Volker Seitz / 11.02.2024 / 10:00 / Foto: Imago / 6 / Seite ausdrucken

Der Kartograf des Vergessens

Der weiße Afrikaner Mia Couto wurde zum wichtigsten Chronisten Mosambiks. Sein neuer Roman beschreibt die Wirren vor der Unabhängigkeit und die Widersprüche in der Gegenwart.

Der mosambikanische Schriftsteller Mia Couto (oben im Bild) ist einer der großen Erzähler der lusophonen [portugiesischsprachigen, Anm. d. Red.] Welt. Er ist in regelmäßigen Abständen als Anwärter auf den Literatur-Nobelpreis im Gespräch.
 
Sein letzter, mitreißend geschriebener Roman „Der Kartograf des Vergessens“ dreht sich um das Erinnern und Vergessen des Dichters Diogo Santiago, der 2019 nach jahrelanger Abwesenheit in seine Geburtsstadt Beira zurückkehrt und dort Liana Campos begegnet. Beide sind durch ihre Vergangenheit und ihre Väter miteinander verbunden. Lianas Vater, der damalige Geheimdienst-(PIDE)-Chef in Beira, hatte in den 70er Jahren Diogos Vater mitten im Kolonialkrieg in Mosambik verhaftet.  
  
Liana, in einer Pflegefamilie aufgewachsen, sucht ihre Mutter, und Diogo hat seine Vergangenheit mittels Antidepressiva vergessen. Liana konfrontiert nun Diogo mit alten Unterlagen von 1973 mit der Aufforderung, „mit den Schatten zu sprechen“, sein Vergessen zu überwinden und ihrer beider Geschichte zu schreiben. Liana forscht nach ihrer Mutter Almalinda, die mit ihrem schwarzen Geliebten zusammengekettet in den Fluss sprang, aber gerettet wurde und verschwand.

Ein sprachliches Meisterwerk

Mia Couto stellt in seiner Vorbemerkung fest: „Manche mussten vergessen können, was geschah, um Zukunft zu ermöglichen.“ Weiter schreibt er: „Diese fiktive Erzählung ist durch reale Personen und Ereignisse inspiriert“.
 
Liana übergibt Diogo einen Karton mit Tagebucheinträgen, Vernehmungsprotokollen der PIDE, amtlichen Schreiben, privaten Briefen und Zeugenaussagen. Damit kann der Dichter die schmerzhaften Ereignisse im Unabhängigkeitskrieg als „Kartograf des Vergessens“ rekonstruieren. Er gibt den Sprachgebrauch und die moralischen Positionen der Kolonialherren und Rebellen ungeschönt wieder. Erfreulicherweise verzichtet der Verlag auf eine „Einordnung“ für den Leser.
 
In der Gegenwart beobachtet der Ich-Erzähler Diogo Santiago mit bitterer Ironie in seinem Hotel Teilnehmer eines Seminars einer Nicht-Regierungs-Organisation, die sich als „Spender“ bezeichnen. „Wieder einmal wird über das Elend der Bevölkerung in den luxuriösesten Hotels der Stadt diskutiert.“ (S. 45) 
 
Wie in seinen früheren Romanen wurde der weiße Afrikaner Mia Couto (eigentlich Antonio Emilio Leite Couto), der während des Bürgerkrieges in Mosambik geblieben ist, zum wichtigsten Chronisten Mosambiks. Er lebt in Maputo und ist auch als Biologe in der Umweltforschung tätig.
 
Mia Couto sagt: „Wir sind so viel gleichzeitig. Ich bin ein Afrikaner, der aus Europa kommt. Ich bin ein Schriftsteller in einer Region, in der das Mündliche dominiert." Er beschreibt in diesem Buch die Wirren vor der Unabhängigkeit und die Widersprüche in der Gegenwart. Das Buch ist – mit seiner bildhaften afrikanischen Gedankenwelt – ein sprachliches Meisterwerk.

 

Mia Couto: Der Kartograf des Vergessens, 2023, Unionsverlag. Hier bestellbar.

 

Volker Seitz, Botschafter a.D. und Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“, dtv, 11. Auflage (2021).

