Rainer Bonhorst / 30.03.2014 / 23:56 / 3 / Seite ausdrucken

Good Cop, Bad Cop

Schrieben wir das Jahr 1914, alles wäre einfacher. Wir würden mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen in den Krieg ziehen. Vier Jahre später wären wir ein paar Millionen weniger und die Ernüchterung würde heftig, wenn auch nicht von Dauer. Es braucht nur ein paar Spitzenpolitiker und ein paar Völker mit umnebeltem Gehirn, und aus einem eher bescheidenen Anlass taumelt man von einem Weltbrand in den nächsten.

Schrieben wir das Jahr 1938, wäre die Sache eine andere. Man würde mit einem Diktator verhandeln, dessen Expansionsgier man sträflich unterschätzt. Man würde ihm das anektierte Stück Land zähneknirschend überlassen, mit einem Vertrag in der Hand, der „peace for our time“ verspricht. Es braucht nur einen schwachen, zum appeasement bereiten Spitzenpolitiker, und sein „Vertragspartner“, ein rücksichtsloser Machtpolitiker, schnappt sich ein Stück Land nach dem anderen.

Die Amerikaner denken an 1938, wenn sie Wladimir Putins Expansionsdrang beobachten und vor einer folgenschweren Politik des appeasements warnen. Angela Merkel denkt an 1914 und versucht, die Konfrontation mit Putin nicht so weit zu treiben, dass man in etwas hinein taumelt, dessen Folgen man nicht absehen kann.

Beide Daten, 1914 und 1938, kann man als Pflöcke betrachten, zwischen denen wir uns heute bewegen.

Hitler hätte das deutsch sprechende Sudetenland wohl auch dann „heim ins Reich“ geholt, wenn es kein Münchener Abkommen gegeben hätte. Aber hätte man ihn durch härteres Auftreten davon abhalten können, in Polen „zurückzuschießen“? Es wäre zumindest einen Versuch wert gewesen. So wie man den Mann aber rückwirkend kennt, hätten weder Ochs noch Esel seinen Durchmarsch aufgehalten. Aber wer weiß das schon.

Putin ist kein Hitler. Die Krim ist kein Sudetenland. Allerdings begründet Putin die Einverleibung der Krim nach Russland mit vergleichbaren sprachlichen und ethnischen Argumenten. Die Unterschiede sind aber unübersehbar. Der schönste: Die Zugehörigkeit des Sudetenlandes zur Tschechoslowakei war nicht das Ergebnis einer Sektlaune. Die Krim hingegen wurde in fröhlicher Runde von Russland an die Ukraine weitergereicht, was kein Problem war, weil es damals keine Rolle spielte, wem was gehörte. Es gehörte ja sowieso alles Moskau, beziehungsweise Chruschtschow.

Jetzt spielt es eine Rolle, für Putin sogar eine große. Die Vorstellung, dass seine Schwarzmeerflotte bei einem westlich orientierten Land um Gastrecht bitten müsste, war für ihn unakzeptabel. Wenn man sich im Westen angesichts der Proteste auf dem Majdan nicht ein bisschen eingenebelt hätte, wäre man von Putins Landnahme nicht überrascht worden.

In Wahrheit wurde man wohl auch nicht sehr überrascht. Jeder weiß: Die Krim ist futsch und man spielt helle Empörung, also ein Spiel, das zum gängigen politischen Repertoire gehört. Allerdings spielt man das Spiel mit verteilten Rollen.

Angela Merkel spielt vorsichtig, weil sie an 1914 denkt, Barack Obama spielt härter, weil er an 1938 denkt. Wer macht es besser, Merkel oder Obama? Eigentlich treten sie, ohne es wirklich geplant zu haben, als ein Team auf, nämlich als good cop and bad cop. Das Spiel wird medial und telefonisch ausgetragen, vor allem zwischen Angela Merkel und Wladimir Putin. Jetzt haben aber auch Putin und Obama telefoniert, womöglich in friedlicher Absicht. Wie ist es dazu gekommen? War es Merkels guter Zuspruch? War es Obamas härtere Nummer?

Darüber kann man herrlich streiten. Hat Willy Brandts Ostpolitik das Ende des Eisernen Vorhangs herbeigeführt? Oder war es Ronald Reagans knochenharter Krieg der Sterne? Die einfachste Antwort, damals wie heute: Beides hat mitgewirkt. Der gute Cop hat seinen Platz und der böse auch.

