Wolfram Weimer / 08.07.2012 / 10:09 / 0 / Seite ausdrucken

Die eiserne Kanzlerin der Herzen

Zwei Drittel der Deutschen sind mit ihr zufrieden. Angela Merkel erreicht mit der Eurokrise den Zenit ihrer Kanzlerschaft. Sie moderiert nicht mehr bloß, sie steuert Deutschland tapfer durch die Krise.

Sie ist so beliebt wie Franz Beckenbauer, der Sommerwind oder der Osterhase. Angela Merkel bekommt dieser Tage Zustimmungswerte, die sonst nur jenseits der Politik zu haben sind. Der ARD-Deutschlandtrend mißt 66 Prozent Zufriedenheit – das ist mehr als CDU/CSU und SPD in der Sonntagsfrage zusammen mobilisieren. Die große Mehrheit findet, dass sie Deutschland tapfer und klug durch Europas Schuldenkrise steuert. Selbst der zum Lob selten aufgelegte Altkanzler Helmut Schmidt preist – zum Ärger seiner SPD – ihr staatsmännsiches Geschick ungewöhnlich offen. Beide sind in ihrem norddeutsch-souveränen Pragmatismus ohnedies seelenverwandt.
Nun sind Krisenzeiten immer Kanzlerzeiten. Doch in ihrem Fall schätzen die Menschen über alle Parteigrenzen hinweg, dass sie nicht so testosterongesteuert ist wie ihr Vorgänger, dass sie selbst in hitzigen Phasen wilder Aggressionen besonnen bleibt und kühlen Kopf bewahrt.
Ihr Naturell entstammt nicht der wüsten Welt von Gefühlen, Pathos und Ressentiments. Ihr Wesen ist aus einem nordeutschen Klinkerbau erwachsen, kühl und schmucklos und rational und bescheiden. Sie ist in jeder Beziehung protestantisch. Das heißt, dass sie sich weniger durch das defininiert, was sie ist, als durch das, was sie nicht ist.
Bundeskanzlerin zum Beispiel ist sie lange gar nicht gewesen. Die Eurokrise erst hat Angela Merkel dazu gemacht. Davor war sie Darstellerin des Amtes, sie spielte politische Führung und also wechselte sie die Rollen und Meinungen. Sie wollte oder konnte nicht voran gehen, sondern entschied sich für eine politische Strategie des Moderierens. So wurde sie zur Meisterin von “liquid democracy” längst bevor die Piraten das zur Mode machten.
Man nannte sie wahlweise behutsam, opportunistisch oder präsidal. Sie rief sich selbst als “die Mitte” aus. Doch die Chamäleonphase der Merkelschen Regentschaft ist vorbei. Denn nun ist sie nicht mehr die große Abwarterin, nun ist wirklich Kanzlerin geworden. Ihre Geschmeidigkeit weicht einem entschiedenem Zug. Als habe sie im vergangenen Jahr bei Altmeister Helmut Kohl die Abendschule besucht, so agiert Merkel auf einmal zielstrebig, machtbewusst und europagestaltend.
Ihre Strategie, Politik als summierende Nachhutveranstaltung zu organisieren, wird auf den Kopf gestellt. Gelingt ihr das Manöver namens Geradlinigkeit und schafft sie es tatsächlich, Europa zusammenzuhalten und auf einen Pfad der langfristigen Sanierung zu führen, zugleich aber Deutschland vor der Ausplünderung zu schützen, dann wird sie eine große Kanzlerin.
In Europa sammelt sie hinter den Kulissen mehr Rückendeckung als man sieht. Die Skandinavier, die Balten, die Osteuropäer, Dänemark, Holland und Österreich stehen beim europäischen Merkelianismus an ihrer Seite. Irland, Portugal und Spanien folgen ihrem Kurs gequält, aber zusehends aus Einsicht. Nur Griechenland, Italien und vor allem Frankreich leisten offene Opposition.
Ihr eigentlicher Gegner heißt Francois Hollande. Denn der hat ein klares Antiprogramm zum Merkelianismus – er will den offenen Schuldensozialismus und die Enteignung deutscher Kapitalreserven. 
Doch genau das ist die historische Chance von Angela Merkel. Sie wird ihm Widerstand leisten wie weiland Margaret Thatcher den Kontinetaleuropäern Widerstand geleistet hat – mit der gleichen Entschiedenheit, aber mit leiseren Tönen. Hollande beschert Merkel die Konstellation, dass sie eins werden kann mit dem nationalen Interesse Deutschlands und zugleich zur Verteidigerin Europas vor dem kollektiven Schuldensozialismus.
Die Deutschen spüren in diesen Tagen, dass sie draußen für ihr Land kämpft – ohne Europa zu verraten. Angela Merkel hat das shakespearhafte Drama, das sie nie gesucht hat. Und sie hat die Chance dem schillernden, trunkenen Europa einen Weg aus dem verhexten Sommernachtstraum zu weisen. Was ihr wollt, gilt nicht mehr. Was sie will, das gilt.