Foto: Imago

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Michael Guhlmann / 11.02.2024

@ die Herren Szabó und Dietze:  Bitte mal keine Buchtips mehr! Ich habe noch so viel ungelesene Bücher an der Wand und bin nicht mehr der Jüngste. Wann soll ich das denn alles lesen? Trotzdem herzlichen Dank für Johanna Schopenhauer!

Wolfgang Kolb / 11.02.2024

Lieber Herr Seitz, Vielen Dank fuer Ihren Beitrag! Ich hoffe, es gibt irgendwann einmal eine Uebersicht der empfohlenen Literatur! Schade, dass hier manche im Forum nicht verstehen, was Rassistmus ist und was nicht. Kenne Sie das Buch von Anatole Minka: Ein Schwarzafrikaner aus Oldenburg Bitte weiter so und lassen Sie sich von vermeintlich moralisch besseren Menschen nicht beirren!

Thomas Szabó / 11.02.2024

@ Rudolf Dietze: Danke für den genialen Buchtipp. Gekauft! Sie hatte ihrem berühmten Sohn ihren Schnabel, aber nicht ihre Schönheit vererbt. Dieser Teil der Erbschaft ging an die ebenfalls begabte Adele, deren Scherenschnitte mich an die von Philipp Otto Runge erinnern.

Rudolf Dietze / 11.02.2024

Hallo Herr Szabo, ich lese gerade Johanna Schopenhauer, der Mutter von dem berühmten Sohn. Sie schreibt in ihren Lebenserinnerung aber so wie ihr der Schnabel gewachsen ist, Es ist eine Freude. Sie in Danzig geboren, später in Weimar, Zeitgenossin Goethes und anderer erlauchter Häupter, lässt ihre Kindheit und Jugend als Gemälde neu entstehen. Da ist die Rede von den polnischen Leibeigenen und den Starosten, den Engländern, den Russen und den Juden. Sie teilt Bewunderung und ängstliche Scheu, beschreibt deren Bekleidung und deren jeweilige Art. Das Kapitel “Die Schymkis” “Ernsthaft dem zuzusehen ist ebenso unmöglich, als nicht dabei an ein paar Orang-Utahs zu denken.” So locker und flockig liest sich das ganze Kapitel. Diese Art von Vergleichen die auch einigen Respekt enthalten, wird uns ausgetrieben. Abgesehen davon, das um 1800 es relativ modern zu geht und man Orang-Uthas kennt. Dieses Buch “Im Wechsel der Zeiten im Gedränge der Welt” beinhaltet viele aha Erlebnisse. Mein Gott was sind wir empfindlich geworden!

Thomas Szabó / 11.02.2024

Ich bin ein Rassist und das ist gut so! Ich liebe die vornehmen, pferdegesichtigen, rotblonden, kasbleichen Engländer, die olivenölglänzenden Italiener mit ihren Spaghetti-Frisuren, die weißgoldblonden, azurblauäugigen norwegischen Arier, die ebenholztiefschwarzglänzenden Negerlein mit ihren elfenbeinblitzendweißen Zähnen die wie Scheinwerfer aus den schwarzen Löchern ihrer Antlitze strahlen, die zierlichen jadegelblichen Asiaten mit ihren fürnehmen minimalistischen Geschlechtsteilchen, die saftigen, prallen Araberhengste mit ihrer naiven Dummheit der Marke Strunz, die blauen Bewohner des Planeten Pandora im Sonnensystem Kitsch…

Thomas Szabó / 11.02.2024

Der engagierte zeitgenössische Antirassist würde schon beim Wort “weiß” oder spätestens bei “weißer Afrikaner” mit dem Lesen aufhören. Antirassist bedeutet sinngemäß “gegen die weiße Rasse”. Dem Herrn sei gedankt bin ich ein Rassist. Ich liebe Rassen: Weiße, Gelbe, Schwarze, Braune, Blaue, Regenbogenfarbene. Der Herr im Himmel, der all diese Rassen schuf, war ein Rassist. Wenn Er ein Antirassist wäre, dann hätte Er nur eine bräunliche Einheitsrasse geschaffen, wie sie den links-grün-woken One World - One Race - Idioten vorschwebt. Gott sei gedankt ist Gott ein Rassist und das ist gut so!

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