Der Vorhang geht auf. Das Ende der Diktaturen in Osteuropa, C.H. Beck, München 2009-03-11
Das Buch des in Berlin lebenden Schriftstellers und ehemaligen Budapester Oppositionellen erinnert uns daran, dass 1989 nicht nur die Berliner Mauer fiel, sondern dass vielmehr die Teilung Europas in Demokratien und Diktaturen beendet wurde. Wer sich den historischen Horizont, der die deutsche Einheit erst möglich machte, vergegenwärtigen will, wird dieses Buch mit Gewinn lesen können.
Felicitas Hoppe, Sieben Schätze. Augsburger Vorlesungen, S. Fischer, Frankfurt am Main, 2009
In einer Zeit, in der alles zum Blog wird, und jeder, der die Wörter einigermaßen zum Scheppern zu bringen weiß, zum Blogger, ist es angezeigt, auf den Wert des Schreibens zurückzukommen, auf die uralte Betätigung, die darin besteht, die Wörter zum Klingen zu bringen. Der Essay von Felicitas Hoppe versteht dieses Unterfangen als Schatzsuche. Wie im Märchen. Denn Märchen erzählen, heißt nicht, Lügen verbreiten, wie man heutzutage allgemein anzunehmen scheint, sondern dem Wünschen folgen, als könnte es helfen. „Nur wer wünschen und davon erzählen kann, wie kompliziert das Wünschen in Wirklichkeit ist, ist von dieser Welt.“ So die Schriftstellerin.