SPD und Grüne fordern die doppelte Staatsbürgerschaft. Die Union hält dagegen. Der Wahlkampf hat ein neues Thema – denn es geht in Wahrheit um alle Wahlkämpfe
Bisher sah der Bundestagwahlkampf so aus: Steinbrück planscht in Fettnäppchen, die FDP japst ums Überleben, die Grünen flirten mit der Arroganz und Merkel regiert einfach weiter. Doch nun kommt plötzlich ein neues Thema auf die Marktplätze der Meinung: Die Opposition kündigt eine Initiative zur Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft an. Migrationsverbände machen lautstark Stimmung, im Innenausschuß des Bundestags werden schon Experten geladen und das SPD-regierte Hamburg startet eine eigene, massive Einbürgerungskampagne. Die CSU tobt - der Bundestags-Wahlkampf - er lebt.
Für Aufsehen sorgt der Hamburger Vorstoß, denn der dortige Bürgermeister Olaf Scholz ist zugleich Vize-Chef der Bundes-SPD. Er hat “die größte Einbürgerungsinitiative der Geschichte” ergriffen, schreibt jeden Monat einige Tausend Briefe an Hamburger mit Migrationshintergrund und fordert sie auf, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen und dies mit ihm im Rathaus zu feiern. Zehntausende neu-deutsche Hanseaten könnte sich Scholz so zu seinen Freunden machen.
Bei den Grünen verkündet man bereits die Einführung des Doppelpasses im Falle eines rot-grünen Wahlsiegs. Insbesondere Renate Künast macht Stimmung: “Doppelte Staatsangehörigkeiten sind Ausdruck der Vielfalt und Offenheit unserer Gesellschaft”. Bisher können in Deutschland geborene Migrantenkinder zwar die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten; sie müssen aber bis zum 23. Geburtstag die ausländische Staatsangehörigkeit abgelegt haben. “Der Optionszwang ist eine Zumutung und innere Zerreißprobe für die betroffenen jungen Menschen”, klagt Künast - obwohl sich 98 Prozent der Optionspflichtigen für Deutschland entscheiden.
Rot-grüne Politiker begründen ihren neuen Aktionismus blumig, “eine Gerechtigkeitslücke zu schließen”, “die Integration zu dynamisieren” oder “Kulturen einzubetten”. In Wahrheit haben SPD und Grüne ein heimliches Motiv: Sich eine neue Wählerschaft einzubürgern. Denn Studien zeigen, dass das Wahlverhalten von Migranten linke Parteien massiv begünstigen würde. Die SPD kommt insbesondere bei türkischstämmigen Migranten auf eine Zustimmung von bis zu 50 Prozent – innerhalb der klassischen, deutschen Wählerschaft kann sie von solchen Werten nur träumen. Auch die Grünen könnten auf neuen Wählerzuspruch hoffen. Der große Verlierer wäre die Union, die in bestimmten (vor allem muslimischen) Milieus sogar um die Fünf-Prozent-Hürde bangen müßte.
Über diese Tatsache schweigen zwar alle Parteien, in Wahrheit aber wird die Doppelpass-Debatte genau dadurch bestimmt. Sollte es nämlich dem linken Lager gelingen, einige Hunderttausend Neuwähler einzubürgern, dann verschöbe sich die politische Achse der Republik. Die meisten Wahlen in Deutschland werden mit knappen Ergebnissen zwischen den Lagern entschieden. Es geht also um die strategische Mehrheitsfähigkeit in der Republik. Genau darum wehrt sich die Union so entschieden, allen voran CSU-Generalsekretär Dobrindt: “Zur doppelten Staatsbürgerschaft sagen wir klar nein. Die deutsche Staatsbürgerschaft ist kein Ramschartikel, den man billig verscherbelt.”
Das Machtgerangel um die Staatsbürgerschaft verstellt den Blick auf die sachlichen Argumente gegen den Doppelpass. Denn bei genauem Hinsehen stärkt ein Doppelpass nicht die Integration, sondern befördert eine Buffet-Mentalität der Staatsangehörigkeit. Doppelpassler können sich immer genau das aus einem Land herauspicken, was ihnen gerade gefällt. Loyalitätskonflikte werden nicht gemindert sondern vertieft.
Die Menschenrechtlerin Seyran Ates warnt daher vor Illusionen: “Ich halte es für bedenklich, wenn sich eine Gesellschaft Bürger schafft, die diese Gesellschaft gar nicht wollen, die nur ein Interesse an den Privilegien haben, sich aber für den Rest nicht interessieren, weder für die Sprache noch die Kultur.” Ihre plausible Überlegung: Wer in Deutschland ist und bleiben will, der könne sich doch zu Land und Grundordnung auch klar bekennen – ohne Doppelpass-Hintertürchen.
Noch deutlicher wird Neuköllns SPD-Bürgermeister Heinz Buschkowsky. Er vermutet hinter dem Wunsch nach mehreren Pässen das Ziel, „hier oder dort Vorteile im Sozialsystem, bei der Krankheits- und Altersversorgung oder beim Aufenthaltsrecht abzugreifen“. Auch ermöglichten mehrere Staatsangehörigkeiten „das Abtauchen, die Flucht und den Schutz vor Bestrafung für Missetaten“.
Der Doppelpass mag die Wählerklientel einzelner Parteien fördern – die Integration fördert er eher nicht. Er steht nicht für ein Ja zu Deutschland, sondern für ein Jein. Komischerweise kann man weder bei den Grünen noch bei der SPD Mitglied anderer Parteien sein. Wer Genosse bei der SPD ist, der darf nicht Mitglied bei der FDP werden – aber Türke und Deutscher soll man gleichzeitig sein dürfen?
Zuerst erschienen auf Handelsblatt Online