Volker Seitz / 10.11.2023 / 12:00 / Foto: Seitz / 15 / Seite ausdrucken

Ein Friedensnobelpreisträger als Präsident des Kongo?

Der Frauenarzt und Friedensnobelpreisträger Dr. med. Denis Mukwege ist ein möglicher Kandidat für die Präsidentschaftswahlen in seinem Land im Dezember 2023. Besteht Grund zur Hoffnung für die geschundene „Demokratische Republik“ Kongo?

Die sexuelle Gewalt ist in der Demokratischen Republik Kongo nicht nur bei militärischen Konflikten allgegenwärtig. Sie ist die schlimmste denkbare Form der Demütigung. Vor allem Frauen waren die Leidtragenden der Bürgerkriege im Kongo seit 1996. Dort wurde von allen Kriegsparteien systematisch sexuelle Grausamkeit als Kriegswaffe eingesetzt. Die Zahl der misshandelten Frauen, insbesondere in der Provinz Nordkivu, kennt niemand. „Sicher, es stimmt, dass Männer Frauen im Kongo schon lange vor dem Krieg als minderwertige Geschöpfe behandelten, denen es verboten war, markttaugliche Gewächse wie etwa Kaffee- oder Baumwollpflanzen anzubauen – verboten sogar, nahrhafte Speisen wie Eier oder Hühnerfleisch zu essen.“ (Quelle Ann Jones, PhD, Historikerin und Literaturwissenschaftlerin, Emergency Gender Advisor der UNO Kongo: Blätter für deutsche und internationale Politik Kongo: Krieg gegen Frauen, März 2009, Seite 100–108)

Dr. med. Denis Mukwege (geboren am 1. März 1955 in Bukavu im damaligen Belgisch-Kongo) ist ein kongolesischer Gynäkologe, der seit 1999 über 50.000 Mädchen und Frauen operiert hat. Er hat in Burundi und Frankreich studiert. Er weist unermüdlich auf die Gräuel seiner Heimat hin. In einer Rede vor den Vereinten Nationen in New York rief Mukwege 2012 dazu auf, sexualisierte Gewalt als Kriegshandlung zu verurteilen und Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht zu stellen. Im Kongo machte er sich wegen seiner deutlichen Worte Feinde. Nach der Rede in New York wurde sein Mitarbeiter Joseph Bizimana ermordet. Dr. Mukwege ist Gründer und Chirurg des Panzi-Krankenhauses in seiner Heimatstadt Bukavu im östlichen Kongo. In dem Krankenhaus arbeiten 12 Ärzte und 30 Schwestern. Mukwege gilt als Spezialist für die Behandlung von Verletzungen durch gezielte Unterleibsschädigungen. Er hat das Problem seines Landes international bekannt gemacht. 2012 überlebte er einen Mordanschlag.

An der grundsätzlichen Situation der Frauen hat sich seit Gründung seines Krankenhauses 1999 wenig geändert. Die brutale Gewalt gegen Frauen wird in weiten Teilen der Gesellschaft des Kongos als normal angesehen, denn auch Regierungstruppen und Polizisten glauben, dass sie über dem Gesetz stehen. Die UNO bezeichnete den Kongo als das gefährlichste Land für Frauen. Kulturelle Faktoren (Gewalt gegen Frauen in der Familie), Korruption und politische Einflussnahme auf die Justiz, verhindern Verurteilungen wegen sexueller Gewalt. Viele Frauen trauen sich deshalb nicht, die Täter anzuzeigen. Sie haben kein Vertrauen in die Behörden. 

Reformen – eine Herkulesaufgabe

Mukwege wurde mit dem Clinton Global Citizen Award und dem Menschenrechtspreis der Vereinten Nationen ausgezeichnet. Des Weiteren erhielt er den Olof-Palme-Preis (2008), den König-Baudouin-Preis für Entwicklung in Afrika (2011), den Deutschen Medienpreis (2012) und den Sacharow-Preis für Geistige Freiheit (2014). 2013 erhielt er für seine Verdienste um die Frauen, die sexuelle Kriegsgewalt überlebt haben, und den Mut, die Verantwortlichen zu benennen, den „Alternativen Nobelpreis“. 2018 wurde Mukweges Einsatz für die Opfer sexualisierter Gewalt mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt.

