Thilo Sarrazin / 30.08.2021 / 06:15 / Foto: Achgut.com / 112 / Seite ausdrucken

Die Torheit der Regierenden

Die Ereignisse in Afghanistan lassen den Betrachter sprachlos und frustriert zurück: Eine Billion Dollar Ausgaben für einen zwanzig Jahre währenden Militäreinsatz, elf Milliarden davon für die Bundeswehr. Ein afghanische Armee von 300.000 Mann, die mit westlichen Waffen ausgerüstet und von westlichen Militärberatern ausgebildet wurde – und alles – all die schönen Waffen und das ganze Land – fiel in nur 10 Tagen kampflos den Taliban in die Hände. Nein, hier wollte ein Volk nicht kämpfen. Es wollte sich mit jenen arrangieren, deren Herrschaft es offenbar als unvermeidlich ansieht, die zwar Islamisten, aber immerhin Landsleute sind. 

Bereits den Briten war es in drei Kriegen von 1840 bis 1919 nicht gelungen, die Herrschaft in Afghanistan zu erringen. Von 1979 bis 1989 scheiterte dann die Sowjetunion beim selben Versuch – auch weil die USA die aufständischen Mujahedin mit Waffenhilfe unterstützten.

Nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 war es unvermeidlich – und wohl auch richtig –, die Terrorganisation Al-Qaida in ihrem Herzland anzugreifen. Falsch war es, diese Militäroperation in einen zwanzigjährigen Krieg ausarten zu lassen, der 3.600 NATO-Soldaten das Leben kostete. Unentschuldbar ist der Verrat an jenen Afghanen, die der Präsenz des Westens vertrauten, als Hilfskräfte oder Übersetzer dienten oder sich anderweitig als Kollaborateure exponierten. 

Ein dreifaches Versagen

Zwanzig Jahre lang gelang es dem Westen nicht, eine verlässliche pro-westliche Führungsschicht aufzubauen, die die künftigen Geschicke des Landes in eigene Hände nehmen konnte und wollte. So war der Abzug am Ende unvermeidlich, und als schwachsinnig erwies sich die Aussage des ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck (SPD): „Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt.“

Für Deutschland zeigt die Katastrophe von Afghanistan ein dreifaches Staatsversagen an:

Intellektuell: Inhalt und Charakter der Militäroperation waren niemals klar durchdacht worden, es fehlte von Anfang an und durchgehend eine Strategie. Die deutsche Politik schwankte zwischen Militäreinsatz und Aufbauhilfe, sie übersah Napoleons grundlegende Einsicht: „Man kann mit Bajonetten alles machen, außer auf ihnen sitzen.“

Organisatorisch: Die Bundesregierung und ihre Geheimdienste waren offenbar niemals in der Lage, sich von der Situation in Afghanistan ein zutreffendes Bild zu machen – oder die warnenden Stimmen der Experten wurden übergangen, was noch schlimmer ist. So kam es zur verheerenden Fehleinschätzung, es gebe nach dem Abzug der NATO noch Monate Zeit bis zu einem endgültigen Sieg der Taliban.

Moralisch: Beim Fall von Kabul und der Machtübernahme durch die Taliban war die Rettung der Helfer und ihrer Familien noch nicht einmal eingeleitet worden. Stattdessen verstrickten sich die zuständigen Beamten in Visa-Bürokratie. Bundeskanzlerin, Außenminister und Verteidigungsministerin waren seit Monaten allenfalls für salbungsvolle Worte gut, in der Sache kümmerten sie sich nicht. In der Welt wird man sich das merken: Wer solche Freunde hat, der braucht keine Feinde mehr.

Und keiner tritt zurück

Wegen der Schwere der Versäumnisse und der Gedankenlosigkeit der politischen Führung wäre ein Rücktritt der Bundeskanzlerin, des Außenministers und der Verteidigungsministerin überfällig. Das wird natürlich nicht geschehen. Immerhin sollte dieser Megaskandal für jeden denkenden Staatsbürger ausreichen, um bei der anstehenden Bundestagswahl der CDU und der SPD die Stimme zu verweigern.

Für eine neue Bundesregierung stellt das Desaster zwei wichtige Lehren bereit:

Deutschlands Sicherheit wird nicht am Hindukusch verteidigt und auch nirgendwo sonst in Afrika oder Asien, sondern ausschließlich in Europa. Die Bundeswehr muss wieder eine ernstzunehmende europäische Landstreitkraft werden, und Sicherheit ist nur gemeinsam mit unseren großen Nachbarn möglich – mit Frankreich, mit Polen und – ja – auch mit Russland. 