Auch mit Blick auf die Zukunft. Der böse Cop macht klar, dass weitere Gelüste, die Putin verspüren könnte, bestraft werden. Sicher nicht militärisch, wohl aber wirtschaftlich. Und in dieser Waffengattung ist der Westen hundertmal stärker als Russland. Und die gute Polizistin hält weiter die Tür offen für den Fall, dass Putin die Rückkehr in die gediegene Gesellschaft wünscht.

Dass derweil ein paar deutsche Wirtschaftsführer beim Kreml-Chef antichambrieren, gehört in die Kategorie „Geld stinkt nicht“. Das Prinzip, dass man eine weitere wirtschaftliche Zusammenarbeit wünscht, ist richtig. Das Timing ist angstgesteuert und kein freundlicher Akt gegenüber dem bad cop Obama, dessen Rolle ja ihren Zweck hat.

Die lautstarken Kampfhähne in Amerika, die Obama unter Druck setzen, überziehen, weil sie so tun, als schrieben wir tatsächlich das Jahr 1938. Die Friedensengel in Deutschland, die Putin gar nicht entgegentreten wollen, untertreiben aus Angst vor einem neuen 1914. Aber wir schreiben 2014. Und das heißt: Neues Spiel und hoffentlich neues Glück.

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Leserpost

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Pierre Westenbold / 31.03.2014

Hauptsache die beiden bewahren ihren cool Kopp.

Dr. Magnus Weber / 31.03.2014

Treffende Beschreibung des Polittheaters und der Rollen Merkels und Obamas. Die 1914/38-Konstruktion wirkt aber doch etwas bemüht. Was wir beobachten sind die Beben der tektonischen Bewegung; Nato und Rußland handeln ihre Grenzen aus.

Rüdiger Bäcker / 31.03.2014

“Neues Spiel und hoffentlich neues Glück. ” Es ist die Attitüde eines schreibtischbasierten Wannabe, die mich hier massiv stört. Derzeit - und auch sonst nicht - werden keine Spiele gespielt. In der Ukraine und auf der Krim sind in den letzten Wochen echte Menschen gestorben. Einige davon mit vollem Pathos, andere aus Zufall. Aber keiner dieser Toten hat es verdient, als Figur in einem Spiel desavouiert zu werden. Aber da ist noch etwas, was mich grenzenlos stört: Es gibt profunde Gründe, warum der demokratisch legitimierte Präsident der Russischen Föderation handelt. Und der ganze Zynismus des Westens fällt bei dem Autor völlig hinten runter. Amerika ermordet mit Drohnen Zivilisten. Obama bedauert dies. Die NATO bombardiert unschuldige Zivilisten und spricht von Kollateralschäden. Die Toten von 9/11 sind Helden, die ermordeten Kinder von Beslan längst vergessenes Leid ferner Menschen. Rußland wird wie ein dummes Kind behandelt, auf das man im Westen nur mit Verachtung blickt. So konnte es nicht mehr weitergehen, denn spätestens seit Libyen und aktuell in Syrien belegt sich, dass der einpolige Westen dringend eines Antipoden bedurfte. Diese billigen herbeigeschriebenen Vergleiche von 1914 und 1938, bad Cop und not so bad Cop sind eben nur das: Billige Vergleiche. Man sucht nach einem Schema, das man kennt, weshalb man wieder beim Schema vom Kalten Krieg angelangt ist. Aber niemand wagt auszusprechen, was das wirklich bedeutet: Relativ fixer Übergang zu einem heißen Krieg, in welchem die russische Panzerwalze über Polen und das Baltikum herfällt und die NATO zwingt, binnen 48 Stunden taktische Nuklearwaffen einzusetzen. Anders wird die NATO nämlich nicht mehr in der Lage sein, sich zu verteidigen. Für Polen und das Baltikum wäre es das Ende. Wie froh sie waren, Mitglied der NATO zu sein. Es wäre übrigens dasselbe Ende, welches die USA Deutschland zugedacht hatte, wären “damals” die Russen gekommen. Warum hat man die Polen wohl in die NATO aufgenommen, gehörten sie doch ebenfalls nie wirklich zum Westen? Sie sind nur Kanonenfutter. Zeitschinder. Ist das ein Spiel? All diese Lügen der westlichen Nomenklatura, die sich Tag für Tag in den Medien wiederfinden, fallen nun wie ein Kartenhaus aus Papiertaschentüchern in sich zusammen. Aber ein Spiel ist es nicht. Für uns Alle geht es jetzt um Alles!

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