Dr. Mukwege ist ein möglicher Kandidat für die Präsidentschaftswahlen in seinem Land im Dezember 2023. Er hat die Bevölkerung aufgefordert, sich zu mobilisieren. Er sagte: „Wenn ihr bereit seid, bin ich auch bereit (für die Kandidatur).“ Warum dieser populäre, unabhängige und kritische Arzt den Kampf gegen politische Machtstrukturen aufnehmen will, wird möglicherweise aus der treffenden Zusammenfassung von fehlgeleiteten afrikanischen Präsidenten deutlich. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Dr. Mukwege diesen Zornesausbruch über afrikanische Autokraten kennt (die Worte zur Politikkultur stammen von dem ehemaligen Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs von Kenia, Willy Mutunga):

„Sein Gesicht ist auf den Geldscheinen, sein Foto hängt in jedem Büro, seine Minister tragen kleine Goldclips mit seinem Foto an den Revers ihrer maßgeschneiderten gestreiften Anzüge. Straßen, Fußballstadien, Krankenhäuser und Universitäten tragen seinen Namen. Er trägt einen traditionellen Stock aus Elfenbein mit Gravierungen aus Silber und einen geschnitzten Spazierstock oder eine Fliegenklatsche oder sitzt auf einem für traditionelle Chiefs reservierten Hocker. Er besteht darauf, Doktor genannt zu werden oder Großer Elefant oder Bauer Nummer Eins oder Netter Alter Mann oder Nationales Wunder oder der Populärste Präsident in der Welt. Jede seiner Stellungnahmen erscheint auf der ersten Seite der Zeitungen. Er ersetzt Minister ohne Vorwarnung und paralysiert so Politikentscheidungen, während er Anwärtern auf seinen Thron den Boden entzieht... Er fälscht Wahlen. Er entmachtet die Justiz, unterdrückt die freie Presse und unterminiert akademische Freiheit. Er unterstützt die Kirche. Bemerkungen des „Großen Mannes“ werden Gesetz. Er verlangt donnernden Applaus von Parlamentariern, wenn er weitreichende Verfassungsänderungen in Auftrag gibt. Er segnet seine Heimatregion mit Autobahnen, Schulen, Krankenhäusern, Bewässerungsprogrammen und einem Präsidentenpalast. Er bringt Angehörige seiner Ethnie im öffentlichen Dienst unter… Seine Gegner werden von der Jugendbrigade der Regierungspartei verfolgt, ins Gefängnis gesteckt oder ins Exil getrieben, sie werden erniedrigt, gefoltert oder getötet.“ (Zitiert in „Grenzüberschreitungen“ von Helmut Orbon, Selbstverlag, 2022)

Sollte sich Dr. Mukwege zu einer Kandidatur entschließen und sogar gewählt werden, besteht große Hoffnung, dass er sich wirklich dem Rechtsstaat und der Gewaltenteilung verpflichtet fühlt und ein echter Wechsel in dem geschundenen Land einkehrt. Dies wäre ein sehr positives Ereignis für die ganze Region. Es bleiben die größten Probleme wie der Kampf gegen die Armut, die korrupten Praktiken der Willkür und Bestechlichkeit im täglichen Leben und die Arbeitslosigkeit. Mit glaubwürdigem und kompetentem Personal wird er dann um Vertrauen werben müssen.

 

Volker Seitz ist Botschafter a.D. und Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“ dtv 11. Auflage, 2021

Foto: Seitz

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Werner Arning / 10.11.2023

Gute Leute werden leider häufig ermordet. Leute, die es mit moralischen Ansprüchen ernst nehmen, gar Dinge zum Guten wandeln wollen, leben und lebten immer schon gefährlich. Wer sich nicht korrumpieren lässt, ist bestimmten (oft mächtigen) Menschen ein Dorn im Auge. Deshalb müssen die Störenfriede dann weg. Man möchte Dr. Mukwege alles Gute wünschen.