Interventionen in die Staatsgebiete und inneren Angelegenheiten fremder Völker sollten ohne Ausnahme unterbleiben – außer sie dienen unmittelbar der Selbstverteidigung. Die Zeit der Eroberungen ist vorbei. Parlamentarische Demokratie und das westliche Verständnis von Freiheit und Selbstversicherung lassen sich anderen Völkern, Kulturen und Gesellschaften nicht von außen aufdrücken.

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche

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Leserpost

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Wolfgang Richter / 31.08.2021

@ Karl Mallinger - “Mir leuchtet sowieso nicht so recht ein, was überhaupt die “Taliban-Afghanen” von den “Nicht-Taliban-Afghanen” unterscheiden soll.” Wer Bilder aus Afghanistan sieht, der sieht überall Männer mit umgehängten Schießprügeln. Insofern fand ich es schon immer ziemlich witzig, als bei der Geschichte um die zerbombten geklauten Tanklastzüge und der Verantwortung des Obersten -ich glaube Klein mit Namen- hierzulande immer medial und von einigen Politdarstellern von getöteten Zivilisten schwadroniert wurde, für deren Familien dann auch Entschädigungen aus des Michels Steuerkasse gezahlt wurden. Die Frage, wodurch sich diese “Zivilisten” vom gemeinen Taliban unterschieden, wurde vorsorglich nie gestellt. Wie die aktuellen Bilder aus dem Land zeigen, gibts die Unterscheidung offenbar nicht. Der Mann an sich dort ist Kämpfer, egal ob nun für die Gruppe der Taliban oder eine der anderen, die sich dort noch so tummeln.

Wolfgang Richter / 30.08.2021

So wie ein Afghanistan-Veteran Oberst Sarholz in einem Leserbrief der FAZ schrieb, haben die sog. “Ortskräfte” dem Eindruck nach die angebotenen Jobs vor allem wegen der für dortige Verhältnisse guten Bezahlung angenommen, dann dem Eindruck nach auch, um den ihnen nahe stehenden Kräften im Lande Informationen zukommen zu lassen, Ausnahmen durchaus möglich, aber nicht bekannt. Kann mir mal jemand der Entscheider hierzulande erklären, worauf sich die Annahme stützt, daß zumindest große Teile der vom Westen mit modernen Waffen ausgerüsteten und bezahlten “afghanischen”  Armee das anders empfunden haben könnten? So wie sich diese “Armee” bis auf einige wenige Teile, die in die Nachbarländer flüchteten, quasi wie “Wasserdampf” verflüchtigt hat, steht für mich persönlich fest, daß sie sich am absehbaren Tag X denen angeschlossen haben, denen sie verbunden und verpflichtet waren und sind, ihren Familien, Clans und ethnischen Gruppen, in genau dieser Reihenfolge. Und das hat jeder wissen können, der sich mal mit der Mentalität entsprechender Volksgruppen auseinander gesetzt hat. Ein weiteres Bindeglied ist die jeweilige Auslegung der Islamischen Religion. Alles andere zählt nichts bis gar nichts. Aber wer CsD-Straßenumzüge, Gender, BLM und Klima-Hüpfen für den wahren Kern dessen hält, worum sich die Wender der Weltgeschichte auf dem Weg zu einem besseren Planeten zu drehen haben, der kann ob der beschriebenen Realitäten anderswo nur derbe “auf die Schnauze fallen”. Schlimm nur, daß dann immer noch nicht verstanden wird, sondern der Schuldige für den Sturz irgendwo im Nirgendwo verortet wird, nicht in der eigenen Dummheit, gepaart mit einem gehörigen Maß an Überheblichkeit und Ignoranz. Kann sich im übrigen jeder mal überlegen, warum es in Behörden von Ländern mit entsprechende migrantischer Durchsetzung (USA, GB, Frankreich z.B.) so relativ große Abteilungen von Innenrevision / Antikorruptiuon gibt, anders als noch hierzulande. Aber auch wir sind auf einem unguten Weg.

Maria Dreiling / 30.08.2021

@Dirk Jungnickel - ich werde den Verdacht nicht los, daß EU ( A. Merkel, Maas u. a.) und Al-Quida den gleichen “Chef” haben. Und - wenn die Taliban Geld als Geschenk brauchen und Deutschland - oder die BRD - noch hat, bringt es Heiko Maas auch gehorsam hin. #########  Andrerseits Harr Sarrazin: was ist, wenn weder Al-Quida noch die Taliban den 11.9.2001 auf dem “Kerbholz” haben? Wurde dann nicht etwa ein “Stellvertreterkrieg” geführt? Auch noch 20 Jahre?