 

 

 

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Wolfram Weimer / 26.06.2020 / 06:00 / 80

Corona als Kanzlermacher

In der CDU knistert es. Die Kanzlerkandidatur-Frage legt sich wie eine Krimispannung über die Partei. Im Dreikampf und die Merkelnachfolge zwischen Markus Söder, Armin Laschet…/ mehr

Wolfram Weimer / 12.06.2020 / 10:00 / 47

Nichts ist unmöglich: AKK als Bundespräsidentin?

„Das ist die größte Wunderheilung seit Lazarus“, frohlocken CDU-Bundestagsabgeordnete über das Comeback ihrer Partei. Die Union wankte zu Jahresbeginn dem Abgrund entgegen, immer tiefer sackten…/ mehr

Wolfram Weimer / 23.04.2020 / 06:10 / 183

Robert Habeck: Die grüne Sonne geht unter

Am 7. März erreichten die Grünen im RTL/n-tv-Trendbarometer noch Zustimmungswerte von 24 Prozent. Monatelang waren sie konstant die zweitstärkste Partei in Deutschland, satte 8 Prozentpunkte betrug der…/ mehr

Wolfram Weimer / 27.02.2020 / 06:11 / 135

Die CDU braucht einen Notarzt

Friedrich Merz tritt an – und er hat vier Trümpfe in der Hand. Erstens führt er die Umfragen nicht nur an. Er liegt seit Monaten…/ mehr

Wolfram Weimer / 22.02.2020 / 06:18 / 19

SPD-Comeback in Hamburg?

Lange hatten die Grünen gehofft. Doch nun zeigen die Umfragen: Die Hamburg-Wahl wird die SPD wohl gewinnen. Es bahnt sich sogar ein bundesweiter Stimmungsumschwung im…/ mehr

Wolfram Weimer / 14.02.2020 / 06:14 / 106

Die CDU sucht den Merkel

„Angela Merkel will Armin Laschet. Die CDU-Basis will Friedrich Merz.“ So fasst ein CDU-Spitzenpolitiker aus der Bundestagsfraktion die K-Debatte in der Union zusammen. Mit dem…/ mehr

Wolfram Weimer / 13.12.2019 / 06:23 / 33

Batterien aus Deutschland? Potzblitz, und es geht doch!

Monatelang war es bloß ein Gerücht: Angeblich verbaut der Technologiekonzern Apple in seinen Kopfhörern “AirPods” deutsche Batterien. In Asien lachte man darüber – die Deutschen…/ mehr

Wolfram Weimer / 05.12.2019 / 12:00 / 69

Kevin, der Defibrillator der Macht

Den größten Verlierer im SPD-Umbruch kennt jeder: Olaf Scholz. Seine Macht ist brutal pulverisiert, seine Autorität wird bereits von Mitleid getragen, seine Karriere wirkt schlagartig…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com