Wolfgang Richter / 10.11.2023

“Sicher, es stimmt, dass Männer Frauen im Kongo schon lange vor dem Krieg als minderwertige Geschöpfe behandelten,” - sicher nicht nur im Kongo. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist die Massenzuwanderung von nahezu ausschließlich Männern im wehrfähigen Alter von diesem Kontinent mindestens ein “fragwürdiges” Experiment, dies vor allem unter dem Gesichtspunkt, daß meiner Beogachtung nach vor allem Frauen in der “Politik”  diese Zuwanderung bejubeln und forcieren. Sind die nur dumm, oder voller Verachtung für ihre Geschlechtsgenossinnen hier, vor allem die, die es mangels Quote nicht hinter den staatlichen Personenschutz schaffen? Diese Zuwanderer machen sich noch nicht mal die Mühe, den Vertrag des sozialen Miteinanders täglich neu auszuhandeln, die handeln.

Wolfgang Kolb / 10.11.2023

Lieber Herr Seitz, Vielen Dank fuer diesen informativen Artikel! Bitte halten Sie uns auf dem Laufenden, wie sich die Wahl im Kongo entwickelt.

R. Bunkus / 10.11.2023

Ein Dr. Mukwege macht noch keinen Sommer. Wenn nicht der kleine Mann bereit ist, die Rechte seines Nächsten zu anzuerkennen, ihn zu achten und unter seinesgleichen diese Auffassung auch zu verteidigen, dann hilft kein noch so freiheitlich-demokratischer Präsident.

M.Michel-Feierabend / 10.11.2023

Und wenn sich auch nur Weniges zum Besseren für ein par Tausend Menschen für einige Zeit ändern sollte, so ist das doch nicht nichts. Vielen Dank, Herr Seitz.

Thomas Hechinger / 10.11.2023

Ach, Herr Seitz, wie gerne möchte man mit Ihnen hoffen! Andere Kommentatoren haben schon auf die grundsätzlichen Dispositionen von Bevölkerung und Kultur hingewiesen, die einer Besserung der Lage entgegenstehen. Herr Pflanz hat Robert Mugabe angeführt, der mit vielen Lorbeeren bedacht wurde und als schäbiger Dieb und brutaler Räuber an der Spitze des Staates endete. Herrn Gottschalk möchte man wegen seiner zynischen Kobalt-Bemerkung zurechtweisen. Aber man überlegt es sich nochmal, denn vermutlich hat er recht. Und mir fällt der äthiopische Präsident und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed ein. Was waren für Hoffnungen auf eine friedvolle Entwicklung Äthiopiens und seiner Völker mit ihm verbunden! Und nun? Und ist der Spruch auch noch so abgeschmackt, so trifft er doch zu: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Und so hoffen wir mit Ihnen, Herr Seitz!

Reinhard Schröter / 10.11.2023

Ob nun ein Dr. Mukwege den Chef im Kongo macht oder nicht, es wird sich nichts, aber auch gar nichts änderen. Die Kongolesen könnten auf der Grund natürlichen Gegebenheiten und ihren Bodenschätzen, ein Leben in Wohlstand führen, wenn sie denn einen Wohlstand , wie ihn sich die Europäer über Jahrhunderte und Generationen hinweg, múhselug erarbeitet haben,, erstrebenswert hielten. Wir gehen hier wie selbverständlich davon aus, dass das, was wir für gut und richtig finden, universell und für alle gültig wäre. Wie es weltweit aussieht, es es das nun gerade nicht. Wenn den Westen und auch die Osteuropäer ein geradezu protestantischer Arbeitsethos geprägt hat, hat er dies in anderen Teilen der Welt noch lange nicht, wenn dieser sogar nicht gleich als kulturfremd empfunden und abgeleht wird. Der einzelne mag das für sich so oder so beurteilen . Eine allgemeine Beurteilung steht uns jedoch nicht zu. Auch die Menschen in den anderen Teilen der Welt haben das Recht und die Freiheit ein Leben nach ihren Vorstellen zu führen und auch mit allen daraus resultierenden Konsequenzen , die nur sie selber und nicht andere zu tragen haben. Die Europäer haben über Jahrhunderte daran gearbeitet, für sich Lebensumstände zu schaffen, die sie für sich fúr erstrebenswert hielten. Auf Hilfe aus Afrika haben sie dabei nicht gewartet. Es kam auch keine und sie war weder notwendig noch gewünscht.

Rainer Pflanz / 10.11.2023

Dann drücken wir ihm mal die Daumen. Allerdings startete Robert Mugabe vor vielen, vielen Jahren auch mal mit viel Vorschusslorbeeren m Simbabwe dann nahezu total zu ruinieren.

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