Martin von Hermanni / 30.08.2021

Das ist hier der X-Te Kommentar den ich lese, in dem der Abzug der USA irgendwie als Versagen aufgefasst wird. Die USA haben unter Präsident Trump mit den Taliban - nach 20 Jahren Besatzung - eine Übergabe ausgehandelt: An der damals angeblichen Regierung Afghanistans vorbei. Präsident Biden hat diese Entscheidung übernommen und umgesetzt. Ich denke, keiner dieser beiden Präsidenten hatte an der Entscheidung zum Abzug aus Afghanistan irgendeinen Anteil. Diese beiden Präsidenten haben das in Kameras vorgelesen, was ihnen vom Pentagon aufgeschrieben wurde. Der Abzug ist das Ergebnis von 20 Jahren Besatzung, von Guantanmo und den geopolitischen Plänen der USA. Dass wir die Überlegungen und Ziele dahinter nicht begreifen können, und man sie auch nicht versucht zu erklären, bedeutet, dass wir zu einem irrelevanten Vieh heruntergekommen sind, das bei politischenEntscheidungen keine Rolle mehr spielt. Die Entscheider in dieser Politik sind uns komplett unbekannt und deren Pläne sind vielleicht so weit entfernt vom journalistischen Gequake, dass sie jetzt einfach darauf verzichten, uns noch eine Brücke zu bauen zu lassen von irgendeiner PR Agentur: Lasst euch halt impfen, kauft ein Elektroauto, überlegt ob ihr tatscählich Mann, Frau oder was anderes seid, und geht halt unter.

Jo Waschl / 30.08.2021

Anfrage der Grünen im BT 2018. Wieviele Ortskräfte hama da unten ? AW: ~470….. Ausgeflogene der letzten Tage: ~ 3850….davon tatsächlich Ortskräfte: 138   ..... 470 - 138 = 332   .... 3850 - 138 = 3712…..was sind diese 3712 denn genau für Leute, wenn ich schon jeden Tag für diese Goldies morgens um 4 aufsteh ? Gut…hab gehört, es sind Leute dabei, die schon mal da waren….als schwere Straftäter - einfach in den Airbus rein und schon per Shuttle wieder in D, wo der Rechtsweg wieder von vorne anfängt…..ja gut….die 3712 -> geschenkt….noch dazu sind da auch die restlichen 332 dabei….nuller hinterdran und gut is…. Jetzt meint aber der Heiko, das wir noch ein paar “Ortskräfte” aufnehmen ( aber nuuuur die mit einer Zusage… ) also anscheinend sind da seit 2018 noch ein paar dazugekommen….der Heiko hat da so an 40.000 gedacht…... HABEN WIR EIGENTLICH NUR NOCH AUSNAHMLOS DEUTSCHLANDHASSER, ANALPHABETEN & VERBRECHER AUF DER REGIERUNGSBANK ???? WERDEN WIR DENN ALLE NUR NOCH DAUERVERARSCHT !?!?!? Die machen sich ja noch nicht einmal die Mühe, etwas zu verschleiern. Die Mafia is dagegen Kindergeburtstag….

Stefan Zorn / 30.08.2021

Die erwiesene Unfähigkeit unserer “Regierenden” liegt auf dem Präsentierteller vor seiner Nase - und der Michel, dieser Dackel…

Fred Burig / 30.08.2021

@Ilona Grimm:”...Die maßgeblichen Begriffe in dem Eid/Gelöbnis sind „deutsches Volk“ und „verteidigen“. So sollte es sein! Aber wer, außer der AfD, steht denn noch zu diesem “Eid”. Dieser vergenderten Schwachmaten- Truppe geht es doch nur noch darum, maximal Staatsknete abzufassen! MfG

Hans Tigertaler / 30.08.2021

Immanuel Kant: »Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines andern Staats gewalttätig einmischen. Denn was kann ihn dazu berechtigen? [....] So lange aber dieser innere Streit noch nicht entschieden ist, würde diese Einmischung äußerer Mächte Verletzung der Rechte eines nur mit seiner innern Krankheit ringenden, von keinem andern abhängigen Volks, selbst also ein gegebenes Skandal sein, und die Autonomie aller Staaten unsicher machen.« [Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf.] Das kommunistische Prinzip der Nichteinmischung, das auf Immanuel Kant zurückgeht, gehört an den gestirnten Himmel über uns genagelt. Die Völker wissen das. Die herschenden Klassen aber verstehen es selbst dann nicht, wenn man ihnen gebildeter kommt: Quousque tandem?  

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